Sonntag, April 20

Der österreichische Design-Director von Brioni spricht im Interview über die 1945 gegründete Marke aus Rom, die berühmt für ihre handgefertigten Anzüge ist, sowie seine Lehrjahre bei den wichtigsten Häusern der Pariser Modeszene.

Herr Stumpfl, was ist eigentlich der Unterschied zwischen Design-Director und Creative Director?

Norbert Stumpfl: Ein Design-Director ist stärker in die alltäglichen Details involviert, während ein Creative Director oft das grössere Gesamtbild und die Aussenwirkung einer Marke im Fokus hat. Für mich passt diese Rolle perfekt.

Wie hat sich Brioni verändert, seit Sie Design-Director sind?

Als ich 2018 dazukam, war Brioni ein wenig in Vergessenheit geraten. Die Marke wurde hauptsächlich mit Anzügen und hochwertigem Massschneidern assoziiert, was natürlich ein zentraler Teil unserer Identität ist. Aber heute haben wir Brioni von einem reinen Tailoring-Brand zu einer Lifestyle-Marke weiterentwickelt. Unsere Philosophie ist es, die handwerkliche Exzellenz, die unsere Anzüge ausmacht, auch auf andere Kategorien wie Freizeitkleidung, Strickwaren, Lederwaren, Accessoires und Abendmode zu übertragen.

Das bedeutet?

Wir arbeiten mit kleinen, familiengeführten Stofflieferanten zusammen, um traditionelle Handwerkskunst zu bewahren. Das ist die Essenz von Brioni – Kleidungsstücke, die lange halten und zeitlos sind.

Was hat Sie überrascht, als Sie bei Brioni anfingen?

Die avantgardistische Geschichte der Marke! Ich wusste, dass Brioni die erste Marke war, die Herrenkleidung auf Laufstegen präsentierte. Aber ich hatte keine Ahnung, dass sie in den 1960er Jahren eine Modenschau in der Lobby des «Waldorf Astoria» in New York veranstaltete oder sogar eine Modenschau während eines Transatlantikflugs von Rom nach New York abhielt. Solche innovativen Ideen zeigen, wie modern und mutig die Marke schon damals war.

Wie hat sich die Passform der Brioni-Anzüge verändert?

Wir bieten heute eine grössere Vielfalt an Passformen. Die Silhouetten sind moderner, etwas lockerer, ohne oversized zu wirken, die Schultern sind weicher und natürlicher, das Material leichter – die perfekte Balance zwischen Struktur und Leichtigkeit. Unsere Anzüge wirken klassisch, erlauben aber volle Bewegungsfreiheit. Alles ist darauf ausgelegt, den Träger hervorzuheben, nicht das Kleidungsstück.

Warum gibt es heute keine Laufsteg-Shows mehr, obwohl Brioni eine Vorreiterrolle in diesem Bereich hatte?

Gute Frage. Laufsteg-Shows sind toll, aber zu Brioni passt es besser, die Exklusivität und Qualität der Marke in Präsentationen hervorzuheben. Es wird so viel Zeit darauf verwendet, den perfekten Kragen, die perfekte Tasche und die ideale Silhouette zu schaffen. Für mich ist es wichtig, mit meinem Team den Menschen all die kleinen Details zu erklären, die man auf einer Modenschau vielleicht übersieht. Dieser Ansatz macht die Tiefe unserer Arbeit sichtbar. Es geht darum, den Kleidungsstücken näher zu kommen, sie zu berühren und die handwerkliche Sorgfalt zu erkennen. Das ist das Wesentliche: die kleinen, oft unsichtbaren Details sichtbar zu machen.

Gibt es eine besondere Stoffinnovation, die Sie hervorheben möchten?

Ein Super-220-Wollgemisch mit Vicuña, das fast so weich wie Seide ist. Diese seltenen Materialien repräsentieren die Spitzenqualität, die Brioni auszeichnet.

Erste Schritte in Richtung Modewelt machten Sie in Ihrer Heimat in Oberösterreich . . .

Ich bin in einem kleinen Dorf mit weniger als 2000 Einwohnern aufgewachsen. Schon damals habe ich viel gezeichnet, vor allem Kleidung. Mit vierzehn begann ich in Linz eine Schneiderlehre, kombiniert mit einer höheren Schulausbildung. Das bedeutete, von Montag bis Samstag zu arbeiten und in der Schule zu lernen. Diese Jahre formten mich stark und brachten mir das Verständnis für Material und Verarbeitung bei.

Und wie schafften Sie den Sprung in die internationale Modewelt?

Nach meinem Zivildienst in einem Krankenhaus entdeckte ich in einem Artikel die Central Saint Martins School in London. Ich hatte das Glück, angenommen zu werden. Um mir das Studium zu finanzieren, arbeitete ich als Verkäufer bei Prada und als Assistent im Atelier von Alexander McQueen. Es war eine intensive, aber prägende Zeit.

Inwiefern?

Bei McQueen konnte ich an ikonischen Kollektionen und Teilen mitarbeiten. Später sammelte ich Erfahrungen bei Lanvin, wo ich mit Alber Elbaz und Lucas Ossendrijver die ersten Herrenkollektionen entwarf. Bei Balenciaga, unter Alexander Wang, hatte ich die Freiheit, eigenständig Menswear-Designs zu entwickeln, und bei Louis Vuitton erweiterte Kim Jones meinen Blick auf moderne Kleidung. Jede Station hat mich in meinem Stil und meiner Arbeitsweise geprägt.

Und dann, nach vielen Jahren in der Pariser Modeszene, zog es Sie nach Rom zu Brioni.

Als ich zu Brioni kam, war es wie die Erfüllung einer langen Reise. Die Marke hat eine Handwerkstradition und einen Umgang mit Stoffen, die ihresgleichen suchen. Hier kann ich meine Liebe zum Detail und zu zeitlosen Designs voll ausleben. Natürlich war es eine Herausforderung, mit meiner Familie nach Rom zu ziehen, doch die Möglichkeit, diese Tradition fortzuführen, hat mich begeistert.

Weshalb macht Brioni jetzt auch Frauenmode?

Diese entstand aus einem Bedürfnis heraus. Es gab viele Anfragen von unseren Masskunden, die fanden, dass wir auch etwas für Frauen anbieten sollten, da diese oft nichts Passendes fänden. Am Anfang waren es nur 5 oder 6 Looks, die bei der Herrenmodepräsentation gezeigt wurden. Aber mittlerweile ist es eine eigenständige Kategorie. Für die letzte Frühjahr/Sommer-Kollektion hatten wir zum Beispiel 21 Looks. Es entwickelt sich immer mehr zu etwas Eigenständigem.

Wie stehen Sie beziehungsweise Brioni zu Modetrends?

Brioni und Trends – das ist wahrscheinlich nicht die erste Assoziation. Natürlich lieben wir Mode und beobachten, was andere tun. Wir möchten aktuell sein, aber auf eine Art, die zu klassischer Herrenschneiderei passt. Die Silhouetten passen wir leicht an, wollen aber nie den Eindruck erwecken, dass wir einem Trend folgen. In gewisser Weise ist Brioni das Modernste, was man tun kann: nachhaltig sein, zeitlos bleiben und handgefertigte Qualität fördern.

Und was findet man bei Brioni nicht?

Kleidung, die rasch «démodé» ist, die nur fürs Einmal-Tragen gemacht ist und schnell aus der Mode kommt. Für mich als Designer ist es wichtig, nur Dinge zu schaffen, die einen Grund haben zu existieren – Stücke, die von Generation zu Generation weitergegeben werden können.

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