Freitag, April 25

Wie die Innerschweiz zum Steuerparadies wurde. Und was dieses Erfolgsmodell eher bedrohen könnte als eine Juso-Initiative.

«Zwische See und heche Bärge liid, vom Herrgott anegleid / ganz versteckt e Fläcke Ärde, gfindsch kei schenre wiit und breit.»

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Aus der Kantonshymne von Nidwalden


Dieses Paradies ist nicht gottgegeben, sondern menschengemacht. Zwar ist es in die mythische Gründungslandschaft der Eidgenossenschaft eingebettet, aber es musste erst konstruiert werden: das Steuerparadies der Innerschweiz.

Auf der Landkarte der steuerlichen Belastung grenzt sich die Innerschweiz weiterhin von der übrigen Schweiz ab, vor allem Schwyz und Zug, zudem Uri, Ob- und Nidwalden. Seit einiger Zeit will auch Luzern zu diesem Bund gehören. In keiner anderen Gemeinde sind in den vergangenen Jahrzehnten so viele Einkommensmillionäre zugezogen wie in der Stadt Zug, dicht darauf folgen scheinbar unscheinbare Dörfer wie Wollerau und Freienbach im Kanton Schwyz. Selbst Orte, die einst als «hinterer Hof» galten, sind reich geworden.

Natürlich profitiere man von der Nähe zum grossen Wirtschaftsplatz Zürich, gibt man in der Innerschweiz zu, auch von den Segnungen der Natur. Aber der Rest sei Schlauheit. Der Erfolg erkläre sich mit schlanken Steuersätzen und schlanker Verwaltung, mit einer «Willkommenskultur», wie es in Zug heisst. Man muss sich dieses Paradies als Servicebetrieb vorstellen.

Jetzt ist die Zukunft dieses Paradieses durch die «Initiative für eine Zukunft» bedroht. Erbschaften und Schenkungen von über fünfzig Millionen Franken sollen künftig zu fünfzig Prozent besteuert werden – so fordert es die Juso. In der Innerschweiz würde die Initiative, anders als in den grossen Zentren, nicht primär die Superreichen betreffen, sondern das primäre Geschäftsmodell eines ganzen Landesteils. Glaubt man der «Bilanz», wohnten im vergangenen Jahr 67 der 300 Reichsten in der Innerschweiz. Der Logistikunternehmer Klaus-Michael Kühne in Schindellegi (SZ), die Aufzugsfamilien Schindler und Bonnard in Hergiswil (NW), der Ex-Novartis-CEO Daniel Vasella in Risch (ZG).

Allein im Kanton Schwyz versteuerten im Jahr 2021 mehr als 300 Personen mehr als fünfzig Millionen Franken Vermögen. In Zug waren es 250, in Luzern 150, in Nidwalden 100. So haben es die Kantone gerade ausgewiesen.

Der Luzerner Regierungsrat beklagt eine «gewisse Verunsicherung», auch wenn die Initiative kaum Chancen hat. Die Nidwaldner Regierungsrätin Michèle Blöchliger warnt: «Die Initiative sägt am Erfolgsmodell der Schweiz.» Noch viel mehr: am Erfolgsmodell der Innerschweiz.

Die zwei Zeitzonen der Innerschweiz

Die innerschweizerische Art der «Willkommenskultur» hat gleichzeitig Wohlstand wie Zweifel gebracht. An die Terrassenhäuser, die sich in die Voralpen hineingefressen haben, hat man sich langsam gewöhnt. Der kürzlich verstorbene Schriftsteller Peter von Matt, ein Nidwaldner, hat seine Heimat einmal so beschrieben: «Das war einmal eine so ungeheuer schöne Landschaft – die grosse Ebene mit den Bauerngütern, Apfelbaumplantagen und den Seeufern auf jeder Seite. Heute ist das von einer gesichtslosen Architektur überschüttet, als ob man einen Sack ausgeleert hätte.» Und doch sei die Tiefsteuerpolitik unvermeidlich gewesen: «Das Gegenteil wäre eine Verarmung und Verlumpung, was wir auch nicht wollen.»

