Diverse Sportverbände haben Massnahmen gegen die Sexualisierung von Athletinnen ergriffen. Ausgerechnet der grösste Sportartikelhersteller der Welt verdeutlicht vor den Olympischen Spielen in Paris, dass Sexismus im Sport immer noch ein Problem ist.
Beim US-Sportartikelhersteller Nike müssen sämtliche Kontrollmechanismen versagt haben. Anders lässt sich das Design der Wettkampfkleidung der amerikanischen Leichtathletinnen für die Olympischen Spiele im Sommer in Paris nicht erklären.
In Paris, der Hauptstadt der Modewelt, präsentierte Nike in der vergangenen Woche die Kleidung, die das amerikanische Team an den Sommerspielen tragen wird. Der Dress der Leichtathletinnen sorgte in der Öffentlichkeit für einen Aufschrei. Der pinkfarbene Body ist an den Beinen tief ausgeschnitten. So wie man es aus der TV-Serie Baywatch oder Aerobic-Videos aus den 1990er Jahren kennt. Für die Männer hingegen hat Nike wie üblich ein ärmelloses Shirt und Shorts entworfen.
Lauren Fleshman, die amerikanische Meisterin über 5000 Meter, brachte es in den sozialen Netzwerken auf den Punkt. Sie schrieb: «Frauen sollten Sport betreiben können, ohne befürchten zu müssen, dass die intimsten Körperstellen sichtbar sind.» Sie nannte das Outfit «respektlos» und «absurd». Viele Sportlerinnen fanden ausserdem, die Kleidung sei für Wettkampfsport völlig ungeeignet.
BREAKING: Here’s your first look at the new @Nike kits that will be worn by the U.S. track and field team at the 2024 Olympics in Paris. pic.twitter.com/XPWOnBrwsv
— CITIUS MAG (@CitiusMag) April 11, 2024
Nike verteidigt sich mit schwachen Argumenten
Zahlreiche Sportverbände haben in der jüngeren Vergangenheit die Bekleidungsvorschriften gelockert und weitere Massnahmen ergriffen. Oft geschah das nach Protesten von Athletinnen. Die deutschen Turnerinnen erstritten sich das Recht, an den Olympischen Spielen 2021 in Tokio mit hautfarbenen Anzügen unter dem Turndress anzutreten. Der Schweizerische Turnverband (STV) hat im vergangenen Jahr Richtlinien für Fotografen veröffentlicht, um anzügliche Fotos der Athletinnen zu verhindern. Veröffentlichen Medien heikle Aufnahmen dennoch, werden sie vom STV höflich, aber bestimmt auf das Fehlverhalten aufmerksam gemacht.
Beachvolleyballerinnen dürfen seit 2012 tragen, was sie möchten. Anders als früher sind sie nicht mehr verpflichtet, einen einteiligen Badeanzug oder einen Bikini mit einer Seitenbreite von maximal sieben Zentimetern zu tragen. Viele Spielerinnen treten immer noch im Bikini an – sie tun das allerdings aus freier Entscheidung und nicht aus Zwang.
Nike wehrt sich gegen die Vorwürfe mit den Argumenten, dass die Olympia-Kleidung in Zusammenarbeit mit den Athletinnen und Athleten entworfen worden sei. Ausserdem stehe auch den Frauen ein alternatives Wettkampf-Outfit mit Shorts zur Verfügung – sie könnten also frei entscheiden, teilte der Konzern mit. Das sind schwache Ausreden vom grössten Sportartikelhersteller der Welt. Sie entschuldigen den modischen Fehlgriff nicht im Ansatz und schaffen das Problem schon gar nicht aus der Welt.
Dass niemand bei Nike das Design hinterfragt hat, verwundert
Dass Nike es wagt, Kleidung wie den US-Leichtathletikdress der Öffentlichkeit zu präsentieren, zeigt einerseits, dass der Zeitgeist an der Konzernzentrale in Beaverton, Oregon, vorbeigezogen ist. Mittlerweile müsste allen klar sein, dass Athletinnen Aufmerksamkeit für ihre sportlichen Leistungen wollen und nicht für ihr Aussehen. Bei Nike scheint diese Botschaft selbst im Jahr 2024 noch nicht angekommen zu sein. Dass im Grosskonzern mit über 80 000 Mitarbeitenden niemand das Design hinterfragt hat, verwundert.
Gleichzeitig zeigt der pinkfarbene Body auch, dass Sexismus im von männlichen Entscheidungsträgern geprägten Sport noch immer weit verbreitet ist. Kommt es zu Eklats wie dem Kuss des spanischen Verbandspräsidenten Luis Rubiales nach dem WM-Titel der spanischen Fussballerinnen, wird gerne von Einzelfällen gesprochen und ein strukturelles Problem im Sport in Abrede gestellt. Dass diese Einschätzung falsch ist, beweist der Umstand, dass die sogenannten «Einzelfälle» mit unschöner Regelmässigkeit aufeinanderfolgen.
Die Nike-Kleidung der Leichtathletinnen ist deshalb mehr als ein modischer Fauxpas; sie ist sexistisch und diskriminierend. Und sie ist ein Rückfall in alte, von Machismus geprägte Zeiten, die der Sport endlich überwinden muss.