In zwanzig Tagen haben der britische Superstar und die amerikanische Country-Sängerin zusammen ein Album aufgenommen. Beide zeigen sich dabei von ihrer besten Seite.

Elton John ist nicht mehr gut zu Fuss. Da helfen auch die beiden Knieprothesen wenig. Dazu kommt eine nicht ganz ausgeheilte Augenentzündung, die ihn im vergangenen Sommer beinahe erblinden liess. Deshalb bewegt sich der 77-jährige Hitparadenstürmer mit kleinen und unsicheren Schrittchen über die Bühne hin zum Konzertflügel.

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Dann aber, als er sich das Mikrofon zurechtgeschoben und zum ersten Mal kräftig in die Tasten gehauen hat, ist er mit einem Schlag wieder der Alte: ein witziger Showman mit stupender Klaviertechnik und einer Stimme, mit der er im tiefsten Nebel von Land aus Schiffe in den Hafen lotsen könnte.

Triumphales Konzert

Vor zwei Jahren beendete der britische Pop-Star den Auftritt am Glastonbury Festival mit einer Rücktrittserklärung: Er wollte künftig auf stressige Tourneen verzichten, um mehr Zeit mit dem Ehemann und den zwei Söhnen zu verbringen und um auch wieder einmal ein Heimspiel des heissgeliebten FC Watford zu besuchen.

Offensichtlich aber ist ihm die Lust am Songwriting noch nicht vergangen. Mit einem gemeinsamen Auftritt Ende März im intimen Londoner Palladium Theatre feierten er und die amerikanische Singer-Songwriterin Brandi Carlile die Taufe ihres Duett-Albums «Who Believes in Angels?».

Der fürs Fernsehen gefilmte Auftritt geriet zum Triumph. Es begann mit dem neuen Titelstück, einer Ballade im klassischen Elton-John-Stil, danach rockte das Duo mit den euphorischen Stücken «Swing for the Fences» und «Little Richard’s Bible» los. «Der Song handelt von Little Richard, der schwul war, und der sich schlecht fühlte, weil er schwul war», erklärte Elton zur Einführung. Nach einigen Evergreens aus dem Repertoire von beiden Stimmen endete das Konzert vor einem mit Stars gespickten Publikum mit einem fulminanten «I’m Still Standing» und minutenlangen stehenden Ovationen.

Die Verbindung von Elton John mit der in den letzten Jahren vor allem in den USA höchst erfolgreichen, tief in der Country-Geschichte verwurzelten Singer-Songwriterin ist keine kommerziell motivierte Zufallsbekanntschaft. Carlile erklärte schon vor Jahren in einem Interview, sie habe dank Elton John überhaupt erst die Musik für sich entdeckt. Als 12-jähriges Mädchen sei sie in der Heimatstadt Seattle die Einzige gewesen, die mit einem Elton-John- statt einem Nirvana-T-Shirt herumging. Nur seinetwegen habe sie dann auch ihren ersten Song geschrieben.

Who Believes In Angels? Stories From The Edge Of Creation (Official Trailer)

Als sich ihre Teenagerzeit dem Ende zuneigte, entdeckte sie allerdings die Country- und Western-Klassiker, die zur täglichen Kost ihrer Eltern gehörten. Und während sich die Peers in den neunziger Jahren für Grunge begeisterten, tauchte sie tief in die Country-Tradition ein.

Auch dabei begegnete sie wieder Elton John. Zutiefst beeindruckt von Künstlern wie Hank Williams und Jim Reeves, aber auch vom wegweisenden Album «Music from Big Pink» von The Band, hatte dieser mit «Tumbleweed Connection» schon 1970 ein Konzeptalbum mit amerikanischen Country- und Western-Themen veröffentlicht.

Endlich griff Carlile zum Telefon, um den bewunderten Superstar um einen Gastauftritt auf ihrem nächsten Album zu bitten. Dieser nahm die Einladung an, das Resultat ist das Stück «Caroline» auf dem Album «Give Up the Ghost» (2009). Schon damals zeigte sich, dass die beiden Stimmen wunderbar zusammenspielten. Auch hätten sie sich sofort blendend verstanden, zumal sie sich beide intensiv für die Belange der LGBTQ+-Gemeinde einsetzten. Sie sollen dann sogar regelmässig zusammen in die Ferien gefahren sein.

Ganz einfach aber war die gemeinsame Produktion nun aber nicht. Das zeigt ein zeitgleich mit dem Album veröffentlichter Film, der die Entstehung des Albums dokumentiert. Der 78-jährige Elton John spricht freimütig über die Zweifel, die ihn plötzlich überkamen: «Mir ging es gesundheitlich sehr schlecht, und ich wollte nur noch weg. Es war alles ein schrecklicher Albtraum.» Der Produzent Andrew Watt musste den aufgebrachten Musiker beruhigen: «Du bist so ungeduldig!»

Gut und spontan

Brandi Carlile, in deren Haus in Los Angeles Elton John während den Aufnahmen wohnte, fragte sich ihrerseits, ob dieser überhaupt mit ihr arbeiten wolle. «Der Austausch war äusserst schwierig.» Erst als der Brite realisiert habe, dass sich nicht alles um ihn drehe, dass auch andere Leute mit Herzblut an diesem Projekt beteiligt seien – auch Elton Johns langjähriger Texter Bernie Taupin ist mit von der Partie –, habe er sich beruhigt.

Der Knopf löste sich nach fünf Tagen mit dem Song «The Rose of Laura Nyro», gewidmet der verkannten bisexuellen New Yorker Sängerin. Irgendwie habe alles plötzlich wunderbar Sinn ergeben. Die restliche Arbeit war innert vierzehn Tagen erledigt. «Who Believes in Angels?» ist ein starkes Album geworden, auf dem sich Brandi Carlile und Elton John von ihrer besten und spontansten Seite zeigen.

Elton John & Brandi Carlile: Who Believes in Angels? (Universal).

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