Der SC Freiburg ist längst mehr als der Bundesliga-Aussenseiter nahe der Schweizer Grenze. Das verdeutlichen auch die Umsatzzahlen.

In Freiburg waren die Wege zum Fussball einst kürzer. Wer dem Stau im Zentrum entkommen wollte und mit dem Zug ankam, der konnte durch die Innenstadt gehen, am Fluss, der Dreisam, entlangspazieren und schliesslich das Stadion erreichen, das nach dem Fluss benannt war. Eine legendäre Spielstätte, ein Ort, an dem der Ruf des SC Freiburg begründet wurde. Klein, eng, mit steilen Rängen. Nur 24 000 Zuschauer passten hinein.

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Ein Idyll, einzigartig im deutschen Spitzenfussball. Provinziell, fast dörflich, aber fussballerisch doch so bedeutsam, dass jeweils die ganze Republik in den äusseren Zipfel des deutschen Südwestens schaute.

Das Stadion ist nahezu immer ausverkauft

Wer heute in Freiburg zum Fussball will, muss nicht mehr durch die Innenstadt. Er kann die neue Arena, die den Namen Europa-Park-Stadion trägt, von der Autobahn aus erreichen. Knapp 35 000 Zuschauer fasst das Stadion, und es ist immer restlos ausverkauft, so dass sich die Frage an den Freiburger Finanzvorstand Oliver Leki aufdrängt: Warum in aller Welt liess der Klub vor ein paar Jahren eine so kleine Spielstätte bauen?

Leki hält nicht lange inne und kontert mit einer Anekdote: «Damals musste ich mir immer wieder anhören: ‹Wie kann man für so einen kleinen Standort so ein grosses Stadion bauen?› Die gleichen Leute, die aufgrund der hohen Ticketnachfrage heute keine Karten kriegen, sagen nun: ‹Wie konnte man nur so klein bauen?›»

Der kleine Standort Freiburg und seine Strahlkraft: Das ist das zentrale Thema des Freiburger Vorstandsmitglieds, das seit zwölf Jahren im Klub ist. Und wenn er auf die Zeit verweist, in der die neue Arena geplant sowie gebaut wurde, und auf jene, in der der SC Freiburg heute Fussball spielt, dann spricht Leki über die erfolgreichsten Jahre der Vereinsgeschichte.

Eine Rasanz, die damals kaum jemand für möglich gehalten hätte, erst recht, wenn man auf diese Saison schaut: Die Freiburger befinden sich zwei Runden vor Schluss mitten im Kampf um einen Platz in der Champions League. Der Trainer Julian Schuster («Lieber ein 5:4 als ein 1:0») reüssiert – erstaunlich genug – mit negativer Torbilanz. Am Sonntagabend resultierte ein 2:2 gegen Leverkusen.

Wie ein Wunder erscheint diese Saison manchem Anhänger. Zumal es nicht irgendeine Spielzeit für die Freiburger ist, sondern die erste nach der Ära des Trainers Christian Streich. Jenes Manns, der fast drei Jahrzehnte auf verschiedenen Positionen im Klub verbrachte, der vom Juniorentrainer zum Cheftrainer wurde und in Freiburg eine fussballerische Signatur entwickelte, die weit in die Fussballrepublik ausstrahlte. Streich – das war ein Maestro mit der Attitüde des Fussball-Intellektuellen.

Er war nie um eine Antwort verlegen, ganz gleich, wozu er befragt wurde. Ein Geschenk für den Klub. Niemand, der sich in irgendeiner Weise formen oder lenken liess, sondern ein Solitär mit all seinen Licht- und Schattenseiten. Nicht die Freiburger erklärten Christian Streich zum «Kulttrainer». Man kann sich vorstellen, dass die Versuchung andernorts gross gewesen wäre, aus Streich einen ganz speziellen Markenbotschafter zu machen.

