Gegen Serbien in der Nations League wollen die Schweizer mit einem Sieg am Freitagabend den vorzeitigen Abstieg verhindern. Der Trainer Murat Yakin klagt noch immer über Schiedsrichterfehler und bastelt am Kader herum.
Es ist der Tag vor dem Match gegen Serbien, der Schweizer Nationaltrainer Murat Yakin und der Spieler Fabian Rieder nehmen Platz im gut gefüllten Medienraum des Zürcher Letzigrund-Stadions. «Nations League» heisst der Wettbewerb, in dem die Schweizer am Freitagabend gewinnen müssen, wenn sie nicht bereits vor dem letzten Spiel am Montag in Teneriffa gegen Spanien als Absteiger aus der Gruppe A feststehen wollen. «Wir haben es in den eigenen Händen», sagt Yakin und fügt an: «Leider können wir nicht mehr um die Play-offs fürs Finalturnier spielen.»
Es entspricht Yakins eigener Sichtweise, dass er sich und die Mannschaft in diesem Herbst anders sieht, als es Resultate und Tabelle zeigen: 4 Spiele, 1 Punkt, 10 Gegentore lautet die Zwischenbilanz. «Viele Fehlentscheide haben uns Punkte gekostet, anders kann ich es nicht erklären», sagt der Nationaltrainer. Yakin wiederholt, was er schon mehrfach als Erklärung für die fehlenden Punkte verwendet hat: Die Schiedsrichter waren schuld. So kann man das sehen, wenn man nicht die eigene Leistung beurteilen möchte oder über den Fortschritt eines personellen Umbruchs nachdenken mag.
Personeller Umbruch: Das war nach dem EM-Sommermärchen in Deutschland das Motto für die sechs Partien in der Nations League. Yakin hatte nicht unrecht, als er sagte: «Ein Abstieg in der Nations League wäre kein Beinbruch.» Denn wichtiger ist die nächste Endrundenteilnahme. Dieser Herbst sollte deshalb Aufschlüsse liefern, mit welchem Personal die Schweizer in die bevorstehende Qualifikation zur WM 2026 starten wollen.
In der gleichen Dunkelheit herumtappen wie vor einem Jahr?
Von grossartigen Aufschlüssen ist bis jetzt wenig zu erkennen. Die Partien gegen Serbien und Spanien bieten nun Gelegenheit zur Korrektur des Eindrucks, dass Yakin und sein Team in der gleichen Dunkelheit herumtappen wie vor einem Jahr.
Damals endete die EM-Qualifikation mit der 0:1-Niederlage in Rumänien und mit der Frage, ob Yakin der richtige Trainer sei für das EM-Turnier. Nicht nur Journalisten stellten diese Frage, sondern auch Pierluigi Tami, der Nationalmannschafts-Direktor. Bald könnte die Frage lauten: Ist Yakin der richtige Trainer, um auf längere Sicht aus der Vielzahl von jüngeren Spielern eine Mannschaft zu formen, die sich für die WM 2026 qualifiziert?
Es ist Yakins Glück, dass diese Frage nicht akut ist. Denn er hat an der EM bewiesen, dass er ein erfolgreicher Turniertrainer sein kann, da hat er das gegenteilige Bild von der WM 2022 mit dem 1:6-Debakel gegen Portugal korrigiert. Aber die Aufgabe, einen Umbruch zu gestalten und voranzubringen, hat Yakin noch nicht gelöst.
Als Yakin als Nationaltrainer angefangen hatte, fehlte Granit Xhaka verletzt, und der Coach zauberte den reaktivierten Fabian Frei aus dem Hut. Yakin hatte gegen Italien Penalty-Glück dank Jorginhos Fehlschüssen, schon war die WM-Qualifikation praktisch geschafft. Yakin zeigte sein Talent, in einem speziellen Moment auf die richtigen Karten zu setzen. Doch für einen Umbruch braucht es mehr.
