Die geplante Subventionierung weniger Betriebe mit Geldern aus einer Zusatzsteuer ist laut Juristen rechtlich fragwürdig.
Die beiden Schweizer Stahlwerke in Gerlafingen und Emmenbrücke dürfen nicht untergehen – der Staat muss das verhindern. Das scheint eine verbreitete Meinung im Bundesparlament zu sein. Die Umweltkommission des Nationalrats will die beiden Betriebe sowie ein Walliser Aluminiumwerk des amerikanischen Konzerns Novelis mittels Feuerwehrübung direkt subventionieren. Das soll in Form eines vierjährigen Sonderrabatts auf den Gebühren für die Nutzung des Stromnetzes ab 2025 geschehen. Das Parlament soll laut den Befürwortern die Sache in der Dezembersession im dringlichen Verfahren durchwinken.
Die geplanten Subventionen sind an Bedingungen gebunden, wie etwa Garantien für den Erhalt der Produktionsstandorte und für Investitionen. Zudem sind im Gesetzesvorschlag keine spezifischen Firmennamen vorgesehen, sondern nur Branchen und eine Schwelle des erforderlichen Stromkonsums. Das heisst, die Formulierung ist so gedacht, dass sicher die beiden Stahlwerke und sonst nur einzelne Firmen von den Subventionen profitieren.
Aus ökonomischer Sicht ist die Subventionierung einzelner Betriebe fragwürdig: Wenige profitieren zulasten aller anderen, und wenn einzelne Betriebe oder Branchen Sonderbehandlungen bekommen, können viele andere ebenfalls rasch Ansprüche anmelden. Jeder wird eine Geschichte über die besondere Bedeutung des eigenen Betriebs und der eigenen Branche für die Nation oder die Region erzählen können. Laut dem Wirtschaftsdepartement gibt es in Europa keine Knappheit an Stahl, sondern einen Überfluss – und zudem gebe es auch mehr als genug Produzenten von Recycling-Stahl nahe der Schweizer Grenze.
Gebot zur Gleichbehandlung
Trotzdem kann das Parlament Subventionen für Stahlbetriebe wollen. Eine Allianz von Linken, Mitte-Exponenten und Regionalpolitikern könnte die Basis für eine Mehrheit hergeben. Diese Woche gab es indes in der Umweltkommission des Nationalrats auch juristische Einwände gegen die geplante Hilfsaktion. Dem Vernehmen nach haben Vertreter der Bundesverwaltung erklärt, dass die geplante Hilfsaktion kaum konform wäre mit der Bundesverfassung.
Das Bundesamt für Justiz wollte sich am Mittwoch dazu auf Anfrage nicht äussern. Doch es wurde deutlich, dass es Skepsis unter Bundesjuristen gibt. Vor allem zwei juristische Einwände waren zu hören. Zum einen verstosse die Subventionierung einzelner Betriebe gegen das Gleichbehandlungsgebot der Verfassung – einen spezifischen Verfassungsartikel zur Förderung der Stahlindustrie gebe es nicht.
Zum anderen ist auch die geplante Finanzierung der Subventionen juristisch zweifelhaft. Die Nationalratskommission will die geschätzten Kosten der Subventionen von total etwa 50 Millionen Franken für die vorgesehene Vierjahresperiode durch Erhöhung der Netzgebühren für alle anderen Stromkonsumenten finanzieren. Dieser Zuschlag ist faktisch eine Steuer, für die es keine Grundlage in der Bundesverfassung gibt.
Zulässige Strukturpolitik?
Verfassungsrecht ist nicht Physik. Es ist oft interpretationsbedürftig; die Grenze zwischen wahr und falsch kann deshalb fliessend sein. Will man die geplanten Stahlsubventionen juristisch rechtfertigen, findet man tatsächlich im Unterschied zur Landwirtschaft keinen branchenspezifischen Förderartikel in der Verfassung. Und der Verfassungsartikel zur Landesversorgung taugt im vorliegenden Fall kaum als Basis. Denn nach derzeitigem Wissensstand wäre die Landesversorgung mit Stahl auch ohne Schweizer Produktion nicht dramatisch eingeschränkt.
Als juristische Basis für die geplanten Stahlsubventionen kommt wohl am ehesten der Verfassungsartikel 103 mit dem Titel «Strukturpolitik» infrage. Hier der Artikel: «Der Bund kann wirtschaftlich bedrohte Landesgegenden unterstützen sowie Wirtschaftszweige und Berufe fördern, wenn zumutbare Selbsthilfemassnahmen zur Sicherung ihrer Existenz nicht ausreichen.»