Aber das Wachstum macht der Innerschweiz zu schaffen – im Kanton Luzern etwa soll die Bevölkerung in den nächsten dreissig Jahren um mehr als einen ganzen Kanton Zug wachsen. Und Zug wiederum kennt seit einiger Zeit unerwartete Probleme. Es nimmt so viel Steuergeld ein, dass der Finanzdirektor Heinz Tännler einmal erklärte: «Ich bringe das Geld nicht zum Tempel raus!» Seit das Steuerniveau rekordtief ist, sind die Lebenskosten derart hoch, dass der bürgerliche Regierungsrat plötzlich Kitas und den Wohnungsbau fördern will – «Teilweise finden nicht einmal unsere Fachkräfte eine Wohnung in Zug» (Tännler).

In der Innerschweiz hat man sich damit arrangiert, dass man gleichzeitig in zwei Zeitzonen lebt: Man will politisch Dorf bleiben und ist wirtschaftlich längst globales Zentrum. Der Kanton Schwyz ist entsprechend geteilt – im inneren Kantonsteil wird das Brauchtum gelebt, im äusseren die Steueroptimierung. Es sind teilweise die gleichen Leute, die beruflich von jener Zuwanderung leben, die sie politisch bekämpfen. Man hält das irgendwie aus. Die Erbschaftssteuerinitiative wäre in diesem Sinn eine Zeitbombe, die das bisherige Arrangement erschüttern könnte.

Was ist das eigentlich für ein Arrangement, das die Reichen und Superreichen aus aller Welt ausgerechnet in die Gegend um den Vierwaldstättersee führt?

«Das Prozedere war simpel»: Dealmaking in Nidwalden

Es ist die Folge einer Politik, die aus kurzfristig weniger Steuereinnahmen langfristig extrem viel Geld macht – bekannt als Tiefsteuerpolitik. Erfunden wurde sie praktisch gleichzeitig in den 1920er Jahren von den beiden armen, landwirtschaftlich geprägten Kantonen Zug und Nidwalden.

Zum ersten Steuerparadies wurde Nidwalden, dank speziellen Steuerverträgen mit Holdinggesellschaften und Firmen, die lediglich ihren Briefkasten in Nidwalden hatten. Die Nidwaldner Historikerin Karin Schleifer hat es einmal so beschrieben: «Das Prozedere war simpel. Eine Firma oder eine Privatperson wurde bei einer Gemeinde oder beim Kanton vorstellig, bot an, ihr Vermögen oder einen Teil davon in Nidwalden zu versteuern, und handelte dafür einen individuellen Steuertarif aus.»

Um besonders gute Steuerzahler anzulocken, operierten die Behörden mit Dumpingtarifen. Als erfolgreicher Dealmaker erwies sich der aus Hergiswil stammende Finanzdirektor Anton Zgraggen. Die Gemeinde zog damals weit am meisten gute Steuerzahler im Kanton an, mit Folgen bis heute. Gemäss der Nidwaldner Regierung lebten 2021 nicht weniger als 59 Steuerpflichtige mit einem Vermögen von über fünfzig Millionen Franken in Hergiswil. Und das bei rund 6300 Einwohnern.

Die Nidwaldner riefen Steuerzahler, und es kamen Prominente. Filmstars wie Audrey Hepburn oder Sophia Loren residierten in den 1950er und 1960er Jahren auf dem Bürgenstock. Die Aufregung, die sie in der Öffentlichkeit verursachten, war den Behörden aber gar nicht recht.

Die individuellen Steuerabkommen gerieten zunehmend in Verruf. Auch innerhalb des Kantons, wo sich die Leute darüber ärgerten, dass nur reiche Ausländer profitierten. 1958 kam es zum Eklat, als der Nidwaldner CVP-Ständerat Werner Christen mit dem Wegzug drohte, falls ihm die Steuerverwaltung nicht ebenfalls Vergünstigungen gewähren sollte. Zwei Jahre später beendete Nidwalden die steuerliche Sonderbehandlung, es beugte sich dem wachsenden Druck des Bundes und anderer Kantone – nicht ohne vorher 106 Steuerabkommen noch um zehn Jahre zu verlängern.

«Auf den Stockzähnen gelacht»: das Steuerwunder von Zug

Und doch war Nidwalden bald nicht mehr der steuergünstigste Kanton der Schweiz. Diese Stellung übernahm Zug, das die Ansiedlung von Briefkastenfirmen perfektioniert hatte. Auch wenn anfänglich selbst katholisch-konservative Regierungsräte wie Philipp Etter nicht begeistert waren. Er befürchtete, dass «eventuell Gesellschaften in den Kanton Zug hinziehen könnten, die später demselben mehr Sorge als Freude eintragen».

