Montag, Januar 13

Die neue «Galerie der Könige» im Turiner Ägyptenmuseum zeigt, wie modern altägyptische Kunst präsentiert werden kann.

Sollte ein ägyptisches Museum didaktisch aufgebaut sein? Oder doch eher die Schönheit der ausgestellten Werke ästhetisch zelebrieren? Auf diese Frage gibt Federico Poole eine überraschende Antwort: Weil die alten Ägypter herausragende Selbstdarsteller waren, ist eine Präsentation ihrer Kunst in zeitgemässem Rampenlicht seiner Meinung nach adäquat. Poole ist Kurator im wichtigsten Museum für ägyptische Kunst ausserhalb Ägyptens, dem Museo Egizio in Turin. Wie alle Kuratoren im Haus ist er Ägyptologe.

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Moderne Inszenierung, Innenarchitektur und Besucherführung sind weniger sein Gebiet. Deshalb hat sein Museum, das wichtigste der Stadt Turin, die Neugestaltung des Hauses in prominente Hände gelegt. Das Office for Metropolitan Architecture (OMA) aus Rotterdam, gegründet von Rem Koolhaas, einem der einflussreichsten Architekten Europas, hat das Museum völlig umgekrempelt. Wo zuvor Artefakte mysteriös mit Spotlights aus dem Dunkel gehoben wurden, gleissen nun die Steinskulpturen aus Karnak vor matten Aluminiumtafeln in hellem Tageslicht.

Aluminium ist das Lieblingsmaterial von Rem Koolhaas. Er setzt es bei allen Projekten weltweit ein. Hier im Turiner Museum verströmt es einen matten silbernen Glanz wie in einer coolen und edlen Boutique. Die altägyptischen Statuen wurden so im Raum platziert, dass sie für Passanten schon von der Via Principe Amedeo aus durch die hohen Fenster zu sehen sind, auch bei Nacht: auf Augenhöhe, denn in der «Galerie der Könige» gibt es keine hohen Sockel mehr.

Das Museum zu öffnen, ganz wörtlich gemeint, aber auch im übertragenen Sinn, ist das Ziel des neuen Direktors Christian Greco. Der kühle Chic, in den die besten Ausstellungsstücke des Museums pünktlich zur 200-Jahr-Feier der Gründung des Hauses getaucht werden, eröffnet eine neue Wahrnehmung der ägyptischen Steinmetz-Kunst aus Theben.

Königliche Sammlung

Turin verdankt dem Königshaus Savoyen sein Weltklasse-Museum pharaonischer Kunst. Lange bevor der napoleonische Feldzug 1801 Interesse am alten Ägypten entfesselte, gründeten die Savoyer das heute älteste ägyptische Museum der Welt, um das Prestige des Königshauses zu mehren. Die Funde von Vitaliano Donatis Reise nach Ägypten 1757 bildeten den Grundstock des Museo Egizio. Das Museum wurde im Collegio dei Nobili untergebracht – in bester Lage in der Innenstadt, aber mit dem räumlichen Charme eines Jesuiten-Internats.

Michelangelo Garove hatte sein Internat 1679 einst um einen Hof herum organisiert. Die Architekten von OMA haben 2023 den Wettbewerb für die Überdachung des Hofes gewonnen. Die Neugestaltung der Hallen war ein zusätzlicher Auftrag, den die Architekten aus Rotterdam von dem Niederlande-freundlichen Direktor direkt bekommen haben. Der überdachte Hof ist nun Ausgangspunkt des Museumsbesuchs.

«Inklusiv, zugänglich und niedrigschwellig» soll das Museum sein, wenn es nach seinem Direktor Christian Greco geht. «Pyramiden, Mumien und Tutenchamun sind starke Klischees. Wir nutzen sie, aber wir wollen sie auch brechen», ergänzt der Kurator Federico Poole. Für ihn sei die Geschichte der Sammlung genauso interessant wie die Artefakte selbst. Einen Ausbau der Sammlung schliesst Poole allerdings ebenso aus wie die Rückgabe von Stücken an Ägypten. Provenienzforschung stehe nun im Zentrum des kunsthistorischen Diskurses in seinem Haus.