Der Wortlaut des Artikels und die Lektüre einschlägiger Verfassungskommentare legen nahe, dass die Subventionierung eines einzelnen Betriebs durch diesen Artikel nicht gedeckt wäre. Und die regionalpolitische Optik dieser Verfassungsnorm dürfte im Stahlfall kaum greifen; die regionale Bedeutung der beiden Stahlwerke ist für diesen Zweck kaum gross genug.
Eher liesse sich die langjährige Subventionierung des Tourismussektors mit dem regionalpolitischen Teil der genannten Verfassungsnorm begründen. So diente diese Norm als Legitimation für das «Bundesgesetz über die Förderung von Innovation, Zusammenarbeit und Wissensaufbau im Tourismus».
Die Voraussetzungen
Für die Stahlsubventionen müssten im Sinn der Verfassungsnorm zur Strukturpolitik mindestens zwei Bedingungen erfüllt sein: Die zwei Stahlbetriebe bilden einen ganzen «Wirtschaftszweig» im Sinn des Verfassungsartikels, und zumutbare Selbsthilfemassnahmen der Betriebe reichen zur Sicherung ihrer Existenz nicht aus. Das Gleiche würde auch in Bezug auf das Walliser Aluminiumwerk gelten. Zudem wäre zu fragen, ob die geplanten Subventionen die Existenzsicherung ermöglichen. Die Sache erscheint zweifelhaft.
Eine «Unterstützung lediglich einzelner Betriebe ist nicht zulässig», heisst es im bekannten St. Galler Verfassungskommentar zur Strukturpolitik (2023). Autor des Texts zu diesem Verfassungsartikel ist der Rechtsprofessor Peter Hettich von der Universität St. Gallen. Am Mittwoch sagte er auf Anfrage, dass diese Verfassungsnorm eine Grundlage für branchenspezifische Subventionen hergebe und dies auch für die Stahlbranche gelten könne. Er habe den Stahlfall aber nicht im Detail geprüft.
Eine mögliche Argumentationslinie für die juristische Rechtfertigung der Stahlsubventionen könnte vielleicht wie folgt gehen: Die Subventionierung eines Einzelbetriebs ist gemäss der Verfassungsnorm zur Strukturpolitik unzulässig, weil Wettbewerbsverzerrungen die Folge wären. Stellen aber wenige Betriebe schon eine ganze Branche dar, bringt die Subventionierung dieser wenigen direkt im Inland keine Wettbewerbsverzerrung. Denn im Inland gäbe es keine direkten Konkurrenten, die nicht subventioniert sind.
Steuern ohne Grundlage
Ein klares Verfassungsproblem ortet Peter Hettich bei der Finanzierung von Subventionen mittels Preisaufschlägen für die Benutzung des Stromnetzes. Schon der geltende Netzzuschlag zur Finanzierung des Förderprogramms für klimafreundliche Investitionen sei verfassungswidrig. Grund: Diesem Netzzuschlag stehe keine entsprechende Mehrleistung für den Konsumenten gegenüber, weshalb dieser Zuschlag als Steuer zu betrachten sei – und für diese Steuer gebe es keine Verfassungsgrundlage.
Gleiches gilt nun laut Hettich, wenn die geplanten Stahlsubventionen mittels Erhöhung der Netznutzungsgebühren für alle Stromverbraucher finanziert werden. Auch diese Erhöhung entspreche faktisch einer Steuer, für welche eine Verfassungsgrundlage fehle. Laut mehreren befragten Juristen bietet hier der Verweis auf einen möglichen Bagatellcharakter von Zuschlägen keinen einfachen Ausweg. Die Überlegung hier geht etwa wie folgt: Wenn viele Konsumenten nur schon eine kleine Zusatzsteuer zahlen müssen, können in der Summe bedeutende Beträge entstehen, für die es eine Verfassungsgrundlage braucht.
In der Theorie ist die Abgrenzung zwischen Gebühren und Steuern relativ einfach. Gebühren hängen direkt mit einer Gegenleistung zusammen – zum Beispiel für die Ausstellung eines Passes oder die Benutzung des Stromnetzes. Bei Steuern gibt es keine solche direkte Gegenleistung. In der Praxis können indes auch hier die Grenzen fliessend sein.