Bis 1947 wurde das Zuger Steuergesetz mehrmals revidiert, um möglichst attraktive Bedingungen für Holding- und Domizilgesellschaften zu schaffen. Der Zeitpunkt war ideal. «Der Kanton war, steuerlich betrachtet, für den wirtschaftlichen Wiederaufbau Europas bereit, quasi als Backoffice für den Marshall-Plan; die Tore der Zuger Wirtschaft und Politik standen der Welt offen», schreibt der Zuger Historiker Michael van Orsouw.

Es war eine ganz besondere Dienstleistungsmentalität, die das Steuerwunder von Zug beförderte. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft stellten sich weitgehend in den Dienst der Ansiedlung ausländischer Firmen. Im Jahr 1950 gab es in Zug 217 Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung; 1979 waren es 7508, im Jahr 2023 schon 38 547.

Die Nachfrage war zeitweise so gross, dass Steueranwälte teilweise Briefkastenfirmen an irgendwelche Nachbarn vermittelten. So konnten alle etwas dazuverdienen und sich etwa den ersten Farbfernseher leisten, wie es die Anwältin Andrea Hodel-Schmid in dem Film «Der Ast, auf dem ich sitze» formuliert, der von der Verwandlung eines Städtchens in ein Steuerparadies erzählt.

Ab den 1970er Jahren lieferten sich die Kantone Zug und Schwyz einen Wettlauf nach unten. Politiker wie Georg Stucky (FDP), der von 1975 bis 1990 Zuger Finanzdirektor war, gaben den Takt vor. In den sechzehn Jahren seiner Regierungstätigkeit senkte Stucky, der in zahlreichen Verwaltungsräten sass, neun Mal die Steuern. Einmal wollte er die Steuern nicht senken, obwohl es möglich gewesen wäre. «Ich dachte, lieber vorsichtig bleiben. Aber da hat sofort das Parlament reklamiert. Und es hat dem Regierungsrat eine Steuersenkung befohlen. Ich habe auf den Stockzähnen gelacht», erzählte Stucky einmal bei «Zentralplus».

Er war ein Mann seiner Zeit und seines Kantons. Schon im Jahr 1961 waren von den sieben vereidigten Zuger Regierungsräten vier Anwälte und einer ein Banker. «Morgens konnten sie als Regierungsräte jenen Firmen die rechtlichen Rahmenbedingungen anbieten, deren Gesellschaften sie nachmittags als Anwälte gründeten», sagt die Filmemacherin Luzia Schmid in ihrer Dokumentation «Der Ast, auf dem ich sitze».

Das milde Steuerklima in Schwyz oder Hausi geniesst den Seeblick

Was in Zug als «Steuerruhe» bezeichnet wird, gilt in vielen Kantonen der Innerschweiz: ein besonderes Wohlwollen den besten Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern gegenüber und Steuerbeamte, die sich weniger als Polizisten und mehr als Berater verstanden.

Dieses traditionell milde Steuerklima nahm auch Hausi Leutenegger, den Thurgauer Ehrenbürger, Unternehmer, Schauspieler, Olympiasieger und Multimillionär, für die Innerschweiz ein. Seit 25 Jahren wohnt er in Freienbach im Kanton Schwyz, am oberen Zürichsee. «Natürlich wegen der tiefen Steuern», wie er freimütig erklärt. Als Steuerflüchtling betrachtet er sich nicht. «Ich zahle an all meinen Wohnorten, darunter die Kanarischen Inseln, die Steuern. Dasselbe gilt für meine Firma, die überall in der Schweiz steuerpflichtig ist.»

Leutenegger, dessen Vermögen die «Bilanz» auf 100 bis 150 Millionen Franken schätzt, lebt «sehr diskret, wie dies die meisten Bewohner von Freienbach tun». Dass die Zuwanderung von Reichen und Superreichen zur völligen Verbauung des oberen Zürichsees geführt hat, stört ihn nicht. «Ich geniesse den Blick auf den See. Was hinter mir passiert, sehe ich nicht.»

