Montag, Oktober 7

Porträt über ein umstrittenes Führungsduo.

So gekleidet hat Nils Fiechter noch nie eine Sitzung geleitet: in weiss-braun gestreiften kurzen Hosen und weissem T-Shirt. Fiechter, der Präsident der Jungen SVP und eigentlich ein überzeugter Anzugträger, sitzt Ende Juni mit seinen Parteikollegen in einem Besprechungszimmer in Zürich und sagt: «Heute ist etwas Undemokratisches geschehen.»

Ein paar Stunden vor der Sitzung verteilte Nils Fiechter am Bahnhof Stadelhofen Werbeflyer für seine Partei. Als er die Strasse überquerte, um in einem Restaurant etwas zu trinken, fuhr ein Velofahrer vorbei und schleuderte ihm einen Becher Milchshake auf den Anzug.

Fiechter erschrak. Aber schon Sekunden später zückten Parteifreunde ihre Handys. Fiechter stellte sich vor sie und sagte in die Kameras: «Ich muss noch überlegen, wem ich die Rechnung für die Anzugreinigung schicke. Aber der Absender ist ganz klar links-grün.»

So ist das bei Fiechter. Er ist wahnsinnig schnell, er denkt schnell, handelt schnell und urteilt schnell. Und er rechnet immer mit allem, meistens mit dem Schlechten. Wenn er in grösseren Städten unterwegs ist, trägt er einen Pfefferspray in der Hosentasche. An diesem Sonntag in Zürich hat er den Spray im Auto liegen lassen.

Kurz nach dem Vorfall geht in den sozialen Netzwerken das Gerücht um, Fiechter habe den Angriff selber inszeniert. Das Gerücht ist falsch. Aber es zeigt: Diesem Fiechter traut man alles zu, sogar ein solches Täuschungsmanöver. Selbst Parteikollegen sind nicht sicher, ob ihr Präsident den Velofahrer vielleicht angeheuert hat, um sich wieder einmal in die Schlagzeilen zu bringen. Gleich mehrere junge SVPler fragen bei neutralen Augenzeugen nach, was wirklich passiert sei.

Demonstration im Dorf

Nils Fiechter, 27 Jahre alt, aus dem Simmental im Berner Oberland, Grossrat im Kanton Bern, polarisiert wie kaum ein anderer Jungpolitiker im Land. Im Abstimmungskampf für ein Verhüllungsverbot trug er einen Bombengürtel unter einer Burka, er verteilte auf der Strasse Schokoladenküsse, die er bewusst «Mohrenköpfe» nannte, und forderte eine Schiesspflicht für Schüler.

Meistens schätzt Fiechter genau ab, wie weit er mit den Provokationen gehen kann. Aber einmal ist er zu weit gegangen. 2022 verurteilte ihn das Bundesgericht wegen Rassendiskriminierung, weil er ein Plakat entworfen hatte, das ausländische Fahrende verunglimpfte.

Fiechter ist nicht der erste umstrittene Chef der Jungen SVP. Die Partei hatte Präsidenten, die Abtreibungsgegner waren oder die Terroranschläge von 9/11 für eine Verschwörung hielten. Aber noch nie war die Aufregung um die Partei so gross wie in den vergangenen vier Monaten, seit Fiechter die Führung übernommen hat.

Das liegt auch an ihr: Sarah Regez, 30 Jahre alt, Strategiechefin der Jungen SVP, Studentin der Rechts- und Politikwissenschaften aus Sissach im Kanton Baselland. Regez ist Fiechters wichtigste Vertraute in der Partei. Sie sollen auch privat ein Paar sein.

Wegen Regez kam es im Frühling zu einer Demonstration in ihrem Dorf. 200 Menschen protestierten gegen Rechtsextremismus und gegen Regez, weil sie an einem Treffen des österreichischen Identitären Martin Sellner teilgenommen hatte, wo auch Mitglieder der rechtsextremen Gruppierung Junge Tat anwesend waren.

Seither rätselt man in der politischen Schweiz, ob Regez und Fiechter Sympathien für Rechtsextreme haben. Und wenn nicht: warum sie nicht öffentlich sagen, sie hätten nichts mit ihnen zu tun. Bisher haben sie das nicht getan. Ob aus Trotz, Kalkül oder Naivität; man weiss es nicht. Was man aber weiss: Es ist ein Spiel mit dem Feuer.

Die Junge SVP ist mit 8000 Mitgliedern die grösste Jungpartei der Schweiz und eine politische Kaderschmiede. Wer hier das Sagen hat, könnte früher oder später auch in der nationalen Politik eine Rolle spielen. Dafür muss man auf sich aufmerksam machen.

