Sonntag, April 20

Das deutsche Hip-Hop-Trio bringt Unruhe in die Musikszene. Mit dem Song «Oktober in Europa» protestieren die drei Rapper gegen die Gleichgültigkeit angesichts des Hamas-Attentats vom 7. Oktober.

Dieser Protestsong ist an keinen Despoten adressiert und an keinen Klassenfeind. Das Lied «Oktober in Europa» der deutschen Band Antilopen Gang sorgt in den deutschen Medien gerade für Furore. Denn darin geisseln die Rapper das Schweigen weiter Kreise der europäischen Öffentlichkeit angesichts des Hamas-Attentats vom 7. Oktober.

Begleitet bloss von einem melancholischen Streichermotiv, schildern die drei Rapper, wie auf den Terroranschlag hingegen eine Woge expliziten oder versteckten Antisemitismus folgte. Mit einer Kippa wage man sich nicht mehr auf die Champs-Élysées, äussert sich der Rapper Koljah. In Deutschland würden wieder Davidsterne an Hausmauern gesprüht, meint Danger Dan: «Ist das jetzt diese sogenannte Israelkritik?»

Zweifelhaft ausgewogen

Die Band nennt einzelne Personen: «Auch Greta hasst Juden», heisst es etwa. Und der Kanzler höre sich zwar bestürzt an – aber: «Danach trinkt er Tee mit den Mördern.» Schliesslich macht man kein Hehl daraus, dass Judenhass im eigenen Alltag und im eigenen Umfeld grassiert.

Nicht nur ein Taxifahrer entpuppt sich als antisemitisch, sondern auch die Bekannten an der Party, die mit zweifelhafter Neutralität aufwarten: Man müsse offenbar beide Seiten sehen, «wenn Terroristen Frauen in Leichenhaufen vergewaltigen», parodiert Danger Dan den politischen Smalltalk.

Die deutsche Band hatte sich im letzten November zusammengefunden, um ein neues Repertoire zu erarbeiten. Dabei sei «Oktober in Europa» wie von selbst entstanden, liessen die Musiker auf Instagram verlauten. «Jeder Versuch eines Liedes, das dieses Thema umschifft, kam uns falsch und belanglos vor – nicht zuletzt angesichts des vielsagenden Schweigens der meisten anderen Musiker.»

Antilopen Gang  - Oktober in Europa

Man mag sich fragen, wie gut das Thema Antisemitismus in das Programm einer Band passt, die für Fun-Punk und parodistischen Rap bekannt geworden ist. Die Antilopen Gang hat allerdings immer auch politische Themen aufgegriffen. Das bisherige Repertoire lässt erkennen, dass es sich bei «Oktober in Europa» nicht um eine einmalige, effektvolle Provokation handelt, vielmehr spricht der Song für politische Konsequenz.

Die Brüder Panik Panzer (Tobias Pongratz) und Danger Dan (Daniel Pongratz), die die Antilopen Gang gegründet haben, wurden von ihren Eltern nicht nur musikalisch gefördert, sondern auch mit einer linken Gesinnung ausgestattet, um alle Formen von Diskriminierung zu bekämpfen. Als Musiker bewegten sie sich zwischen Punk und Hip-Hop in so vielen Milieus, in so unterschiedlichen Kellern und Konzertsälen, dass sie die Vorurteile und Stereotype einzelner Bubbles zu durchschauen lernten.

Kritik gegen links und rechts

Danger Dan hat schon 2008 auf «Sommerlüge» über den verborgenen Antisemitismus in Deutschland gerappt. In «Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt» (2021), einem kabarettistischen Song à la Eisler oder Biermann, hat er vor allem den Faschismus und den Antisemitismus rechtsextremer Politiker und Verschwörungstheoretiker wie Jürgen Elsässer oder Ken Jebsen angesprochen. Mit der Antilopen Gang aber hat er wiederholt auch den linken Antisemitismus thematisiert und den Stumpfsinn im deutschen Hip-Hop.

Bestes Beispiel dafür ist der Song «Nazis rein» (2021). Hier werden zunächst die Hippies ins Visier genommen: «Bei denen hiess Antisemitismus Friedensdemo.» Aber auch die Rap-Kollegen bekommen ihr Fett weg, weil sie Nazis einerseits zwar gerne als «Hurensöhne» bezeichneten. Andrerseits: «Aber sprich die mal auf Israel an» – dann heisse es plötzlich: «Viva Hamas».

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