Dienstag, Oktober 15

Die Umsetzung würde bis zu 250 Millionen Franken pro Jahr kosten. Weil der Vorstoss im Parlament scheitern dürfte, prüfen seine Urheber nun die Lancierung einer Volksinitiative.

Wer eine Familie ernähren muss, hat zwar viele Ausgaben zu tätigen, wird aber auch von vielen Seiten finanziell unterstützt. Dies gilt gerade für Geringverdiener. Für sie gibt es grosszügige Beiträge an die Krippe und an die Krankenkasse. Nicht zu vergessen sind Kinderzulagen vom Arbeitgeber und Abzüge bei den Steuern, von denen alle Eltern profitieren.

Im Kanton Zürich wird nun über ein weiteres Instrument der Sozialfürsorge für Familien diskutiert: Ergänzungsleistungen.

Eine parlamentarische Initiative, die 2018 von SP, Grünen und der damaligen BDP eingereicht worden war, verlangt, dass Familien ohne existenzsicherndes Einkommen Anspruch auf eine staatliche Unterstützung geltend machen können. Dies aber nicht über die Sozialhilfe, sondern über ein neues Gefäss.

2019 unterstützte das Kantonsparlament die Initiative vorläufig, danach verschwand sie in der Versenkung, weil zuerst diverse Punkte geklärt werden mussten. Nun kommt das Geschäft wieder in den Rat.

2500 Franken pro Monat

Würde die Initiative umgesetzt, ginge es um bedeutende Summen. Die Ergänzungsleistungen für Familien sollen sich an der AHV-Mindestrente orientieren. Diese liegt derzeit bei 1225 Franken pro Monat. Familien sollen im Maximum das Doppelte dieses Betrags erhalten, also fast 2500 Franken pro Monat. Für Familien mit mehr als zwei Kindern gelten noch höhere Ansätze.

Die Kosten sollen zu 40 Prozent dem Kanton aufgebürdet werden und zu 60 Prozent den Gemeinden. Der Kanton Zürich rechnet damit, dass alleine sein Anteil 50 bis 100 Millionen Franken pro Jahr ausmachen würde. Die Gemeinden müssten gemäss dieser Berechnung mit Ausgaben von 75 bis 150 Millionen Franken jährlich rechnen.

Total könnte das neue Sozialwerk die Steuerzahler also bis zu eine Viertelmilliarde Franken pro Jahr kosten, und das ist für die meisten Politiker zu viel: Sowohl die zuständige Kommission wie auch die Kantonsregierung lehnen die Einführung der Ergänzungsleistungen für Familien ab.

Der Regierungsrat ist der Ansicht, dass ein solches Werk wenn schon auf Bundesebene eingeführt werden müsste. Auf kantonaler Ebene wären Ergänzungsleistungen mit einem grossen Aufwand verbunden, administrativ wie finanziell. Und die zusätzlichen 50 bis 100 Millionen Franken pro Jahr könne sich der Kanton angesichts seiner Finanzlage nicht leisten.

Solothurn als Vorbild

Linda Camenisch (FDP, Wallisellen) hat das Geschäft in der Kommission begleitet. Auch für sie ist der Fall klar: «Es braucht sicher nicht noch ein weiteres Sozialwerk.» Wer in der Schweiz in finanzielle Nöte gerate, werde bereits aufgefangen, dies gelte auch für Familien.

Camenisch stört sich daran, dass der Kanton Solothurn, der solche Ergänzungsleistungen für Familien bereits kennt, als Vorbild herangezogen wird. «In Solothurn wird das System über Steuergelder von Unternehmen finanziert. Das kann es nicht sein. Für mich nimmt diese Umverteilung ein Mass an, das ich nicht mehr mittragen kann.»

Die FDP-Politikerin kritisiert zudem, dass Kinder pauschal als Armutsrisiko gesehen würden. «Natürlich muss man sich etwas einschränken, wenn man mit einem KMU- oder Handwerkerlohn Kinder grossziehen will. Aber es geht.»

Das grösste Problem seien nicht die Gehälter, sondern dass viele Eltern ihre Pensen freiwillig reduzierten, wenn Kinder da seien. «Das können sie schon tun. Aber es ist dann sicher nicht am Staat, die Einkommensausfälle zu kompensieren.»

Eine Sache für den Bund?

