Präsidentin Lisa Mazzone gibt den Kurs vor. Sie gibt sich angriffig, auch in neuen Gebieten wie der Aussenpolitik – und erstaunlich machtbewusst.

Die aktuellen Themen, die die grüne Partei umtreiben, sind düstere. Am Samstag diskutieren die Delegierten in Brig ihre Sicht der Dinge. Neuerdings im Fokus: die Aussenpolitik. Der Freihandel. Das klingt bei den Grünen aber nicht positiv. «Kein Freihandel ohne Schutz der Umwelt und der Menschenrechte.» – «Nachhaltige Entwicklung statt Ausbeutung und Zerstörung.»

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Und die Protagonistinnen hadern weiterhin mit der Weltlage und der Rolle, die die Schweiz spielt (oder eher: nicht spielt). Sie würden so gerne viel mehr tun gegen die «Klimakrise» – aber, wie es scheint, sind es nur noch sie selbst, die diese Dringlichkeit sehen. Und die Gleichstellung in diesem Land? Für die Partei auf Steinzeit-Niveau.

Gleichzeitig müssen die Verantwortlichen erklären, warum sie seit den letzten eidgenössischen Wahlen in zehn kantonalen Ausmarchungen 20 Sitze verloren haben. Mehr als jede andere Partei. Und in Artikeln wird sie (wieder) zur Juniorpartnerin der SP kleingeschrieben, als «pubertäre» Partei, die einfach nicht erwachsen werden will.

Für die Grünen muss es zum Verzweifeln sein.

Lisa Mazzone, 37, sitzt an diesem Donnerstagmorgen in Bern in einem Café – und sagt, dass sie überhaupt nicht verzweifelt sei. Sie kennt die Vorwürfe und Einschätzungen. Ständig wird sie mit diesen Schwierigkeiten konfrontiert. Sie reagiert darauf mal lächelnd, mal harsch, oft mit einer Gegenfrage. Hört man Mazzone zu, hat man nicht das Gefühl, dass die Grünen in einer Krise steckten. Sondern mittendrin in einem grossen Kampf, angeführt von Mazzone, der Präsidentin. Sie gibt dem Bundesrat zwar ein Triple-A-Rating, aber ein Kompliment ist das nicht. «Wir haben einen No-Future-Bundesrat. Es geht ihm nur um Armee, Autobahnen und Atom.» Und, sagt Mazzone, ums Sparen. Das sei ein Rückschrittsprogramm. «Er verpasst alle Herausforderungen unserer Zeit.»

Sie bedient auch die beliebte Erklärung der Linken, dass das Parlament nach rechts rücke, die SVP in Teilen sogar ins Rechtsextreme. Dabei wird derzeit wegen des Einflusses der Mitte ziemlich, genau: mittig politisiert.

Den Grünen geht es jedoch um nichts weniger als um eine Systemabkehr. Das braucht viel Härte. Und Radikalität. Und es wirkt ziemlich chancenlos. Müssten sich die Grünen nicht mehr einmitten? Diese Frage passt Mazzone überhaupt nicht. Beim Klima, bei der Gleichstellung, überall: «Wir müssen uns wehren und die Menschenrechte verteidigen.» Ein ständiger Kampf, immer im Abwehrmodus.

Dieser Position haftet immer eine gewisse Lustlosigkeit an, garniert mit dem Vorwurf, eine Verhinderungspartei zu sein. Mazzone ist ideologisch auf Linie, im Parlament gehörte sie zu den linksten Politikerinnen. Verboten ist sie nicht abgeneigt. Aber sie weiss ebenso, dass es für den Erfolg eben auch Zusammenarbeit braucht. Sie spricht mit allen. In einem Porträt im «Magazin» sagte sie einmal: «Diese Haltung: Du sagst das, dann bist du so einer, und dann spreche ich nicht mehr mit dir – so kommen wir nicht weiter. Wir müssen offen bleiben. Mutig, aber offen.»

Aber auch ihr gelingt das nicht immer. Wie will sie «Lust auf die Zukunft» machen, wenn die Dringlichkeit der Klimakrise immer apokalyptisch vorgetragen wird? Ist es nicht doch zum Verzweifeln? Mazzone sagt: «Ich resigniere doch nicht, weil wir aktuell im Parlament nicht die Resultate erzielen, die wir uns wünschen.»

Ihre Rolle wirkt gegen aussen jedoch undankbar: Sie muss immer wieder über Verluste und Niederlagen sprechen. Und gibt es Siege, sogar grosse, wie beim Autobahnausbau-Nein, profitieren Mitstreiter – vor allem: die SP – vielleicht sogar noch mehr.

Das stimme so nicht, sagt Mazzone, «wir haben ein Vetorecht in Umweltfragen. Und der Umweltschutz war entscheidend für das Nein.» Das stimmt, wie Nachwahlbefragungen zeigen. Dieser Sieg würde den Grünen zugeordnet, ist sich Mazzone sicher. Ist das so? In den kantonalen Wahlen gewinnen die Sozialdemokraten zurzeit vor allem auf Kosten der Grünen. Und wer registriert, dass die Grünen immer noch grösser sind als vor den «historisch einzigartigen Gewinnen», wie Mazzone dies nennt, bei der Klimawahl? Diese «Korrektur» sei normal, die Erfolge seien dennoch da. Im Vergleich, etwa zur FDP oder zur GLP, stimmt das. Die Grünen haben 2019 tatsächlich überproportional gewonnen, die jetzige Normalisierung ist kein Totalabstieg.

