Dienstag, Oktober 1

Seit den 1950er Jahren werden Wahnvorstellungen und Halluzinationen mit den gleichen Medikamenten behandelt. Nun gelang der Firma Karuna Therapeutics ein Durchbruch.

Patienten mit einer Schizophrenie werden seit Jahrzehnten mit denselben Medikamenten, sogenannten Neuroleptika, behandelt. Nun hat die amerikanische Arzneimittelbehörde (FDA) ein neues Medikament, Kar-XT, zur Behandlung von Schizophrenie zugelassen. Es arbeitet mit einem anderen Wirkmechanismus als die bis jetzt zur Verfügung stehenden Neuroleptika. Und anders als diese reduziert es nicht nur Halluzinationen und Wahnvorstellungen, sondern verringert auch die Probleme im Denken und Gefühlsleben der Patienten.

Eine Schizophrenie ist eine schwerwiegende Erkrankung, die etwa ein Prozent der Bevölkerung betrifft. Ihre Behandlung gestaltet sich schwierig, denn das Krankheitsbild und vermutlich auch die Ursachen unterscheiden sich von Patient zu Patient.

Oft leiden die Kranken an Halluzinationen und Wahnvorstellungen. Diese sind mit Neuroleptika gut behandelbar. Doch zum Krankheitsbild gehören auch weitere Probleme im Denken, Fühlen und Handeln. Die Patienten denken verlangsamt, zerfahren oder sehr stark assoziativ. Sie wirken apathisch und antriebslos.

Diese sogenannt negativen Symptome einer Schizophrenie sind bis heute kaum behandelbar. Im Gegenteil. Nach längerer Einnahme verlieren Patienten, vermutlich auch wegen der medikamentösen Behandlung, immer mehr die Fähigkeit, komplexe Sachverhalte zu begreifen und neue Informationen zu verarbeiten.

«Das Spannende an dem neuen Medikament Kar-XT ist, dass es einen ganz neuen Wirkmechanismus zur Behandlung von Schizophrenie verwendet», sagt der Psychiater Andreas Meyer-Lindenberg, Direktor des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim. Und sein Kollege Christoph Correll von der Charité in Berlin spricht vom Potenzial für eine Revolution – mindestens für einige Patienten.

Medikamente nutzen seit den 1950er Jahren dasselbe Prinzip

Es war ein Durchbruch, als in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts das erste Medikament gegen Halluzinationen und Wahnvorstellungen, das Chlorpromazin, entwickelt wurde. Alle heutigen Neuroleptika basieren auf demselben Wirkmechanismus im Gehirn. Sie blockieren die Rezeptoren für den Botenstoff Dopamin, der dadurch seine Wirkung nicht entfalten kann.

Doch die Blockade des Botenstoffes führt auch zu schweren Nebenwirkungen: Die Patienten zittern und leiden unter steifen Muskeln und Schluckbeschwerden. Sie speicheln im Schlaf und sind im schlimmsten Fall kataton, das heisst, ihre Bewegungen können einfrieren. Mit den heute zur Verfügung stehenden Medikamenten werden diese Nebenwirkungen reduziert, indem man dem neuroleptischen Wirkstoff weitere Substanzen beimischt, um die Nebenwirkungen zu dämpfen.

Wegen der Nebenwirkungen setzten Patienten die Behandlung aus

Andere Nebenwirkungen bleiben trotzdem erhalten, und es kommen durch das Wirkstoffgemisch neue dazu. Der Stoffwechsel verändert sich. Eine Substanz, das Neuroleptikum Clozapin, war zeitweilig verboten, weil die Patienten – vermutlich aufgrund des Medikaments – schwere Infektionen erlitten. Zudem führen die Medikamente zu einem Verlust der Libido.

In der klinischen Praxis probieren Ärztinnen und Ärzte oftmals mehrere Kombinationen von Medikamenten aus, bis sie zusammen mit den Patienten eine akzeptable Balance zwischen erwünschten und unerwünschten Wirkungen gefunden haben. Und doch sind bei den Schwerkranken die Nebenwirkungen so heftig, dass die Patienten die Medikamente bald wieder absetzen – und wenig später wieder in einer Klinik landen.

