Mittwoch, November 6

Eine neue Studie zeigt: Rund um Zürich werden die Schülerzahlen bis 2040 explodieren.

In Opfikon liegt die Zukunft.

Keine Gemeinde in der Deutschschweiz hat ein stärkeres Bevölkerungswachstum. Hier, in der Zürcher Agglomeration, weichen die Einfamilienhäuser den Wohnblöcken, entstehen zwischen Autobahnzubringern und Zuggleisen neue Quartiere.

Familien, denen in der Stadt der Platz ausgeht, ziehen nach draussen. Rund die Hälfte mehr Schulkinder wird es bis 2040 in Opfikon geben. Und diese Kinder brauchen Schulzimmer.

«Ich bin unterdessen eher Schulbauer als Schulpfleger», sagt Norbert Zeller, 62, der Präsident der Opfiker Primarschulpflege. Nicht weniger als vier Neu- oder Erweiterungsbauten hat seine Gemeinde in den letzten Jahren gestemmt. Ein weiterer Neubau kommt demnächst dazu.

Die Kosten: insgesamt über 200 Millionen Franken.

Zeller, der in Opfikon geboren wurde und schon sein ganzes Leben lang dort wohnt, beschreibt die Gründe, die diesen Schulhaus-Boom nötig machten: Neubauten, Neuzuzüger und vor allem mehr Familien.

«Wir sind für viele so etwas wie eine Transitgemeinde», sagt er. «Die Leute ziehen hierhin und dann nach ein paar Jahren weiter.»

Dieser Umstand wie auch die rege Bautätigkeit machten die Schulraumplanung anspruchsvoll. Kaum ist die Kapazität in einem Quartier erreicht, entsteht in einem anderen ein neuer Wohnblock – und es braucht auch dort mehr Schulzimmer.

So wurde Opfikon erfinderisch. Ein eben fertiggestellter Schulhausneubau steht beispielsweise über einem überdeckelten Autobahnabschnitt, mit der Turnhalle als Lärmschutz. «Die erste Schule auf einer Autobahn!», sagt Zeller.

Weniger Schulkinder in der Stadt, mehr an der Goldküste

Die Mühen des Schulbaumeisters Zeller sind kein Einzelfall. Eine neu veröffentlichte Studie des Beratungsunternehmens Wüest Partner zeigt: Die Zürcher Agglomeration muss sich auf den grössten Zufluss von Schulkindern ihrer Geschichte vorbereiten – von Dietikon bis Dübendorf.

Die Wachstumszahlen sprechen für sich: In der Region Glatttal-Furttal, zu der Opfikon gehört, wird die Anzahl schulpflichtiger Kinder laut der Prognose bis 2040 um 15,2 Prozent steigen. Im benachbarten Limmattal sind es noch mehr. Zusammengenommen werden die drei Agglo-Täler bis 2040 fast so viele Schulkinder aufweisen wie die Stadt Zürich.

In Schulhäusern ausgedrückt, bedeutet das: 7 oder 8 neue Schulhäuser im Limmattal. Und mindestens 15 zusätzliche Gebäude in den Gemeinden des Glatt- und Furttals – Orten wie Regensdorf, Bassersdorf, Kloten oder Wallisellen. Keine andere untersuchte Region in der Deutschschweiz hat einen so grossen Bedarf an neuen Schulen.

Schweizweit liegt nur eine Region über dem Zürcher Agglomerationsgürtel: die Stadt Lausanne, wo bis 2024 über 28 neue Schulhäuser nötig werden.

Bemerkenswert ist diese Entwicklung nicht nur wegen der Millionen von Franken, die sie die Agglomerationsgemeinden in den nächsten fünfzehn Jahren kosten wird. Sondern auch, weil sie einem nationalen Trend widerspricht. Über alle Regionen hinweg ist in Zukunft nämlich mit weniger Schülerinnen, weniger Klassen und weniger Schulhäusern zu rechnen.

