Donnerstag, Februar 6

Künstliche Intelligenz nimmt uns Arbeit ab. Aber sie antwortet auch auf Fragen und geht auf unsere Wünsche ein. Der Philosoph Christian Uhle fragt, was das für die Zukunft bedeutet.

Worin besteht die Verführungskraft der schönen neuen KI-Welt, wie sie sich seit der Einführung von Chat-GPT im November 2022 immer konkreter abzeichnet? Wenn Christian Uhle recht hat, nicht allein darin, dass uns die neue Technologie unliebsame Arbeiten abnehmen kann. Und auch nicht darin, dass die Tech-Konzerne uns versprechen, «mehr Zeit für das Wichtige im Leben» zu haben.

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Für den deutschen Philosophen liegt das Sirenenhafte der KI-Applikationen und der mit ihnen verbundenen Versprechen darin, dass sie auf unsere regressiven Wünsche und Sehnsüchte abzielen: «Sie werden», schreibt Uhle in seinem elegant geschriebenen, klug argumentierenden Buch «Künstliche Intelligenz und echtes Leben», «in vielerlei Hinsicht so sein, wie wir uns in unserer Jugend möglicherweise unsere Eltern gewünscht hätten, die uns bedingungslos so annehmen, wie wir sind, uns immer unterstützen und nichts dafür verlangen.»

Was die Tech-Konzerne des Silicon Valley versprechen, ist eine Welt, in der ich niemals allein sein muss, in der alles mit allem verbunden ist und in der ich wie im Schlaraffenland behütet und umsorgt werde. Eine Welt, in der schon beim Aufsperren der Wohnungstür mein Gemütszustand erkannt, das Licht entsprechend gedimmt und wie von Zauberhand das passende Musikstück aufgelegt wird, während die Kaffeemaschine den tröstenden Milchkaffee zu brühen beginnt.

Das einzig Wahre im Leben

Oder eine Welt, in der es ein permanent verfügbares, aufmerksames Gegenüber gibt, das mich scheinbar wirklich versteht. Anders als der vielleicht launische, manchmal unaufmerksame oder verständnislose reale Partner. Als Beispiel erinnert Uhle an die «South Park»-Folge «Deep Learning»: Darin beginnt Stan, ein Teenager, die Kurznachrichten seiner Freundin heimlich von Chat-GPT beantworten zu lassen. Die Folge ist, dass sich die Beziehung überraschend verbessert. Die ahnungslose Freundin ist voller Dankbarkeit für Stans auf einmal so einfühlsame Antworten: «Danke, dass du das einzig Wahre in meinem Leben bist.»

Nur einen Schritt weiter, und man könnte auf die Idee kommen, den unperfekten realen Partner gleich ganz zu ersetzen. Das sei keine Science-Fiction, so Uhle. 2023, schreibt er, seien bei Google die Anfragen nach «AI Girlfriends» um 2400 Prozent gestiegen. Als die App «Replika» die Funktion vorübergehend einstellte, die den Nutzern einen «Freund ohne Vorurteile, Depressionen oder soziale Angst» zu liefern verspricht, hätten sich unzählige verzweifelte Nutzer gemeldet, die ihre virtuelle «Freundin» hätten zurückhaben wollen.

Selbstverständlich, betont Uhle, beruhe der Eindruck, dass eine KI-App uns verstehe, auf einem Fake. Die Empathie der KI ist vermeintlich, eine Simulation: Ergebnis einer komplizierten Wahrscheinlichkeitsrechnung auf Grundlage von Sprachmodellen und Mustererkennungsanalysen. Es gehört zu den Stärken von Uhles Buch, dass es den algorithmischen Hokuspokus so nachvollziehbar und verständlich erklärt wie wenige vor ihm.

«Intelligence» heisst nicht Bewusstsein

Damit einher geht seine Kritik am Begriff «künstliche Intelligenz», der aufgrund des mehrdeutigen englischen «intelligence» im Deutschen eine zusätzliche, unnötige Vermenschlichung der Technologie nahelegt: Man sollte «artificial intelligence» daher als «künstliche Informationsverarbeitung» verstehen und auf keinen Fall mit «künstlichem Bewusstsein» verwechseln.

Trotz seiner Kritik zählt Christian Uhle nicht zu den Maschinenstürmern. Egal, ob es um mit KI-Algorithmen aufgerüstete Dating-Apps, Übersetzungstools oder den KI-Einsatz in Berufswelten geht, er betont auch die positiven Potenziale dieser Applikationen. Mit Recht erinnert Uhle daran, dass die Entwicklungen weder unvermeidlich sind noch schicksalhaft über uns kommen: Die Zukunft sei offen, und es seien wir, die den Lauf der Dinge in der Hand hätten.

Umso wichtiger ist es deshalb für Uhle, den Möglichkeitsraum auszuloten. Beim Skizzieren von Zukunftsszenarien greift der Philosoph auf Beispiele aus Mythologie und Literatur von Homer bis «Harry Potter» zurück. Gerade das Potenzial von KI-Assistenzen sei enorm und reiche von jederzeit verfügbaren Nachhilfekräften bis zur aufmerksamen Helfer-KI für ältere Menschen, die dank der Unterstützung länger zu Hause leben könnten.

Der grösste Kuppler

Deutlich wird: Der Möglichkeitsraum reicht in beide Richtungen verblüffend und mitunter erschreckend weit. Beispiel Partnersuche und Dating-Apps: Eine KI könnte einsame, depressive Menschen wie ein ständig zur Seite stehender Coach oder Therapeut aufmuntern und ermutigen, könnte Tipps zum Flirten geben und letztlich «zum grössten Kuppler in der Geschichte» werden – oder, im Fall einer toxischen KI, gerade die Nutzer noch mehr isolieren und in die emotionale Abhängigkeit führen.

Die entscheidende Frage lautet deshalb für Uhle: Führt uns KI zu mehr Autonomie, Selbstwirksamkeit und Mündigkeit? Oder schickt sie uns in eine Abhängigkeitsspirale, bei der unsere Fähigkeiten verkümmern? Die Antwort, so Uhle, würden das jeweilige Technologiedesign geben und vor allem das dahinterstehende Geschäftsmodell. Mit Blick auf den Erfolg der Social-Media-Plattformen könnte man mit dem Schlimmsten rechnen. Schliesslich leben diese nach dem Gesetz der Aufmerksamkeitsökonomie davon, die Nutzer mit allerlei Tricks zum Dauerkonsum zu verleiten.

Womöglich verlaufen positive wie negative Entwicklungen aber auch parallel: etwa mit KI für zahlende User, welche die Autonomie stärkt, und problematischer, die kostenlos ist. Einen Vorgeschmack gibt die Social-Media-App «Snapchat», die für ihre überwiegend jugendlichen Nutzer kostenlos einen Chatbot «My AI» fest verankert hat. «Ich bezweifle», schreibt Uhle, «dass sich die Eltern dieser Millionen von Kindern darüber im Klaren sind, dass ihre Kinder aktiv und gezielt dazu verführt werden, ihre Sorgen mit einer KI zu teilen.»

Christian Uhle: Künstliche Intelligenz und echtes Leben. Philosophische Orientierung für einen gute Zukunft. S.-Fischer-Verlag, Frankfurt am Main 2024. 304 S., Fr. 37.90.

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