Ottmar Hitzfeld war es, der nach der verpassten Qualifikation für die EM 2012 einen solchen Umbruch plante und erfolgreich umsetzte. Vladimir Petkovic hatte 2018 nach der WM in Russland einen ähnlichen Umbau vollzogen. Auch wenn Yakins direkter Vorgänger in kommunikativer Hinsicht katastrophal vorging, war auch Petkovics Gefühl richtig, für Valon Behrami, Blerim Dzemaili, Gelson Fernandes, Johan Djourou und Stephan Lichtsteiner Alternativen zu suchen. Der Achtelfinal-Sieg gegen Frankreich an der EM 2021 gab Petkovic recht.
Die Lücken von Sommer, Schär und Shaqiri
Nun, in diesem Herbst, war nach den Rücktritten von Yann Sommer, Fabian Schär und Xherdan Shaqiri so oder so klar, dass sich die Equipe verändern muss. Bis jetzt ist aber nur deutlich geworden, dass mit Gregor Kobel – von Hüftproblemen genesen und gegen Serbien im Tor – ein Goalie mit langfristiger Perspektive neu im Team steht. Welches Personal die Abwehr bilden soll und wie die durch Shaqiris Abgang entstandene Lücke geschlossen werden könnte, beantwortet Yakin von Spiel zu Spiel anders, und immer wieder mit Andeutungen.
So ist Breel Embolo, wenn er in Form ist und einen klareren Kopf hat als zuletzt beim verschossenen Penalty in Serbien, als Stürmer Nummer eins gesetzt. Granit Xhaka ist mehr denn je der Chef im Mittelfeld. Manuel Akanji ist der Patron in der Verteidigung. Aber wie um dieses Gerüst herum der Neubau der Equipe aussehen soll, bleibt vorderhand Skizze.
Fabian Rieder ist ein Teil dieser Skizze. Dass am Tag vor dem Match gegen Serbien er und kein Routinier auf dem Podium sitzt, ist ein Zeichen, dass der Umbruch im Kader am 22-Jährigen festgemacht werden soll. «Die Richtung ist klar», sagt Rieder, die Stimmung im Team sei «super». Etwas anderes hat man vor einem Spiel zwar noch nie gehört von einem Nationalspieler, aber Rieder hat von den Jüngeren am meisten Erfahrung im Nationalteam. Nach einem schwierigen Jahr mit einem Mittelfussbruch bei Rennes ist er nun an den VfB Stuttgart ausgeliehen und spielt regelmässig.
Der Berner hat 14 Länderspiele absolviert und war an den letzten zwei Endrunden dabei. Das Debüt gab er an der WM in Katar gegen Kamerun im linken Mittelfeld, und er kam da völlig überraschend im zweiten Gruppenspiel gegen Brasilien als Rechtsverteidiger zum Einsatz. An der EM in Deutschland hatte Rieder in allen fünf Partien Spielpraxis, jeweils im offensiven Mittelfeld.
Rieder ist ein Musterbeispiel für «Polyvalenz», also für die Eigenschaft, vielseitig einsetzbar zu sein. Yakin sieht für Rieder die Aufgabe vor, hinter Embolo für offensive Impulse zu sorgen wie das einst Shaqiris Auftrag war. Rieder hört Yakin aufmerksam zu. Er kennt die Skizze.
Offen ist Yakins Plan für die Abwehr, in der nach Akanjis verletzungsbedingter Absenz als Routinier nur Ricardo Rodriguez zur Verfügung steht. Nico Elvedi, Becir Omeragic, Leonidas Stergiou und Grégory Wüthrich sind verletzt, Silvan Widmer und Cédric Zesiger stehen nicht im Aufgebot.
Also dürfte Yakin neben Rodriguez eine Lösung aus den Neulingen Aurèle Amenda, Albian Hajdari und Miro Muheim ertüfteln. Auch Ulisses Garcia und der plötzlich wieder auferstandene Kevin Mbabu sind Optionen. Ob sich aus alldem ein Plan für die Zukunft ergibt, wäre erstaunlich. Ferner ist laut Yakin klar, dass der Angreifer Noah Okafor – nach der EM mit einer «Denkpause» bestraft – Spielminuten bekommen wird.