Kehren jetzt die Vampire auf die Leinwand zurück? Das Remake des Stummfilmklassikers «Nosferatu» von Robert Eggers könnte auch schon wieder das Ende der Renaissance bedeuten.

Nachdem das Lumpenproletariat der Zombies jahrelang durchs Streaming-Fernsehen stapfte – siehe «The Walking Dead» und seine Spin-offs –, ist jetzt wieder der Vampir am Zug. Als Vertreter einer Elite, die die unteren Klassen zur Ader lässt, war er eine Zeitlang aus der Mode, aber als Nicolas Cage letztes Jahr seinen Dracula in «Renfield» im Stil des durchgeknallten Dandys spielte, kam dieser Untote des Gruselkinos wieder zu Kräften. Die Geschichte grosser Genrefiguren ereignet sich erst als Tragödie, dann als Farce.

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Robert Eggers, der Regisseur von subtilen Schauermärchen wie «The Witch» und «Der Leuchtturm», spannt den Bogen ästhetisch nun wieder zurück ins Horrordrama und bleibt, was Zeit- und Lokalkolorit angeht, nah an der Vorlage von Bram Stokers «Dracula»-Roman. Dieser «Nosferatu» kommt im Gewand des 19. Jahrhunderts daher, ist Kostüm- und Historienfilm. Entsprechend ist das Licht schummrig, die Kulisse antiquiert. Das Ensemble erscheint der Zeit entsprechend in Robe und Frack, als Vertreter eines Bürgertums, das mit Handel und technischem Fortschritt gesellschaftlich aufsteigen und bestimmen will.

Wiederkehr des Verdrängten

Die Konstellation ist bekannt: Thomas (Nicholas Hoult), der junge Grundstücksmakler, Ellen (Lily-Rose Depp), seine bildschöne Frau. Graf Orlok (Bill Skarsgard), der Vampir mit osteuropäischem Background. Ein Zweitwohnsitz in Deutschland soll es für Orlok alias Nosferatu sein. Und, wenn sich die Gelegenheit bietet, dazu gern noch eine Mätresse. Das ist nicht einfallsreich, aber schlüssig: Den Vertretern des Kapitals erschliessen sich auch erotische Ressourcen. So gesehen ist Orlok nur der nächste Wohlstandsmigrant, dem die Raffgier der besitzbürgerlichen Klassen in die Hände spielt.

Diesen Aspekt spielt Eggers’ Inszenierung voll aus: dass um jeden Preis ein Reibach zu machen ist, und wenn man, wie Thomas, dabei die eigene Ehefrau als Bonus dazupackt, ist das zwar ein krasser Deal, aber eben ein Deal. Der erste Akt, also die Reise von Thomas zu Orlok, sein Aufenthalt im Spukschloss des Grafen und die mühsame Rückkehr, zeigt mit schönen Schauereffekten, wie irre man sein muss, um Immobilien an Leute zu verkaufen, die aussehen wie die Quersumme aus Crack-Junkie und Gunther-von-Hagens-Plastinat.

Bill Skarsgard spielt Orlok als grunzend raunendes Fabelwesen. Zu Hause im Hinterland hat er die Bauern drangsaliert, aber so ein modernes Gemeinwesen aufmischen – Spielort des zweiten und dritten Akts ist das fiktive norddeutsche Wisborg –, das ist dann noch einmal eine andere Nummer. Goethe, der die Ankunft von Orlok nur knapp verpasste – er starb 1832 –, hat gesagt, man solle «bei hohen Frauen» anfragen, wenn man wissen wolle, «was sich ziemt». Genau da ist das Einfallstor von Nosferatus Subversion: Er verführt die Ehrendame Ellen, und dann geht es auch mit der allgemeinen Sittlichkeit den Bach runter.

Hier aber laufen Eggers die Ideen und Motive aus dem Ruder, was sich auch im Bildstil zeigt. Am Anfang besticht «Nosferatu» mit perfekt komponierten Tableaus, die in ihrer geometrischen Strenge dem rigiden Normgefüge des dargestellten Milieus entsprechen. Dann aber wird es klamottenhaft wirr, streckenweise wie in einem von Netflix zusammengeschusterten B-Movie.

Bei den Figuren schwirren die Motive und Topoi durcheinander wie die Assoziationen bei einer psychoanalytischen Sitzung. Auf den ersten Blick ist das sogar schlüssig: Ellen ist exzentrisch und mysteriös, hat jene Albträume und körperlichen Anfälle, die Freuds Verfahren wenig später als Hysterie klassifizieren wird. Die Vorstellung von der hysterischen Frau, die ihre sexuellen Impulse nicht mehr unter Kontrolle hat, geistert durch die Erzählung ebenso wie das Narrativ vom Bürgertum, das seinen Triebverzicht mit Neurosen bezahlt. In dieser Perspektive steht Orlok für die Wiederkehr des Verdrängten. Das kann man so machen, wenn man zeigen will, dass Sublimierungsgebote immer auch eine Schattenseite haben und nicht überall, wo bürgerliche Ordnung draufsteht, auch geordnete Verhältnisse drin sind.

Aber der Film lädt dieses Narrativ zusätzlich mit religiösen Fragen auf: Immer wieder ist von Ellens Auserwähltsein die Rede, und wenn gegen Ende auch noch die Pest wie eine biblische Plage im Städtchen wütet, muss sich die Schöne für alle opfern wie einst der Heiland für die verruchte Menschheit. Willem Defoe als Fachmann für Okkultes und Jenseitiges macht den dramaturgischen Wirrwarr nicht besser. Von Exorzisten erwartet man, dass sie wissen, was sie da austreiben, aber Prof. Albin Eberhart von Franz, so der Name der Figur, kann immer nur bestätigen, was sowieso alle längst gecheckt haben: Orlok ist für rational geprägte Kollektive metaphysisch ein paar Nummern zu gross.

Film für den Friedhof

Lily-Rose Depp hat das perfekte Gesicht für einen Typus, den man zuletzt auf den Gemmen des Biedermeier gesehen hat, und die Kamera von Jarin Blaschke macht aus ihrer historisch patinierten Schönheit das Beste. Das heisst eine Projektionsfläche für all die Schrecken, die den modernen Menschen so befallen, wenn er merkt, dass sein Ich nicht mehr der Herr im Hause ist. Nicholas Hoult ist ein exzellenter Darsteller, was man schon daran merkt, dass er einen stumpfen Langweiler auf interessante Weise stumpf und langweilig erscheinen lässt. Bill Skarsgard ist unter der Maske des Orlok kaum erkennbar, aber es gehört sicher sehr viel Disziplin dazu, eine Ausgeburt der Hölle zu spielen, zumal noch niemand in der Hölle gewesen ist und historisch stichhaltige Regieanweisungen deshalb wegfallen.

Warum also eine Neufassung der Nosferatu-Fabel? Womöglich ist es mehr die Stilübung eines bildästhetisch äusserst versierten Regisseurs als ein neuer Versuch einer Auslegung des Stoffes. Die waghalsigen und überraschenden Perspektiven auf den Vampir findet man woanders. In der HBO-Serie «True Blood» (2008 bis 2014) zum Beispiel, mit Blutsaugern, die ihre eigene Geschichtlichkeit reflektieren und das Aus-der-Zeit-gefallen-Sein als Tragödie begreifen. Oder im Filmdrama «Let the Right One In» (2008), eine präzise Reflexion über Jugend, Verzweiflung und Einsamkeit. «Nosferatu» aber gehört nun wirklich begraben.

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