Mittwoch, Oktober 30

Sie ist die erfolgreichste Rapperin. Nicki Minaj schafft es an die Spitze der Charts und auf die Frontpage der Modemagazine. Ihr neues Album ist ein Memo an die Konkurrenz: Die Queen bin ich.

Da steht sie, die Arme eng um den Körper geschlungen. Das oversized Nadelstreifensakko sieht aus wie eine schicke Zwangsjacke. Zwei handtellergrosse Ohrringe spannen ihr Gesicht in eine schimmernde Klammer ein. Ihr Blick ist ernst, aber zugleich verletzlich, kritisch und sanft. Der Star als Gefangener seiner selbst, Unterhaltungssouverän und verfügbarer Fetisch in einem.

Das schwarz-weisse Foto eröffnet die Titelgeschichte der Dezemberausgabe von «Vogue USA», und damit hat diese ausserordentliche Pop-Karriere endgültig den Segen eines am bürgerlichen Mainstream orientierten Marketings. Wenn «Vogue» dich über zwölf Seiten porträtiert, dann haben alle – die Modedesigner, die Influencer, die Fotografinnen und die Kosmetikbranche – deinen Wert als Premiumressource erkannt. Nicki Minaj – eine Marke mit weltweiter Strahlkraft. Alles lässt sich mit ihr verkaufen: Mode, Drinks, Make-up, Highheels, Handtaschen, Schmuck.

Party und Reflexion

Und was ist mit der Musik? War Minaj nicht die skandalöse Rap-Diva, die sich mit Miley Cyrus anlegte, weil die dünn und weiss war und den hinternschüttelnden Twerk-Tanz von den Schwarzen geklaut hatte? War sie nicht die Gefährtin von Meek Mill, dem Gangsta-Rapper, der ausgerechnet ihren Labelkollegen Drake in einen Monate währenden wortgewaltigen Beef verwickelte? Was ist denn mit der selbsternannten Barbie, die mit quietschbunten Outfits und rumpelnden Beats in die Jugendzimmer knallte wie eine Supernova des schlechten Geschmacks?

Es gibt die Rapperin als Rebellin immer noch. Aber sie will jetzt, mit 41 Jahren, verheiratet mit einem Jugendfreund und Mutter eines 3-jährigen Sohns, auch noch etwas anderes sein: die Künstlerin als reflektierte, in den Verteilungskämpfen des Showbiz gereifte Frau. Deshalb hat Max Ortega, der leitende Moderedaktor der «Vogue», alles richtig gemacht. Statt knalligen Farben verhaltenes Schwarz-Weiss. Statt schrill-knappem Showdress dezente Eleganz. Eine Inszenierung aus dem Geist artistischer Seriosität.

«Pink Friday 2», das neue, fünfte Studioalbum von Nicki Minaj, ist die musikalische Orchestrierung dieser neuen Lebensphase. Ihr auf Provokation abonniertes Songbook wurde erweitert um Tracks über den Verlust des Vaters, über Eheschwierigkeiten und die Erschöpfung, die globaler Starruhm mit sich bringt.

Die Stimmung ist weniger Party als Reflexion, weniger Klubsause als Innenschau. Die Beats sind schwer und gemächlich, die Arrangements elegant und ökonomisch. Das wehmütig perlende Piano, die schmelzenden Streicher, ein dramatisch dräuender Bass: Mehr braucht es nicht als Klangkulisse, damit sich Minajs schnarrende Stimme in Szene setzen kann.

Natürlich muss sie auch diesmal wieder austeilen, die «Bitches» auf die hinteren Ränge verweisen und die Typen als Toyboys abkanzeln. Es geht dann doch nicht ganz ohne die im Rap bewährte Verunglimpfungs- und Klarstellungsrhetorik. Memo an die Konkurrenz: Die Queen bin ich.