Bis 2040 wird es laut der Prognose von Wüest Partner über 10 000 Kinder weniger in der obligatorischen Schule geben, und entsprechend auch weniger Klassen (–547) und Schulhäuser (–258). Selbst die Stadt Zürich, die in den letzten Jahren energisch in neue Schulhausbauten investiert hat, wird in sechzehn Jahren voraussichtlich drei Gebäude weniger benötigen.

Auch im Weinland, im Zürcher Oberland oder in Winterthur wird der Bedarf laut der Prognose sinken.

Gegenüber der NZZ bestätigt die Zürcher Bildungsdirektion die Befunde der Studie im Grundsatz. In der Zürcher Agglomeration sei bis 2040 mit einem überdurchschnittlichen Schülerwachstum zu rechnen. Die Statistiker des Kantons warnen jedoch vor zu viel Verlass auf Prognosen: Die genaue Bevölkerungsentwicklung bleibe ungewiss.

So ist etwa unklar, wie sich die Situation an der Goldküste entwickeln wird: Wüest Partner sagt dort ein Wachstum von 2,9 Prozent voraus. In den Modellen des Kantons sind es dagegen nicht weniger als 11 Prozent.

«Schon wieder ein Schulhaus?»

Für die Agglo-Gemeinden sind die Investitionen in die öffentliche Infrastruktur ein Kraftakt, nicht nur finanziell. «Ich werde oft gefragt: ‹Schon wieder ein Schulhaus?›», sagt der Opfiker Schulpräsident Zeller. Bisher sei jedoch noch kein Projekt an der Urne gescheitert.

Bei der Schulhausplanung zeigt sich zudem, wie vorausschauend die lokalen Behörden geplant haben. In Opfikon wurden bestehende Schulhäuser schon vor Jahrzehnten auf grosszügigen Arealen gebaut, um im Notfall verdichten zu können.

Andere Gemeinden sind auf verkaufswillige Landbesitzer angewiesen. Etwa Regensdorf im Furttal – ein ehemaliger Industrievorort, in dem gerade Hochhaus um Hochhaus gebaut wird. Im Areal um den Bahnhof Nord entsteht Wohnraum für 6500 neue Bewohner; es ist das grösste bauliche Entwicklungsgebiet des Kantons.

Beat Hartmann, 47, ist seit zehn Jahren Präsident der örtlichen Schulpflege. Er rechnet allein in diesem Jahr mit 500 neuen Schulkindern; laut Wüest Partner werden bis 2040 ein Drittel mehr Kinder in Regensdorf zur Schule gehen. Als der Bauboom vor einigen Jahren einsetzte, habe seine Behörde gewusst: «Jetzt braucht es einfach mehr Platz, es geht nicht anders.»

Und so machte sich die Gemeinde auf die Suche nach einem passenden Ort für eine neue Schule. Kein leichtes Unterfangen. «Aber wir hatten Glück», sagt Hartmann, «grosses Glück.»

Ein lokaler Landbesitzer erwähnte bei einer Sitzung mit Behördenvertretern, es gebe Probleme bei der Entwicklung seines Areals – er wäre es am liebsten einfach los. «Da haben wir halb im Witz gefragt, ob er es nicht der Gemeinde verkaufen wolle.»

Er wollte – und Regensdorf baut darauf nun eine Primarschule, die drei Mal so gross ist wie die bisherige. Für das Land hat die Gemeinde 12 Millionen bezahlt. Hartmann sagt: «Hätten wir zwischen den Neubauten beim Bahnhof Nord etwas kaufen müssen – es hätte das Zehnfache gekostet.»

Mehr Einwohner, mehr Kinder, mehr Schulhäuser: Was ein Murks sein könnte, tönt in der Agglo wie ein grosses Abenteuer. Opfikon nutzt die neuen Schulen, um neue Lernmodelle zu erproben. Für jede Klasse ein eigenes Klassenzimmer? Diese Zeiten sind dort vorbei.

In Regensdorf freut man sich derweil über die neuen Leute, die in den Ort ziehen: viele Familien mit kleinen Kindern, Jobs in der nahen Stadt und höheren Einkommen. Leute, die in der Agglo keinen unansehnlichen Transitgürtel sehen – sondern ihre Zukunft.

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