Im spanischen Fussball tun sich ausländische Investoren schwer. Bestes Beispiel dafür ist der FC Valencia, der in den vergangenen zehn Jahren einen dramatischen Verfall erlebt hat.

Der Pass kommt quer, er ist nicht leicht zu kontrollieren, und Hugo Guillamón empfängt ihn bedrängt. Aber hat der neue Trainer nicht gesagt, es gelte, von hinten raus sauber zu eröffnen, und hat das nicht über weite Strecken auch gut geklappt? Guillamón, Defensivexperte des Valencia CF, will den Ball im Fallen also zu seinem Torwart zurückspielen, statt ihn nur wegzudreschen.

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Es läuft die 5. Minute der Nachspielzeit gegen Real Madrid, Valencia hält noch ein Remis, immerhin, bis zur 85. Minute hat es sogar geführt, und ausserdem agiert es mit einem Mann mehr. Doch schon als der Ball den Fuss von Guillamón verlässt, schreien die Menschen im Estadio Mestalla vor Entsetzen. Der Pass ist viel zu kurz. Reals Jude Bellingham hat keine Probleme, dazwischenzugehen und zum 2:1 für Madrid einzuschiessen.

Ein Treffer, ein Stich ins Herz eines Klubs und einer Stadt, deren Zeiten hart genug sind. Die Partie gegen Real an diesem Freitag im Januar ist ein Nachholspiel von letztem Herbst, als Valencia nach einer Unwetterkatastrophe fast einen Monat mit dem Spielbetrieb aussetzte und das Mestalla anderweitig belegt war, als Essenslager für Notleidende. Fussballmatches lassen sich nachholen, anderes nicht. Die Folgen der Sintflut sind in vielen Vororten noch gegenwärtig: die gestapelten Autos, der Schutt, der zerstörte Teil des Metro-Netzes. Die 224 Toten werden sowieso nicht wieder lebendig.

Der VCF, einst der Stolz der Stadt, ist da schon lange kein Trost mehr. Für das Spiel gegen Real haben Fangruppen zum Boykott aufgerufen, sie versammeln sich in den Häuserschluchten um das Stadion, abgeschirmt von vermummter Polizei. Auf Transparenten und in Gesängen geben sie ihre Klassiker zum Besten: «Peter, vete ya», Peter, hau schon ab, und: «Lim go home». Peter Lim, Investor aus Singapur und Inhaber der Bildrechte seines Freunds Cristiano Ronaldo, ist seit zehn Jahren der Klubeigentümer. Es sind Jahre eines dramatischen Verfalls.

Valencia war lange Spaniens Nummer drei und der letzte Meister, der nicht aus Madrid und Barcelona kam. 2004 war das, im selben Jahr wurde der Uefa-Cup gewonnen, vorher erreichte man zweimal den Champions-League-Final. Die abenteuerlich steilen Tribünen des Mestalla gehörten damals zu Europas schaurigsten Reisedestinationen. Real Madrid bekam hier 1999 in der Copa del Rey ein 6:0 verpasst, und noch 2014 ging der FC Basel nach einem 3:0-Hinspielsieg im Europa-League-Viertelfinal mit 0:5 unter.

Solche Nächte prägen das Selbstverständnis, doch während Real wie fast immer die Tabelle anführt, grüsst Valencia von ihrem Ende: 12 Punkte aus 18 Spielen. Gerade wurde mit Carlos Corberán vom englischen Zweitligisten West Bromwich ein neuer Trainer verpflichtet, und zu seinem Einstand gelingt immerhin ein typischer Mestalla-Match, voller Klaustrophobie, Leidenschaft und Zank.

Valencia übersteht so einiges, Bellingham verschiesst einen zweifelhaften Elfmeter, ein brillantes Tor von Kylian Mbappé wird wegen Abseits aberkannt, und als Vinícius Júnior – Staatsfeind Nummer eins in Valencia seit einer Polemik infolge rassistischer Beleidigungen gegen ihn vor zwei Saisons – nach einer Tätlichkeit die rote Karte bekommt, johlen die Menschen, als wäre alles noch wie zu den grossen Zeiten, wenigstens für eine Nacht.

Doch am Ende ist es nur eine Nacht der Ära Lim, eine Nacht von Frust, Protest, Uneinigkeit. Vor dem Anpfiff liefen im Stadion alte Schlager, während von draussen der Lärm von Trillerpfeifen hereindrang. Die Mehrheit der Anhänger war auf ihren Plätzen, die aus der Kurve blieben zunächst im Streik, kamen aber irgendwann doch noch. Selbst ins Publikum mischten sich schwer bewaffnete Polizisten. Als der Stadionsprecher vor dem Anpfiff zu einem leeren Fanblock rief: «Auf geht’s, wie immer zusammen für den Sieg», klang es wie aus der Satire.