Einst hat sie es schwer gehabt: 1982 in Trinidad als Onika Tanya Maraj geboren, wuchs sie im New Yorker Stadtteil Queens in ärmlichen Verhältnissen auf. Der Vater dealte und wurde Crack-abhängig, brannte das Haus der Mutter nieder. In der Schule wurde sie gemobbt. Minajs Aufstieg war mühsam: Theaterkurse an der Highschool, erste Versuche als Rapperin mit selbstgebrannten CD. Parallel dazu schlechtbezahlte Jobs als Kellnerin. Gleich zweimal flog sie bei der amerikanischen Seafood-Kette Red Lobster raus. Grund: ungehöriges Verhalten gegenüber Gästen.

2009 lernt sie den Rapper Lil Wayne kennen, auf dessen Label Young Money beginnt ihre furiose Karriere. Die Folge: 230 Millionen Follower auf Instagram, 280 Millionen bei X/Twitter. Letztes Jahr schaffte sie es gleich mit zwei Singles in die Top Ten, ihr Song «Super Freaky Girl» belegte wochenlang den ersten Platz der weltweiten Streaming-Charts. Sie gehört damit in die erste Reihe der weiblichen Superstars, angeführt von Beyoncé, Rihanna und Taylor Swift. Das prekär lebende Girl aus der Hood ist zur CEO ihres eigenen Ruhms geworden.

Hip-Hop ist eine Milliarden Dollar schwere Industrie, in der Frauen lange nur eine Nebenrolle spielten. Künstlerinnen wie Queen Latifah und MC Lyte standen in den 1990er Jahren einer Riege von männlichen Konkurrenten gegenüber, Sexismus und Misogynie waren Programm. In den nuller Jahren begann die feministische Neuorientierung des Genres, die gleichzeitig eine Vulgarisierung war.

Wenn du in Videos immer als Bikinischönheit blossgestellt und in Songs als «Schlampe» erniedrigt wirst, dann kannst du diese Zurichtung auch gleich selbst besorgen: So ungefähr die Logik, gemäss der Stars wie Lil’ Kim und Foxy Brown ihr Image kreierten. «Hard Core», das erste Album von Lil’ Kim, war eine vertonte Peepshow und verunsicherte die Kritik. War das nun Selbstentwertung oder Selbstermächtigung im Zeichen der Pornografie?

Zentral für diese Ästhetik wurde der Begriff «Bitch». Von Lil’ Kim und allen auf sie folgenden Rapperinnen wurde die Vokabel umgewertet. Sie war nicht mehr nur Schimpfwort, sondern auch Ehrentitel – ähnlich wie das N-Wort, das nur Dunkelhäutige in doppelter Weise verwenden können: als Invektive oder als Ausdruck sozialer Nähe.

Eine Pointe der Pop-Industrie

Nicki Minaj hat «Bitch» für die Sprachgepflogenheiten im Pop salonfähig gemacht. Sich selbst bezeichnet sie entsprechend als «Boss Bitch», eine Wendung, die nicht ins Deutsche übertragen werden muss, weil das B-Wort mittlerweile auch in den Wortschatz deutschsprachiger Jugendlicher immigriert ist. So schwingt in Pausenplatzbeschimpfungen von Wien über Zürich bis Hamburg heute die Opfer- und Marginalisierungsgeschichte schwarzer Frauen mit – eine Pointe, wie sie nur die Pop-Industrie zuwege bringt, die noch jede kulturelle Äusserung in ihre Strukturen einspeisen und verwerten kann.

Wenn Nicki Minaj jetzt als Grande Dame des Frauen-Rap inszeniert wird, abgelichtet in Amerikas nobelstem Beauty-Magazin, wer übernimmt dann die Rolle des Agent provocateur? Ihre Nachfolgerinnen stehen schon bereit, sie heissen Latto, Lola Brooke oder Sexyy Red. Sie kommen aus Columbus (Ohio), New York und St. Louis. Strip-Klubs, Tankstellen und Shoppingmalls sind die bevorzugten Spielorte ihrer Videos. Ihr Gestus ist sarkastisch und pornografisch, ihre Texte rangieren zwischen Schüttelreim und expressionistischer Asphaltpoesie. Mit Tiktok und Instagram haben sie die idealen Plattformen für den schnellen Angriff auf Zielgruppen und Märkte gefunden. Von der etablierten Eleganz einer Nicki Minaj sind sie aber noch weit entfernt. Von ihrem rhetorischen Raffinement auch.

Exit mobile version