Finkes «Konzept- statt Heroenfussball»

Verwertbar sein für den Klub: Auf diesen Gedanken wäre man bei Streich nie gekommen. Zu eigensinnig war er, zu vertieft in die ganz eigene Idee von Fussball, zu durchdrungen vom Sendungsbewusstsein, auch dann, wenn einmal nichts zu sagen gewesen wäre. Als Freiburg 2015 abstieg, stand für den Klub ausser Frage, mit dem Trainer in die zweite Liga zu gehen. Die Konstanz wurde belohnt, Freiburg stieg mit Streich prompt wieder auf. Dessen Treue zum Sport-Club war unerschütterlich. Bis er in der vergangenen Saison etwas tat, was für die Freiburger Fans unvorstellbar war: Streich verzichtete auf seinen Posten.

Es sind eben nicht nur materielle Dinge, die einen Klub zu einem grossen machen. Wenn es um Freiburg geht, dann ist es die schillernde Historie, die im Übrigen gar nicht so lange ist. Der Freiburger Mythos, der sich bis heute hartnäckig hält, stammt aus den 1990er Jahren, als ein Trainer namens Volker Finke sich aufmachte, einen Fussball spielen zu lassen, der sich von dem der Konkurrenten unterschied. Bescheiden in den Mitteln, effektiv im Ergebnis – so lautete Finkes Maxime, die er in der prägnanten Formel bündelte: «Konzept- statt Heroenfussball.» Mit Finke als Coach wurde Freiburg zum Biotop und Labor gleichermassen. Im Südwesten entstand, was man mit Fussballkultur nicht allzu hochfahrend beschrieben hat.

Und die Freiburger System-Fussballer lehrten die Konkurrenten das Fürchten, die «Breisgau-Brasilianer» begeisterten die Liga. Als der damalige Torhüter Richard Golz einmal gefragt wurde, was es denn mit dem intellektuellen Flair der Universitätsstadt zu tun habe, antwortete er schlagfertig: «Vor lauter Philosophieren über Schopenhauer kommen wir gar nicht mehr zum Trainieren.»

Prominentester Fan der Freiburger in diesen Jahren war der Literaturnobelpreisträger Günter Grass. Als er bei einem Spiel gegen Borussia Dortmund von einem Reporter gefragt wurde, wie ihm der Spieler But gefallen habe, sagte er in Anspielung auf das eigene Werk: «Ja, sicher war er ganz gut, aber mein ‹Butt› ist besser.»

Auf den ersten Blick ist es Folklore. Auf den zweiten allerdings so etwas wie immaterielles Kapital. Und in solchen Episoden liegt eine besondere Pointe: Zwar wollte Finke keinen Heldenfussball, aber er hatte doch nichts gegen originelle Charaktere. Und eines ist bis heute so geblieben: Freiburg ist und war nie der Klub der Stars. Eher ging es um Fussballideen, die von charismatischen Trainern vertreten wurden.

Abfindungen wurden in Freiburg nicht gezahlt

Sechzehn Jahre verbrachte der Mann, der den Heroen misstraute, in Freiburg. Und Finke wies damit die Richtung für vieles, was nach ihm kommen sollte. Wer heute mit dem Vorstandsmitglied Leki über die Grundlagen des Freiburger Erfolgs spricht, der bekommt eine einfache Antwort: «personelle Kontinuität – und zwar auf allen Positionen.» Da könne man den Trainer Streich heranziehen, aber auch andere Figuren im Klub, die den Verein in- und auswendig kennten und schon lange dabei seien. Zu ihnen zählt auch der neue Coach Julian Schuster. Er kennt den Verein aus seiner Zeit als Profi bestens; bevor er zu Streichs Nachfolger berufen wurde, war er der Verbindungstrainer zwischen dem U-23- und dem Bundesliga-Team.