Die Universität Zürich veröffentlichte 2017 eine Medienstudie: Damals kamen in 65 Prozent der Zeitungsartikel, die sich mit Jungparteien beschäftigen, die Jungsozialisten vor. Die Junge SVP war nur in 15 Prozent der Artikel ein Thema.

Fiechter und Regez haben verstanden, was das bedeutet: Um Aufsehen zu erregen, müssen sie bereit sein, die Mutterpartei rechts zu überholen. So wie die Juso die SP jahrelang links überholt hat. Kürzlich gab Fiechter dem Fernsehkanal RT ein Interview, obwohl er weiss, dass RT ein russischer Propagandasender ist. Aber in der Schweiz regten sich wieder alle auf und sprachen tagelang über ihn.

Was ist das für eine neue Generation von SVP-Politikern, die hier heranwächst? Was haben Fiechter und Regez mit der Partei vor? Und was mit dem Land?

Links, Nils Fiechter: Stärkung für einen anstrengenden Tag. Rechts, Sarah Regez: umziehen für das Fotoshooting der Partei.

Politik für die Normalen

Am Morgen vor dem Milchshake-Angriff spazieren Sarah Regez und Nils Fiechter am Zürichsee entlang. Weshalb sollten sie sich von rechtsextremen Gruppen abgrenzen? Regez sagt zu Fiechter: «Du hast es gut gemacht. Wir konnten unsere Botschaft rüberbringen.» Er nickt und antwortet: «Wir distanzieren uns nicht pauschal von anderen Gruppierungen oder Parteien durch Lippenbekenntnisse, sondern grenzen uns durch inhaltliche Standpunkte ab.»

Regez sagt: «Wir würden lieber über politische Inhalte reden, über die explodierende Ausländerkriminalität, die Verteidigung der Neutralität, die zunehmenden Sicherheitsbedenken der normalen Leute.» Aber das Problem ist, dass die Inhalte manchmal hinter den Provokationen verschwinden. Aber über «die normalen Leute» spricht Regez gern. Über die Menschen, die normal reden, normal zur Arbeit gehen und ein normales Leben führen. Menschen aus Oberwil zum Beispiel, einem Dorf mit 839 Einwohnern im bernischen Simmental.

Fiechter wohnt in Oberwil und ist von dort mit dem Auto nach Zürich gefahren. Im Simmental sei die Welt noch in Ordnung, sagt er, «dort ist die Schweiz noch so, wie man sie sich vorstellt». Was das heisst, lässt sich an den vergangenen Nationalratswahlen ablesen. 54 Prozent der Oberwiler wählten die SVP und 23 Prozent die christlich-nationalkonservative EDU.

Doch selbst in diesem Dorf ist Fiechter einigen zu rechts oder zu klamaukig. Nachdem er 2019 zum Gemeindeverwalter gewählt worden war, erschien in der «Simmental-Zeitung» ein Inserat, in dem stand: «Die umliegenden Gemeinden (. . .) bieten Bürgern von Oberwil, die durch die Wahl des profilierungsneurotischen Politprovokateurs (. . .) Nils Fiechter desavouiert wurden, politisches Asyl an.»

Das Inserat war ein Scherz. Aber für den Mann, der es damals aufgegeben hat, ist die Sache ernst. Christian Haueter, früherer Gemeinderat von Oberwil und parteilos, ist extra in die Gemeindepolitik eingestiegen, um dem Jungpolitiker auf die Finger zu schauen. Er sagt: «Nils Fiechter hat sich in den letzten Jahren noch mehr radikalisiert. Ich glaube, er ist ein Mensch, der nach Anerkennung strebt.»

Die heile Welt im Berner Oberland ist nicht für alle heil. Wenn man Fiechter fragt, ob er eine glückliche Kindheit gehabt habe, antwortet er nicht. Das sei ihm zu persönlich. Fiechter ist bei einer alleinerziehenden Mutter in Frutigen aufgewachsen. Sie arbeitete in einer geschützten Werkstatt mit Behinderten, später in einem Altersheim.

Seine Mutter sei ein sozialer Mensch, sagt Fiechter, «so wie ich auch». Fiechters Grossvater war Pfarrer und einer der wichtigsten Menschen in seinem Leben. «Er ist ein grosses Vorbild für mich. Er wuchs in übelsten Bedingungen als Verdingkind auf und meisterte sein Leben trotzdem.» Der Grossvater war nach Kanada ausgewandert. Dort kam auch seine Mutter zur Welt. Deshalb hat auch Fiechter den kanadischen Pass. Mit zweitem Vornamen heisst er Miles.

