Sonntag, September 29


Im Porträt

Mit ihrem Gespür für das, was kommt, gilt Nina Yashar, Gründerin und Besitzerin der legendären Mailänder Galerie Nilufar, als Hohepriesterin des zeitgenössischen Designs.

Wer in Mailand auf dem Weg von der einen Nobelboutique zur nächsten auch bei der Galerie Nilufar einkehrt, findet sich in einer Welt voll mit intensiven Farbtönen, skulpturalen Silhouetten und satten Mustern wieder. Vintage-Objekte berühmter Mid-Century-Designer wie Gio Ponti, Verner Panton oder Ettore Sottsass stehen in der Galerie an der vornehmen Via della Spiga neben zeitgenössischen Stücken von Bethan Laura Wood, Martino Gamper oder Christian Pellizzari. Gebettet auf Perserteppichen, die man als Laie beim besten Willen nicht einordnen kann. Von der Decke hängt Organisches. Es ist eine wilde, eklektische und doch seltsam harmonische Ausstellung von Möbeln, Beleuchtung, Objekten und Teppichen.

Stücke aus Vergangenheit und Gegenwart aus allen Teilen der Welt sind auf den drei Stockwerken so mühelos zusammengeführt, wie es nur Nina Yashar kann. Sie ist die Gründerin und Eigentümerin der Nilufar Gallery im Zentrum von Mailand und des 2015 eröffneten Nilufar Depot, eines Lagerhauses am Rande der Stadt.

Weit über Italien hinaus ist Yashar ein bekanntes Gesicht

Ihre Galerie gehört zu den Anlaufstellen von Designliebhabern, während der Milan Design Week im Frühling erst recht. Die Ausstellungen, die sie hier jedes Jahr kreiert, «zeigen das Beste von dem, wofür Nilufar steht», teilt uns die 67-Jährige im schriftlichen Interview mit, das während der Mailänder Designwoche leider nicht persönlich möglich ist: «Sehr intensiver und hektischer Zeitplan!»

Ihr Ansatz, verschiedene Kulturen und Epochen untereinander zu vermischen, ist heute fester Bestandteil renommierter Galerien und Sammlungen. Schon früh in ihrer Karriere brach sie Konventionen mit ihrem multikulturellen, zeitübergreifenden Denken. Yashars eigene Geschichte und jene ihrer Mailänder Galerie Nilufar ist demnach nicht nur ein Zeugnis ihrer persönlichen Entwicklung, sondern auch ein Spiegelbild vom sich stets wandelnden Verständnis von Design.

«Damit man wirklich aussergewöhnliches Design erkennen kann, bedarf es eines ganzheitlichen Ansatzes», ist Yashar überzeugt. Dieser geht über reine Ästhetik, über Trends hinaus. Man müsse die Geschichte hinter jedem Stück verstehen, ebenso die Handwerkskunst und die Wirkung, die es auf die betrachtende Person habe. «Grossartiges Design hinterlässt einen bleibenden Eindruck, der den menschlichen Geist und das kollektive Bewusstsein anspricht.» Die ausgewählten Gegenstände müssen allesamt einzigartig sein, dann aber miteinander harmonieren. Intuition ist ein Begriff, den man oft in Bezug auf Nina Yashar liest.

Nina Yashar vertraute schon früh auf ihre Intuition

Ihre Reise in die Design- und Kunstwelt begann früh. Geboren und aufgewachsen ist sie in Teheran, der Vater, ein Teppichverkäufer, vermittelte ihr Wertschätzung für kunstvolle Textilien und deren Geschichten. Nach dem Umzug der Familie nach Mailand und ihrem Abschluss eines Kunstgeschichtestudiums inspirierte und brachte sie diese Ehrfurcht vor der Kunst dazu, im Alter von 22 Jahren ihren ersten Laden in der Via Bigli in Mailands eleganter Altstadt zu eröffnen. Sie nannte ihn Nilufar, nach ihrer Schwester Nilu.

Im Gegensatz zu ihrem Vater spezialisierte sich ­Ya­shar auf Luxusteppiche und folgte ihrem eigenen ästhetischen Empfinden, nicht dem der Masse. Anfänglich zeigte sie Stücke aus Indien und Asien, später auch bestimmte französische Teppiche, die man in Italien noch nicht gesehen hatte. Sie merkte bald: Es waren die ungewöhnlichsten und anspruchsvollsten Stücke, die oft als Erstes verkauft wurden.

Nilufar lief gut. Im Jahr 1998 zog Yashar in die Via della Spiga, nahe dem Herzen des damals schnell wachsenden Modeviertels. Und dort ist Nilufar geblieben.

Mid-Century-Design mit antiken Teppichen aus dem Nahen Osten

Ihre Intuition hat ihr schon damals gute Dienste geleistet – so wagte sich Yashar in den neunziger Jahren als Erste, Arbeiten von Mid-Century-Designern im Mix mit antiken Teppichen aus dem Nahen Osten auszustellen. Nur durch Zufall stiess sie während einer Reise in Stockholm auf Möbel von Alvar Aalto und Hans Wegner aus den 1950er und 1960er Jahren – «seltsam aussehende moderne Möbel», wie sie diese nannte. Um welche es sich dabei handelte, erfuhr sie erst, als die drei Schiffscontainer in Mailand anlegten. Angezogen von deren Einfachheit und Funktionalität, zeigte sie die Stücke umgehend in ihrer Galerie. Die langjährigen Kunden waren verblüfft, die Ausstellung wurde ein Erfolg.

Im Laufe der Jahre erweiterte sie ihre Teppichausstellung um Designstücke aus aller Zeit und Welt. Obendrauf baute sie ein starkes Netzwerk von Beziehungen aus der Kunst- und Designwelt auf: Miuccia Prada, Yashars langjährige Freundin, Ermenegildo Zegnas Enkelin Anna Zegna und andere namhafte Sammlerinnen und Sammler haben dann auch dazu beigetragen, Nilufar als eine der führenden Galerien zu etablieren.

Immer einen Schritt voraus

Mit ihrem Gespür für gegenwärtige Entwicklungen verschliesst sich Nina Yashar auch nicht der zunehmenden Digitalisierung. In Mailand war sie eine der Ersten, die sich digitalem Design mit Ernsthaftigkeit widmeten. Bereits 2021, als Non-Fungible Token noch weitgehend ein Fremdbegriff war, hat Yashar Möbel, Videoarbeiten und NFT von Andrés Reisinger am Salone del Mobile gezeigt. Heute zählt der Argentinier, der digitale und physische Realitäten verschmelzen lässt, zu den gefragtesten Künstlern der Welt.

«Das schnelllebige Umfeld stellt traditionelle Vorstellungen von Design infrage und fördert einen fliessenden und dynamischen Ansatz», so Yashar. Das biete aufregende Möglichkeiten der Zusammenarbeit, der Erkundung und des Überschreitens von Grenzen, wodurch erweitert werde, was in der Welt des Designs möglich sei. Auch während der diesjährigen Mailänder Designwoche war Reisinger mit der beeindruckenden, von Nina Yashar kuratierten Einzelausstellung «12 Chairs for Meditation» im Atrium des Nilufar Depot vertreten.

Nina Yashar, deren Kleidung so eklektisch, unkonventionell und doch elegant kombiniert ist wie ihre Galerie eingerichtet, gilt eben nicht ohne Grund auch als Entdeckerin aufstrebender Designtalente. Während sich die Designwelt in einem schnellen Tempo entwickelt, vertraut Yashar noch immer konsequent auf ihr Gespür. Dass sie diesem trauen kann, hat sie lange genug unter Beweis gestellt.

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