Einen solchen Mann zum Cheftrainer zu machen, steht in gewisser Weise auch für jenes «organische und gesunde Wachstum», das Leki beschwört. Die Leute, auf die es zu setzen gilt, sind bereits im Klub. Diese Konstanz auf der Schlüsselposition hatte für die Freiburger noch einen ganz anderen Effekt: Einen guten Teil des Eigenkapitals habe man deshalb ansparen können, weil keine Abfindungen hätten gezahlt werden müssen.

Eigenheiten und Charakter – Qualitäten, die auf den ersten Blick wie Beiwerk erscheinen. Diese zu bewahren, auf einem rasanten Wachstumspfad, ist eine heikle Aufgabe, dessen ist sich Leki bewusst. Andererseits hat der Freiburger Geschäftsführer früh begriffen, woraus sich für einen Klub, der auf den ersten Blick nicht allzu gross erscheint, Kapital schlagen lässt: Freiburg hat, rein geografisch betrachtet, eine ganz spezielle Lage – es liegt in der Nähe des Dreiländerecks aus Frankreich, Deutschland und der Schweiz.

Eine Strahlkraft, die bis nach Basel reicht, aber auch bis ins Elsass. Abgelegen zwar, wenn es um die unmittelbare Nähe zu den Metropolen geht. Aber das müsse kein Nachteil sein, sagt Leki: «Als ich nach Freiburg kam, gab es nicht wenige, die sagten, wir haben als Bundesligist einen klaren Wettbewerbsnachteil aufgrund unserer geografischen Lage. Ich sehe das bis heute komplett anders: Für mich ist es eher eine Stärke als eine Schwäche. Ich glaube, wir haben dadurch sogar einen Vorteil, weil wir eben so weit im Südwesten nicht diese Wettbewerbssituation haben, wie zum Beispiel im Westen.»

Sieben Prozent der Mitglieder leben in der Schweiz

Im Westen: Dort herrscht Konkurrenz auf engstem Raum, dort spielen Schalke und Dortmund, Bochum, Köln und Leverkusen. Anders gestaltet sich die Situation für den SC Freiburg: Der Klub hat in seiner Region keine Konkurrenten, wenn es um potenzielle Sponsoren geht. Leki spricht von etlichen interessanten Unternehmen, auch wenn darunter kein in der Region beheimateter DAX-Konzern ist. Und vor allem im südlichen Nachbarland findet der SC viel Anklang. Sieben Prozent der rund 70 000 Mitglieder kämen aus der Schweiz, sagt Leki, und zwar, ohne dass die Freiburger deren Mitgliedschaft mit Kampagnen beworben hätten.

Die Mitgliederzahl ist über die Jahre gewachsen, und das hat den Klub mittlerweile zu einer stattlicher Grösse geführt. Wird Leki nach den Dimensionen, in denen der Verein mittlerweile angelangt ist, gefragt, so zitiert er Christian Streich. Der hat einmal gesagt, der SC sei ein «kleiner, grosser Fussballklub». Das lässt sich auch finanziell quantifizieren: Mittlerweile setzen die Freiburger jährlich 200 Millionen Euro um, zuletzt wurde ein Gewinn von 40 Millionen Euro erwirtschaftet.

Und natürlich gibt es in Freiburg Dinge, wie man sie in jedem Bundesliga-Stadion findet: Business-Logen, einen grossen VIP-Bereich, wenngleich die Nachfrage das Angebot in Freiburg bei weitem übertrifft. Völlig unmöglich wäre das am alten Standort gewesen, mitten in der Stadt.

Aber auch das zeigt: Die Verhältnisse, in denen sich die Freiburger heute wiederfinden, wären den meisten vor einem Jahrzehnt noch unbegreiflich gewesen. Und auch sportlich sind die Perspektiven längst andere, was die Möglichkeiten auf dem Transfermarkt erhöht: «Auch bei uns kann man mittlerweile ganz gut Geld verdienen», sagt Leki.

Einstweilen aber fiebern die Freiburger einer Premiere entgegen: Champions League im Europa-Park-Stadion.

Exit mobile version