Ein neues Medikament mit anderen Nebenwirkungen gibt den Ärzten daher mehr Handlungsspielraum. Der Mannheimer Psychiater Andreas Meyer-Lindenberg sagt dazu: «Es ist prinzipiell gut, wenn Behandelnde aus einem breiten Spektrum von guten Medikamenten zur Behandlung der Patienten wählen können.»

Das neue Medikament wirkt nur indirekt auf das Dopaminsystem

Bisher war die Entwicklung neuer Medikamente eine Geschichte des Scheiterns. Im Jahr 2005 misslang eine grosse klinische Studie mit 1500 Patienten, die über 40 Millionen Dollar gekostet hatte. Wenig später zogen sich viele Pharmafirmen aus der Entwicklung zurück. 2011 schloss Novartis zeitweilig die Forschungszentren zur Entwicklung von psychiatrischen Wirkstoffen. Die Entwicklung schien zu teuer und der Erfolg zu unsicher.

Übrig blieb fast nur noch die Grundlagenforschung an Universitäten, auch wenn etwa ein europäisches Forschungsprojekt (Newmeds) darauf abzielte, die Zusammenarbeit von Universitäten und Industrie zu fördern. Entwickelt wurde das neue Medikament nun von der 2009 gegründeten Firma Karuna Therapeutics in Boston in Massachusetts.

Den Forschern war aufgefallen, dass die Substanz Xanomelin, die sie für die Bekämpfung von Alzheimer untersuchten, auch eine antipsychotische Wirkung hatte. Daraufhin begannen Forscher bei Karuna Therapeutics, mit einer Wirkstoffkombination zur Bekämpfung der motorischen Nebenwirkungen zu experimentieren, und entwickelten die heutige Kombination von Xanomelin und Trospium.

Der Bestandteil Xanomelin, der sich hinter dem X in Kar-XT verbirgt, beeinflusst zwar auch das Dopaminsystem, aber nur indirekt. Er dockt an die sogenannten Muskarin-Rezeptoren im Gehirn an. Das löst eine Kaskade von Prozessen aus, die die Menge an Dopamin im Gehirn verringert. Anstatt wie die bisherigen Neuroleptika die Wirkung des Dopamins zu verhindern, reduziert das neue Medikament also die Menge an verfügbarem Dopamin.

Trospium, der zweite im Medikament vorhandene Wirkstoff, hebt schliesslich die Wirkung von Xanomelin im Bewegungsapparat wieder auf und verhindert so die unerwünschten Nebenwirkungen wie beispielsweise die Muskelstarre und die Schluckbeschwerden.

Der neue Wirkmechanismus verringert auch Denkstörungen

Die Wirkung ist recht gut: In einer im Fachjournal «The Lancet» publizierten Studie zeigte sich, dass der Wirkstoff die Symptome einer akuten Psychose fünf Wochen nach Beginn der Behandlung reduzieren konnte. Anders als bei anderen Neuroleptika hatten die Patienten nicht nur weniger Halluzinationen und Wahnvorstellungen, sondern auch weniger negative Symptome. Eine weitere klinische Studie im Fachjournal «JAMA Psychiatry» bestätigte diese Wirkung. Zusätzlich liegen weitere Daten zur Wirksamkeit des Medikaments bis 52 Wochen nach Beginn der Behandlung vor.

«Ich schätze das Potenzial des neuen Medikaments als extrem hoch ein», sagt der Psychiater Alkomiet Hasan, der an der Universität Augsburg den Lehrstuhl für Psychiatrie und Psychotherapie innehat.

Allerdings sei der Preis des Medikaments sehr hoch, gibt der Mannheimer Psychiater Meyer-Lindenberg zu bedenken. In den USA wird er bei 20 000 Dollar pro Jahr angesetzt.

Doch weitere Firmen arbeiten bereits an der Entwicklung von anderen Medikamenten, die ebenfalls den neuen Wirkmechanismus verwenden. Es besteht also Hoffnung, dass die Konkurrenz unter den Herstellern den Preis noch drücken könnte.

Ob die European Medicines Agency (EMA) zu dem gleichen Schluss kommen wird wie die FDA und das Medikament in Zukunft auch in Europa verschrieben werden darf, bleibt abzuwarten. Doch es bleibt ein grosser Erfolg, dass überhaupt ein neues Medikament auf dem Markt ist – es ist der erste Fortschritt in der Behandlung von Schizophrenie seit Jahrzehnten.

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