Das ist auch eine stimmige Beschreibung für Mazzone selbst. Ihr Werdegang passt zum Zustand der Partei. Seit einem Jahr ist die Genferin nun die Präsidentin der Grünen. Es ging schnell nach oben, die «grüne Welle» auf dem ganzen Kontinent, die «Klimawahl 2019» in der Schweiz, Mazzone wurde Ständerätin, mit nur 31 Jahren (und nach bereits vier Jahren im Nationalrat). In einem Ranking des «Tages-Anzeigers» wurde sie unter die fünfzehn einflussreichsten Parlamentarier gewählt. Sie gilt in dieser Zeit als «Dealmakerin», die es auch mit anderen, bürgerlichen Politikern gut kann. Exemplarisch ist der Mantelerlass zum Stromgesetz. Sie ist mitverantwortlich für diesen Kompromiss.

Alles schien so leicht zu gehen, immer ging es nur nach oben. Mazzone betont immer wieder, dass dieser Eindruck täusche, es nicht immer einfach gewesen sei. Sie sagt dann Wörter wie Arbeit und Willen und Kraft. Auch die eigene Karriere: ein ständiger Kampf? Selbst im Erfolg?

Vielleicht hat Mazzone, die schon immer eine Grüne war, die schon als Kind in einem Haus mit Solar- und einer Photovoltaik-Anlage wohnte («Avantgarde» sei das gewesen), schon damals geahnt, dass es nicht immer so weitergehen konnte, dass der natürliche grüne Habitus ein widerständiger, vielleicht auch widerspenstiger ist. Nach nur einer Legislatur im Ständerat wird sie nicht mehr gewählt, dafür schicken die Genfer zwei (ältere) Männer ins Stöckli. Das trifft Mazzone hart. Sie will ihre politische Karriere beenden. «Pour moi, c’est terminé.»

Nur wenige Monate später übernimmt sie das Präsidium der Grünen. Der Kampf war noch nicht vorbei. Auch ihre Wahl an die Spitze war intern ein kleiner Kampf. Es gab – natürlich nur anonyme – Kritiker. Wie soll das gehen mit einer Person, die nicht mehr im Parlament vertreten ist? Und ist es sympathisch, dass die progressiven Grünen von einer Frau angeführt werden, die sagt: Ich mache es – aber allein? Weil sie überzeugt war: «Müsste ich die Parteiführung mit einer Person aus der Deutschschweiz teilen, stünde ich oft bloss in der zweiten Reihe. Darauf habe ich keine Lust.» Und Lust hat sie auf anderes, sie möchte beeinflussen – und dabei nicht weniger als «die Welt verändern». Es heisst, dass sie sehr bestimmend sei, manchmal forsch. Aber muss man das nicht sein als Präsidentin? In einer Hierarchie-aversen Partei, die immer noch viel Elemente einer Bewegung aufweist, ist Machtwille allerdings nicht unverdächtig.

Mazzone steht zu ihrem, auch wenn sie weiss, dass das in ihrer Partei nicht alle nur gut finden. Sie mag die Kämpfe für ihre Werte – auch wenn sie hart seien. «Das ist Demokratie.» Es wirkt sogar so, dass es ihr Spass macht. Sie wusste, dass sie nur etwas in Bern bewegen kann, wenn sie die Deutschschweizer Übermacht in deren Sprache fordern kann. Also lernt sie besser Deutsch. Heute beherrscht sie es perfekt. Sie bedingt sich aus, dass sie als Präsidentin bei allen Fraktionssitzungen dabei ist. «Ich weiss immer Bescheid.»

Sie reist durch das Land, besucht die Sektionen in allen Kantonen. Sie will alles unter Kontrolle haben. Sie führe nicht hierarchisch, sagt sie, aber «ich habe schon einen Plan». Und: «Jede Partei braucht eine Führung.» Kommen die Grünen zu wenig in den Medien, meldet sie sich bei den Journalisten. «In der Schweiz ist die Aufmerksamkeit sehr bundesratsorientiert. Ist eine Partei nicht im Bundesrat vertreten, hat sie es schwerer, Gehör zu finden.»

Manchmal hat das fast etwas Ruchloses. Die Vehemenz, wie sie für eine Zehn-Prozent-Partei einen Bundesratssitz fordert, braucht Chuzpe. «Würden wir keinen fordern, wäre das Verantwortungsverweigerung», sagt sie dann jeweils. Das passt auch zu den Versuchen, mit markiger Kritik wieder mehr Aufmerksamkeit zu erlangen. Bundesrat Albert Röstis Klimapolitik verglich sie zuletzt mit jener Donald Trumps – Bundesrätin Karin Keller-Sutter verglich sie mit J. D. Vance.

Ist das nicht doch nur der Mut einer Verzweifelten? Die Überzeugung, dass die Medien besser schlecht als gar nicht berichten . . .

Trotzdem hat sich etwas verändert im grünen Anspruchsdenken. Obschon die Partei ihre Sitze vor allem an die SP verliert, greift sie freie Sitze in der Exekutive an. Auch dann, wenn die SP ebenfalls darauf aspiriert. Das Verhältnis ist angespannt. Das zeugt von neuem Selbstbewusstsein. Doch sind die Grünen wirklich mehr als eine mittelgrosse Ein-Thema-Partei? Die gewinnt, wenn das Klimathema bewegt – und sich sonst bei zehn Prozent einpendelt. Mazzone streitet die Monothematik und den Mut der Verzweiflung leidenschaftlich ab. Aber Aussenpolitik war, nur als Beispiel, bisher kaum ein Thema.

Am Samstag an der Delegiertenversammlung wird Lisa Mazzone eine Präsidialrede halten. Sie wird sich auch um die Rolle der Schweiz in der Welt drehen. Ob das für knackige Schlagzeilen reichen wird – oder sogar für eine Trendwende?

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