«Bei der Grabung wurde oft nicht dokumentiert, wo die Teile aufgefunden wurden», sagt Poole. «Eine Nachempfindung der örtlichen Situation ist also nicht möglich und auch nicht das Ziel.» Eleganz hat nun gegenüber Didaktik den Vorzug.

Postkoloniale Kritik

Die Promenade der Besucher gleicht einer Reise durch einen ägyptischen Tempel. Sie kulminiert bei der Statue von König Ramses II., die in der Mitte der Enfilade thront. Die neu konzipierten und gestalteten Säle für Kolossalstatuen bilden den Höhepunkt eines Parcours durch das Museum, durch das sich nicht nur am Sonntagmorgen Besuchermassen schieben.

Die erste Halle zeigt eine Phalanx aus Sphinxen und löwenköpfigen Figuren, die früher im Aussenraum gezeigt wurden. Eine Statue von Seti II. am Ende der Halle markiert ein Highlight. Ihr aufwendiger Transport nach Turin erforderte damals ein Gespann mit sechzehn Pferden. Stehende und sitzende Statuen flankieren die Prozession der Besucher durch die modernen Hallen – das gebürstete Alu spiegelt genug, um die Skulpturen auch von hinten zu zeigen.

Verschwommene Konturen der Besucher machen die Bildwirkung immersiv. In den Raumecken, in denen sich die Reflexionen spiegeln, entsteht so ein ätherischer Illusionsraum. Als Besucher tritt man zudem durch einen dunklen Ante-Raum ein, in dem die Künstlerin Sara Sallam dem postkolonialen Zeitgeist mit einer – etwas platten – Installation huldigt.

Sallams Kunstwerk befasst sich mit dem Verlust des Zusammenhangs der Objekte untereinander und prangert die «Verwüstung» an, die die Archäologen vor Ort in Ägypten hinterlassen haben. Ausgeklammert bleibt dabei, dass sich Ägypter bei den Grabungen über das Interesse der Europäer mokierten. Berühmt geworden ist ihre rhetorische Frage: «Ist der Mangel an Steinen in Europa denn so gross?»

Neuer Glanz für Turin

Als Turin 2006 die Olympischen Winterspiele ausrichten durfte, gestaltete der Szenograf Dante Ferretti die Hauptsäle des Museums als «Black Box». Die ägyptischen Figuren wurden wie Bühnenstars im Scheinwerferlicht illuminiert, was den Kuratoren des Museums vulgär erschien. Nun haben sie alle Kleinobjekte in andere Etagen verlagert. In den neuen Räumen sind keine Vitrinen zu sehen. Die Inszenierung lässt allein die Steine der Könige und Götter sprechen.

Das Museum verleiht einer bald postindustriellen Touristen- und Kulturmetropole neuen Glanz. Wenn der überdachte Innenhof ein «jederzeit zugänglicher Platz» werde, erhalte die Hauptstadt von Piemont einen urbanen Salon, dessen Geschichte 4000 Jahre zurückreiche, sagt Greco.

Weil die Autoindustrie in Piemont derzeit eine schwere Krise durchleidet und der Gründungsort von Fiat Einwohner und Arbeitsplätze verliert, besinnt sich die Stadt Turin weg vom industriellen 20. Jahrhundert und zurück auf ihre historische Kultur. Nach 200 Jahren schliesst sich nun ein Kreis: Die Sammlung diente einst der Profilierung Turins als Zentrum politischer Macht. Gekrönt wurde diese Ambition von Turins Rolle als erste Hauptstadt des vereinigten Italien von 1861 bis 1865. Heute ist es der Kampf gegen den Bedeutungsverlust als Industriekapitale, der Turin antreibt, sein kulturelles und historisches Kapital neu poliert zur Schau zu stellen.

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