Lorenz Habicher (SVP, Zürich) hat das Geschäft ebenfalls in der Kommission begleitet. Er findet nicht, dass eine Ergänzungsleistung für Familien einfach zu handhaben wäre. «Das wäre anders als bei der Prämienverbilligung, wo im Wesentlichen ein Einkommensnachweis und ein schriftliches Gesuch ausreichen», sagt er. «Für die Ergänzungsleistung müsste jeder Fall vertieft geprüft werden. Verglichen mit dem, was es den Familien bringen würde, wäre der Aufwand unverhältnismässig gross.»

Habicher sieht noch ein anderes Problem. Aus seiner Sicht ergeben sich Zielkonflikte, wenn ständig neue Sozialwerke geschaffen werden. «Nehmen wir an, jemand mit einem kleinen Einkommen würde die Familienzulage erhalten. Diese müsste ganz normal als Einkommen versteuert werden. Weil das Einkommen stiege, würde sein Anspruch auf die Prämienverbilligung sinken. Das wäre für die Familien ein Nullsummenspiel und für die Verwaltung ein zusätzlicher Aufwand für nichts. Das kann es nicht sein.»

Ausserdem sei die Finanzlage des Kantons jetzt schon angespannt – nicht zuletzt wegen der wachsenden Prämienverbilligungen. Wenn schon, findet auch er, müsste die Unterstützung der Familien auf Bundesebene aufgesetzt werden. «Die Sozialleistungen sollten in der ganzen Schweiz einheitlich sein. Es ist nicht sinnvoll, wenn jeder Kanton für sich selbst werkelt.»

SP: Mindestlohn als Alternative

Das Argument, dass es mit der Sozialhilfe bereits ein geeignetes Instrument gebe, lässt die SP-Kantonsrätin Brigitte Röösli nicht gelten. Sie ist in Illnau-Effretikon Stadträtin und Präsidentin der Sozialbehörde. Auch sie hat das Geschäft in der Kommission eng begleitet.

«Ja, die Sozialhilfe ist richtig und wichtig», sagt sie. «Aber sie kann auch falsche Zeichen setzen. Sie kann dazu führen, dass jemand nicht mehr motiviert ist und die Abhängigkeit zunimmt.» Ausserdem seien Menschen, die Sozialhilfe bezögen, nach wie vor stigmatisiert.

Eine Ergänzungsleistung für Familien hingegen würde die Selbständigkeit von Familien fördern. «Wir könnten zum Beispiel einer alleinerziehenden Mutter aufzeigen, dass es sich für sie lohnt, wenn sie arbeiten geht, weil sie dann Ergänzungsleistungen erhält», sagt Röösli. Ausserdem sei der Arbeitsaufwand für die Behörden bei einer Ergänzungsleistung geringer als bei der Sozialhilfe.

Die Forderung, dass die Eltern ihre Pensen erhöhen oder nicht reduzieren, greift aus ihrer Sicht zu kurz. «Als Sozialvorsteherin sehe ich immer wieder Fälle von Personen, die zu 100 Prozent arbeiten, aber denen der Lohn trotzdem nicht zum Leben reicht.» Für solche Fälle gebe es nur zwei Lösungen: entweder einen Mindestlohn oder eine staatliche Unterstützung.

Vielleicht entscheidet das Volk

Birgit Tognella-Geertsen (SP, Wangen-Brüttisellen) ist die Erstunterzeichnerin der parlamentarischen Initiative.

«Es ist leider eine Tatsache, dass es in der Schweiz und auch im Kanton Zürich arme Familien gibt», sagt sie. Es handle sich um klassische Working Poor, also um Eltern, die zwar arbeiteten, aber trotzdem kaum genug hätten, um über die Runden zu kommen. «Sie bleiben knapp über der Sozialhilfe, aber sie kommen nicht auf einen grünen Zweig», sagt sie.

Gegen die Idee des Regierungsrats, eine nationale Lösung einzurichten, hätte die SP-Politikerin gar nichts einzuwenden. «Aber wir wissen alle, wie es um die Finanzen des Bundes steht. Deshalb müssen wir bei uns im Kanton aktiv werden.»

Über das Parlament wird das nicht passieren: Weil sich auch die GLP gegen ihre Initiative ausgesprochen hat, dürfte Tognella-Geertsens Vorschlag im Kantonsrat klar abgelehnt werden. Aufgeben will sie aber nicht – eine Möglichkeit wäre eine Volksinitiative, gemeinsam mit weiteren Partnerorganisationen, sagt sie. Dies werde zurzeit geprüft.

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