Regez’ linke Grossmutter

Sarah Regez heisst mit zweitem Vornamen Andrea. Das ist das Persönlichste, was sie von sich preisgibt. Bei ihr ist sonst alles Politik. Über ihr Elternhaus spricht sie nicht. Und mit ihrer Grossmutter, einer Sozialdemokratin, redet sie überhaupt nicht mehr. Als Sarah 2023 für den Nationalrat kandidierte, schrieb Marie Regez an mehrere Zeitungsredaktionen einen offenen Brief, in dem sie vor der Wahl ihrer Enkelin warnte. «Die Lösungen, für welche du einstehst, sind für mich schrecklich: Vernichtung der Andersdenkenden, Gewalt, Krieg. Deine Gegner sind deine Feinde.»

Dabei gab es eine Zeit, da lagen Grossmutter und Enkelin politisch gar nicht so weit auseinander. 2015, Sarah Regez war 20 und noch nicht in der SVP, half sie in einem Heim für Asylsuchende in Sissach. Die Flüchtlingspolitik fand sie zwar nicht gut. Aber sie dachte sich: «Die Menschen sind da. Was machen wir jetzt mit ihnen? Also habe ich angepackt.» Es ist eine Episode wie aus einem anderen Leben.

Am Telefon sagt die Grossmutter: «Während Corona ist etwas mit Sarah passiert. Sie hat sich radikalisiert und ist nicht mehr kompromissbereit. Mir kommt sie vor wie eine Marionette der SVP.» Sie hätte gern wieder Kontakt zur Enkelin. Doch Sarah wolle nicht. Sarah Regez äussert sich nicht zu ihrer Grossmutter. Sie sagt nur: «Wenn man für das Richtige einsteht, bekommt man Gegenwind, das ist ein Naturgesetz.»

Sarah Regez und Nils Fiechter haben keinen Zweifel, dass sie für «das Richtige» einstehen. Wer nicht für sie ist, ist gegen sie. Und gegen sie sind gerade viele.

Die Kritik kommt von überall. Von rechts und links und von anderen Jungparteien, die nicht mehr mit ihnen zusammenarbeiten wollen. Doch der schmerzlichste Widerstand stammt von innen. 6 von 26 Kantonalparteien der Jungen SVP hatten im Frühling verlangt, dass sich die Partei von rechtsextremen Gruppierungen wie der Jungen Tat distanziere und ein Rücktritt oder ein Ausschluss von Regez aus der Parteileitung geprüft werde. Geschehen ist nichts. Fiechter habe ihre Anliegen «autoritär» unterdrückt, sagen Vertreter aus diesen Sektionen.

Die Kantonalpartei Säntis (Appenzell Innerrhoden und Ausserrhoden) sitzt zwar weiterhin im Parteivorstand der Jungen SVP, enthält sich aber bei Abstimmungen aus Protest der Stimme. Der Präsident Max Slongo spricht von «inhaltlichen und zwischenmenschlichen Verwerfungen».

Und er sagt noch etwas: «Dass Nils Fiechter und Sarah Regez privat ein Paar sind, ist für die Professionalität der Partei heikel.»

Die Privatsache

Regez und Fiechter kennen die Gerüchte über ihre Beziehung. In jedem Zeitungsbericht über die beiden steht, sie seien auch privat liiert. Aber öffentlich kommentieren sie es nicht. Ein Problem gibt es trotzdem: Spätestens wenn Forderungen nach einem Ausschluss von Regez im Raum stehen, müsste man innerhalb der Partei wissen, wie die beiden zueinander stehen.

Selbst im Parteivorstand der Jungen SVP sagen mehrere Mitglieder, die private Beziehung von Regez und Fiechter sei zwar ein offenes Geheimnis. Offiziell seien sie aber nie informiert worden.

Am Sonntagabend sitzen die Mitglieder der Parteileitung im Besprechungszimmer in Zürich. Es war ein anstrengender Tag, und die jungen Männer und Frauen haben schwierige Monate hinter sich. Fiechter hat sich nach dem Angriff mit dem Milchshake umgezogen und sagt: «Alles, was passiert ist, motiviert mich nur noch mehr, mich für unsere Schweiz einzusetzen.» Sie hätten etwas Grosses vor mit Land.

Aber was? Eigentlich nichts Neues. Nils Fiechter und Sarah Regez wollen eine Schweiz, wie sie sich auch die Mutterpartei vorstellt. Eine Schweiz wie in Oberwil. Bloss bei der Wahl der Mittel, um ihre Politik durchzusetzen, sind die Jungen noch etwas unzimperlicher als die Alten.

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