Mittwoch, Oktober 23

Der australische Rockstar hat im Zürcher Hallenstadion neuere Lieder über Tod und Erweckung vorgestellt. Die Höhepunkte setzte er indes mit Klassikern seines Repertoires.

Da ist er wieder, Nick Cave. Mit dem Schwung und der Verve eines TV-Moderators hüpft der hochgewachsene, 67-jährige Rocksänger aus Australien am Dienstagabend auf die Bühne des vollen Zürcher Hallenstadions, wo ihn die Bad Seeds begleiten. Die zehnköpfige Band, die vom Geiger und Keyboarder Warren Ellis geführt wird, macht sogleich einen symphonischen Radau, der sich aus Rock, Punk, Folk, Gospel und etwas Klassik speist.

Wie seit Jahren erscheint Nick Cave nicht in Jeans und in Lederjacke wie viele seiner Kollegen. Vielmehr trägt der Rocksänger Krawatte und den grauen, tadellosen Anzug, der zu einem Markenzeichen geworden ist. Mit etwas spekulativer Grosszügigkeit darf man annehmen, dass der Australier eleganter angezogen ist als jeder andere in der grossen Halle.

Liebe, Leiden, Leidenschaft

Für Nick Cave ist Rock’n’Roll eben nicht ein Kult oberflächlicher Symbolik. Viel wichtiger ist ihm einerseits ein persönlicher Stil. Andrerseits versteht er die Musik als inneren Antrieb, als psychische Druckkraft. Und wenn er in «Frog», dem ersten Song des Konzerts, mit lauter, kehliger Stimme singt, er sei «amazed of love» und «amazed of pain», wird klar, welche Energien in der Seele gären: Liebe, Leiden, Leidenschaft. Bis diese sich aber bündeln zum expressiven Motiv, bis sie sich dressieren lassen im Gesang, braucht es viel Anstrengung.

Bei Nick Cave beginnen die Wehen des Gesangs mit Stossseufzern und Stossgebet. Bevor er sich als Bariton-Crooner über den breiten, tosenden Sound der Band erheben kann, muss er krächzend das Eis brechen auf der Seele und den Fallout der Frustrationen aus seinem Stimmorgan weghusten.

Der physische Kampf drückt sich aus in einer beredten Gestik: Die Arme rudern, flattern, die Faust wird geschwenkt, der Zeigfinger ausgefahren, während der Sänger das Mikrofon stets an das von Krämpfen und Krähenfüssen gezeichnete Gesicht presst. Und immer wieder kommt der Rockstar mit Trost und Einsichten aus dem Kampf akustischer Elemente heraus.

Es gibt im Rock’n’Roll einen Kult um Aufsteiger, einen Kult um gefallene Stars. Nick Cave aber wird als Überlebenskünstler verehrt. Er hat seine eigenen Drogenabstürze überlebt und den tragischen Tod zweier Söhne. Seiner Lebenserfahrung verdankt er das Vertrauen und Ansehen seiner zumeist reifen, erwachsenen Fans. Von Beginn des Konzerts an strecken sie ihrem Heiland, der über dem Publikum aufragt wie ein Säulenheiliger, die Hände entgegen. Und sich bückend, tätschelt Nick Cave diese scheinbar mit ritueller Beiläufigkeit ab.

Seine Erfahrungen sind freilich auch in die Musik eingeflossen. Auf seinen letzten drei, vier Alben hat sich Nick Cave mit dem Tod auseinandergesetzt, aber auch mit Erleuchtung und Erlösung. Man kann das aus der Thematik seiner rhapsodisch-ausladenden Songs heraushören. In «Joy», einem Song des letzten Albums «Wild God», hat der Sänger buchstäblich den Blues, gleichwohl wird er von einem Geist aufgefordert, die Sorgen endlich hinter sich zu lassen. Im neuen «Conversion» wird ein Mädchen ausgerechnet auf dem nebligen Friedhof von einem Gott erleuchtet.

Oft wird das Erweckungsmoment durch einen formalen Bruch markiert – das zeigt sich in «Conversion» ebenso wie in «Jubilee Street», wo die «transformation» durch das Fortissimo von Glocken, Pauken und Gospelchor hervorgehoben wird. Dass diese dynamischen Steigerungen in Zürich nie recht zur Geltung kommen, liegt vor allem an den Verstärkeranlagen, die so laut aufgedreht worden sind, dass man stets durch Ohrenschmerzen und ein Nick-Cave-Echo gestört wird. Das Ärgernis trübt das Konzerterlebnis über weite Strecken. Man hofft den ganzen Abend lang vergeblich auf Gnade der Sound-Mischer.

Manische Intensität

In einigen Klassikern zeigt Nick Cave dann aber doch noch seine künstlerische Brillanz: Zumeist sind es Stücke, in denen es weniger um Entwicklungen geht als um offene Formen, in denen er sich als Sänger, aber auch als Shouter oder Prediger frei in Szene setzen kann. Das gilt etwa für «Tupelo», einen Titel, der Elvis Presleys Geburtsort gewidmet ist: Bevor der King im Kaff zur Welt kommt, wird es von einem apokalyptischen Sturm heimgesucht.

Die Höhepunkte aber setzt Nick Cave in zwei Songs, in denen die musikalische Expressivität durch manische Wiederholungen angeheizt wird, die ihm bestens liegen. «From Her To Eternity» handelt von einem Mann, der keine Ruhe findet, weil in der Wohnung über ihm ein Mädchen die ganze Nacht lang herumläuft und weint. Weit dramatischer ist die Situation in «Mercy Seat»: Hier wartet der Verurteilte auf dem elektrischen Stuhl auf die Vollstreckung des Urteils.

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