«Lim go home»: In einer besonders bizarren Episode wurde ein Pärchen aus Valencia vor ein paar Monaten in Singapur von der Polizei verhaftet, weil es einen entsprechenden Aufkleber an der Haustür des Investors angebracht hatte. «Der Klub ist verloren», klagte Santiago Cañizares, wasserstoffblondierte Torwartlegende, dieser Tage einmal wieder: «Alles richtet sich nur danach, dass Lim nicht mehr Geld hineinstecken muss.»

Dabei wurde der 70-Jährige noch als Heilsbringer präsentiert, als er 2014 auf der Bildfläche erschien. Der auf rund 1,7 Milliarden Dollar Vermögen geschätzte Ex-Börsenmakler sollte den verschuldeten Klub nicht nur sanieren, sondern auch potenzieren. So wie es internationale Besitzer in der englischen Premier League tun. Am Anfang zahlte Lim auch. Dann sah er, dass es sich nicht lohnt, und seither wird gespart.

Herausgekommen ist ein Lehrstück darüber, dass auswärtige Investments in La Liga für keine Seite funktionieren. Die Neuankömmlinge sind frustriert über die limitierten Wachstumschancen im spanischen Fussball, in dem Real Madrid und der FC Barcelona unerreichbar über den Rest thronen und fakturieren. Derweil die Fans am distanzierten, rein zahlenorientierten Führungsstil der Investoren verzweifeln.

Erfolglosigkeit in Business wie Sport – das derzeitige Tabellenbild könnte aussagekräftiger kaum sein. Auch die weiteren Abstiegsränge belegen mit dem Valladolid des brasilianischen Ex-Stars Ronaldo und dem Espanyol Barcelona des chinesischen Unternehmers Chen Yansheng zwei Vereine mit ausländischen Besitzern. Der Traditionsklub Espanyol ist unter Chen (seit 2015) bereits zweimal abgestiegen.

Immerhin das möchte auch Lim vermeiden – es würde seine Geldanlage noch weiter devaluieren. Bei einem attraktiven Angebot hingegen könnte er verkaufen. Doch ein solches ist so lange illusorisch, wie das «Nou Mestalla» nicht fertig wird.

Das «neue Mestalla» steht seit 15 Jahren an einer Ausfallstrasse nördlich der Innenstadt – als steingewordene Metapher für Ambitionen und Dekadenz. Der Rohbau ist imposant, vier Stockwerke mit muschelförmigen Tribünen. Doch darunter hängen Kabel lose herum, wuchert Unkraut. Bis auf eine nahe Bar, die optimistisch «Cerveceria nuevo estadio» heisst, hat bis heute nie etwas geöffnet. Wo anfangs wegen der Wirtschafts- und Immobilienkrise das Geld ausging, tat sich auch unter Lim lange nichts und gelangte der Stillstand bis an einen Punkt, an dem Valencia, Spaniens drittgrösste Stadt, bei der Wahl der Ausrichter der WM 2030 aussen vor blieb – eine weitere Demütigung.

Doch nun soll es plötzlich vorangehen. Nach der jüngsten Aktionärsversammlung, die Lims Statthalter wegen Protestgesängen der Mitglieder abbrechen und in privatem Kreis fortsetzen mussten, wurde die Wiederaufnahme der Arbeiten für den 10. Januar verkündet. Tatsächlich waren am Freitag des Real-Spiels an einer Lücke im Bauzaun bereits drei Arbeiter zugange. Bis Ende 2027 soll das Projekt abgeschlossen sein. In Valencia wird der Glaube zuletzt sterben.

So wie bei der Mannschaft gegen Madrid. In der 11. Minute der Nachspielzeit aktiviert Luis Rioja noch einmal alle Illusionen der Nacht, zieht mit dem Ball in Richtung Mitte, die Zuschauer springen auf, er sendet einen phantastischen Schuss an den oberen Innenpfosten des Kreuzecks. Von dort geht ein Ball normalerweise ins Tor, wie oft hat man das schon gesehen. Riojas Ball springt vom Innenpfosten weg. Entlang der Torlinie, nicht dahinter. Dann ist Schluss.

Es ist nicht die Zeit für Traumtore und Happy Ends in Valencia. Es war nur wieder einer dieser Abende, an denen sie sich wie verflucht fühlen müssen.

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