Um ihn herum ist aber viel passiert – und wird noch viel passieren. Zumindest sind die steuerlichen Voraussetzungen weiterhin bestens, daran ändert auch die neue OECD-Mindeststeuer für Unternehmen nicht viel. In Schwyz und in Zug sind die Steuern traditionell tief, und in Nidwalden sind sie teilweise noch tiefer. Der BAK-Taxation-Index 2024, von der Eidgenössischen Steuerverwaltung und fünfzehn Kantonen ermöglicht, empfiehlt Unternehmen den Kanton Nidwalden als günstigstes Steuerparadies der Welt. Es folgen Hongkong, Uri, Appenzell Ausserrhoden und Obwalden.

Die Vergötterung des Geldes

Die tiefen Steuern haben die Innerschweiz auch politisch verändert. Die Kritik am eigenen Erfolgsmodell kommt nicht mehr nur von linken, sondern längst auch aus konservativen Kreisen.

Als Othmar Reichmuth im Jahr 2012 erste Zweifel anmeldete, war die Empörung gross. Er war damals CVP-Regierungsrat im Kanton Schwyz und schrieb einen Artikel im Magazin des Handels- und Industrievereins: «Baulandpreise, Wohnungsmieten, Krankheitskosten steigen und steigen – Bahn und Strassen sind morgens übervoll. Wollen wir das wirklich?» Es war eine Infragestellung der neueren politischen Identität des Kantons, den er mitregierte. Er brauche keine sechsspurige Autobahn, keinen Billigflug nach London, keine Manager mit «abstrusen Bereicherungshonoraren», keine steuerlich sonderbehandelten Ausländer. Später sollte er noch nachlegen: «Wir sind in eine Sphäre gerutscht, in der wir Geld vergöttern.» Er aber habe das Gefühl, das Geld sei zum Dämon geworden.

Reichmuth galt plötzlich als linker Regierungsrat, dabei war er ein ehemaliger Schwinger, ein gelernter Käser, der später Geschäftsführer einer bäuerlichen Genossenschaft wurde und noch als Regierungsrat auf dem Hof der Familie in Illgau mitarbeitete.

Aus der FDP hiess es, Reichmuth habe «Hüftschüsse gleich in mehreren Grundsatzfragen» produziert. Aber die Rückmeldungen aus der Bevölkerung seien «fast ausschliesslich positiv» gewesen, meldete Othmar Reichmuth.

Die Geldtheorie aus dem Muotatal

Inzwischen ist er nicht mehr Regierungsrat, vier Jahre lang war er als Ständerat häufig in Bern – aber seit er im Jahr 2023 nicht mehr gewählt wurde, ist er wieder vornehmlich im Kanton Schwyz unterwegs.

Da sieht er, wie sich bewahrheitet, wovor er vor Jahren gewarnt hat: «Wollen wir das wirklich?» Die Züge sind auch in Schwyz voll, täglich wird Stau gemeldet – und seit im Muotatal eine touristische Offensive geplant ist, wird Othmar Reichmuth gefragt: «Warum wollt ihr immer mehr Leute anlocken, immer noch mehr Arbeitsplätze schaffen?»

In Schwyz wurden nach seinem damaligen Artikel mehrere Einzonungen abgelehnt, Umfragen des «Boten der Urschweiz» ergaben, dass die Bevölkerung das Wachstum mehrheitlich nicht mehr als «Segen», sondern als «Fluch» sah. Othmar Reichmuth beschreibt es als Teufelskreis: Einerseits bedeuteten die tiefen Steuern hohe Investitionen in die Infrastruktur und zusätzliches Wachstum, andererseits seien höhere Steuern in der Bevölkerung unpopulär. Immerhin greife im Fall von Schwyz der Finanzausgleich korrigierend in diesen Teufelskreis ein.

Reichmuth glaubt, dass es im Leben wie in der Politik dann am einfachsten sei, wenn gerade genug Geld da sei. «Wenn du zu wenig hast, ist es mühsam. Und wenn du zu viel hast, ist es oft auch nicht einfacher.»

Es klingt, als sei das der Fluch des Geldes. Zwar lebt man sehr gut damit. Aber das Paradies ist immer bedroht. Der Unmut von aussen, der aus der Juso-Initiative spricht, mag beunruhigend wirken – aber sie hat kaum Chancen, am allerwenigsten in der Innerschweiz selbst. Bedrohlicher könnte Unmut von innen sein.

Exit mobile version