Das Bundesverwaltungsgericht braucht ein halbes Jahr, um festzustellen, dass es für die Beschwerden der Umweltverbände nicht zuständig ist. Das neue Jagdgesetz kämpft mit dem alten Konflikt.

Schweizer Umweltverbände wollen sich mit dem Entscheid des Parlaments, den Wolf fortan auch präventiv zu regulieren, nicht abfinden. Kaum hatte die Wildhut in den betroffenen Kantonen Graubünden und Wallis im vergangenen Dezember damit begonnen, in die stark wachsenden Wolfsbestände einzugreifen, wurde Beschwerde erhoben.

Die Nichtregierungsorganisationen (NGO) Pro Natura, WWF sowie der Schweizer Vogelschutz wollten verhindern, dass in den beiden Bergkantonen ein halbes Dutzend Wolfsrudel entfernt werden. 2023 zählte man in der Schweiz 32 Rudel und rund 300 Wölfe, Tendenz exponentiell steigend.

In Visperterminen schleichen Wölfe um die Häuser

Nun haben fünf Richter am Bundesverwaltungsgericht entschieden, sie seien die falschen Adressaten, auf die Beschwerde der Verbände sei gar nicht erst einzutreten. Gegen die Zustimmungsverfügung des Bundesamtes für Umwelt (Bafu) könne keine Verbandsbeschwerde erhoben werden, heisst es im Urteil vom 17. Juni.

Das von den Eidgenössischen Räten revidierte und Ende 2022 beschlossene Jagdgesetz sieht vor, dass die Kantone die Regulierungsmassnahmen beschliessen, vorher aber die Zustimmung des Bafu einholen müssen. Das Bafu prüft die kantonalen Massnahmen mit den Anforderungen des Artenschutzes.

Das Parlament hatte bei der erneuten Revision des Jagdgesetzes die prozedurale Stellung des Bafu gestärkt, nachdem in der vorgängigen Reform, die 2020 an der Urne gescheitert war, lediglich eine Anhörung durch die Bundesbehörde vorgesehen war. Gleichwohl habe die Zustimmung des Bafu «nicht den Charakter eines Entscheids mit länger andauernder Wirkung», schreibt das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil.

Die Kantone allein seien zuständig für die Entscheidung über eine Regulierung. Das Gericht verweist die NGO mit ihren Beschwerden denn auch an die kantonalen Beschwerdeinstanzen. Diese sollen beurteilen, ob die jeweiligen Regulierungsverfügungen der Kantone mit dem neu revidierten Jagdgesetz konform sind.

Dieses sieht erstmals seit der Rückkehr des Wolfes vor dreissig Jahren vor, dass die Bestände reguliert werden dürfen, um – präventiv – «das Eintreten eines Schadens oder einer Gefährdung von Menschen zu verhindern». Es ist ein Paradigmenwechsel in der Wolfspolitik, die die NGO nicht haben kommen sehen. Zumindest haben sie im Frühjahr 2023 die Referendumsfrist verstreichen lassen. Zur gleichen Zeit hat mit Albert Rösti ein SVP-Bundesrat das zuständige Umweltdepartement übernommen.

Die entsprechende Verordnung schickte er im Rekordtempo durch die Vernehmlassung, damit man so schnell wie möglich Schäden hätte verhindern können. Erst in der abgelaufenen Sommersession hat er das in der Zwischenzeit viel kritisierte Schnellverfahren erneut verteidigt und sein Vorgehen bestärkt. «Ich sage Ihnen ganz offen», sagte Rösti im Ständerat, «ich möchte nicht Umweltminister sein, wenn plötzlich ein erwachsener Mensch oder ein Kind angegriffen wird.»

Abwegig sind Röstis Sorgen keineswegs, wie sich am Beispiel von Visperterminen zeigt. Seit Monaten streunen Wölfe nachts um die Häuser, dort, wo tagsüber Kleinkinder spielen. Die Bewohner sind verunsichert, die Züchter verärgert und frustriert. Die Region rund um das Oberwalliser Bergdorf liegt im Streifgebiet des Nanztal-Rudels. Laut dem «Walliser Boten» sind hier seit Jahresbeginn 18 Wolfsangriffe gezählt worden. 27 Schafe und Ziegen sind dabei in geschützten Situationen gerissen worden, 25 Tiere in ungeschützten.

Beschwerde auch gegen Entscheid des Kantons

Besonders bitter für die Betroffenen ist der Umstand, dass Pro Natura, WWF und der Schweizer Vogelschutz und mit ihnen die Richter dafür gesorgt haben, dass das Nanztal-Rudel trotz der offensichtlichen Gefahr nicht entnommen werden durfte. Anfang Jahr hat ein einzelner Instruktionsrichter entschieden, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung nicht zu entziehen. Dadurch konnte das Rudel in der ersten Regulierungsperiode, die von Dezember bis Januar dauerte, kaum dezimiert werden.

Das heute, sechs Monate und über 50 tote Nutztiere später veröffentlichte Gerichtsurteil öffnet in seiner Klarheit weiteren Spekulationen Tür und Tor. Mussten die NGO nicht von Beginn an davon ausgehen, dass ihre Beschwerde vor dem Bundesverwaltungsgericht chancenlos war? Ging es ihnen vor allem darum, die präventive Wolfsregulierung zu verzögern?

In einer Stellungnahme hält Pro Natura fest, dass es beim Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts lediglich um eine «prozessuale Vorfrage» handle. Den Umweltverbänden sei es wichtig, dass die «inhaltlichen Fragen» der Beschwerde bald geklärt werden. Was genau damit gemeint ist und welche materiellen Aspekte sie an den kantonalen Regulationsverfügungen beanstanden, lässt Pro Natura offen.

Klar ist, dass die NGO zweispurig fahren. Die Verbände haben zu Beginn der Wolfsregulation nicht nur Beschwerde gegen die Vormeinung des Bafu erhoben. Auch bei den kantonalen Instanzen sind sie schon längst vorstellig geworden – noch bevor es ihnen das Bundesverwaltungsgericht mit diesem Urteil nahelegen musste. Diese sind bei den Kantonsregierungen hängig und dürften nun neu aufgenommen werden. Möglich ist aber auch, dass die Verbände das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts an das Bundesgericht weiterziehen.

Wie sich die Blockierungsstrategie der NGO auf die weitere Ausführung des Jagdgesetzes auswirkt, wird sich noch zeigen. Im Sommer werden die Kantone die Verfügungen für die anstehende Regulierungsperiode eingeben. Diese wird fortan immer zwischen September und Januar stattfinden – mit Aussicht auf eine Wiederholung des Katz-und-Maus-Spiels zwischen den Verbänden und den Betroffenen.

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