Die Drittrundenniederlage des Serben in New York wirft Fragen auf. Weil Djokovic das frühe Ausscheiden damit begründete, ausgelaugt und am Ende seiner Kräfte zu sein. Wann ist viel zu viel?
Es gab jüngst eine Konstante im Tenniszirkus: Novak Djokovic gewinnt mindestens ein Major-Turnier pro Jahr. 2017 war die letzte Saison, in der diese Regel gebrochen wurde. Die Sieger der vier wichtigsten Anlässe im damaligen Kalenderjahr hiessen Roger Federer (Australian Open und Wimbledon) und Rafael Nadal (Roland-Garros und US Open). Es war eine Art Rückkehr in die Zeit vor 2011, als die Dominanz von Djokovic mit dem Triumph am Australian Open begann.
Eine für Djokovics Verhältnisse unterdurchschnittliche Saison
Mittlerweile ist der Serbe bei 24 Major-Titeln angelangt, den letzten gewann er vor einem Jahr in New York. Und es schien eine Frage der Zeit, ehe Titel Nummer 25 Tatsache werden würde. Mit diesem müsste er den Major-Rekord nicht mehr mit der Australierin Margaret Court teilen. Doch seither scheint in der Karriere des 37-Jährigen der Wurm zu stecken. Es fing mit der Niederlage im Januar im Australian-Open-Halbfinal gegen Jannik Sinner an. Kurz darauf beendete der Südtiroler auch Djokovics Herrschaft als Weltnummer 1, die insgesamt 428 Wochen gedauert hatte.
Djokovic blickt auf eine für seine Verhältnisse unterdurchschnittliche Saison zurück: Erst an den Sommerspielen von Paris feierte er seinen ersten Titel und schloss damit mit Olympiagold die letzte grosse Lücke im Palmarès. Nach einigen unerwarteten Niederlagen wie etwa jener einen Monat zuvor im Wimbledon-Final gegen Carlos Alcaraz schien er zurück in der Spur und auf dem Weg an die Weltranglistenspitze.
Stattdessen scheiterte Djokovic nun in New York als Titelverteidiger so früh wie lange nicht mehr. Gegen den Australier Alexei Popyrin (ATP 28) unterliefen ihm vierzehn Doppelfehler, was für ihn ein Negativrekord war. Nach dem Match sagte er: «Gemessen daran, wie ich mich gefühlt und wie ich gespielt habe, ist es nur schon ein Erfolg für mich, hier überhaupt die dritte Runde erreicht zu haben. So schlecht wie in den letzten Wochen habe ich lange nicht mehr Tennis gespielt.»
Nachdem zwei Tage vor ihm bereits Alcaraz aus dem Turnier ausgeschieden ist, ist Jannik Sinner jetzt der erste Anwärter auf den letzten Grand-Slam-Titel der Saison. Doch auch der Südtiroler kämpft seit dem Bekanntwerden seiner positiven Dopingprobe mit Problemen.
Klar ist: Erstmals seit 2002 wird eine Saison zu Ende gehen, ohne dass einer der grossen drei (Federer, Nadal, Djokovic) mindestens eines der Major-Turniere gewonnen hat. Damals hiessen die Sieger Thomas Johansson (Melbourne), Albert Costa (Paris), Lleyton Hewitt (Wimbledon) und Pete Sampras (New York).
Doch ist das mehr als eine Momentaufnahme? Geht nach der Karriere von Federer und jener von Nadal auch jene von Djokovic ihrem Ende entgegen? Der Serbe spricht noch nicht von Rücktritt. Doch die Verschleisserscheinungen sind auch bei ihm nicht zu übersehen. Im Frühjahr hat er sich von seinem langjährigen Begleiter Goran Ivanisevic getrennt, um seine Karriere neu zu beleben. Doch ob das reicht?
It wasn’t meant to be tonight. Well played, @AlexeiPopyrin99. Time for me to relax, regroup and move on. Until next time, NYC. 🙏🏼 pic.twitter.com/wsh4F9YzEQ
— Novak Djokovic (@DjokerNole) August 31, 2024
Die Kritik am überladenen Kalender ist nicht neu
Djokovic sprach in New York offen davon, ausgelaugt und am Ende seiner Kräfte zu sein. Speziell der Sommer war brutal. Innerhalb von etwas mehr als drei Monaten werden die Titel von Roland-Garros, Wimbledon und New York sowie Olympiagold vergeben. Die Protagonisten werden in diesem Sport ausgepresst wie Zitronen, bis es einfach nicht mehr geht und kein Tropfen Saft mehr in ihnen ist. Der Tenniszirkus frisst so seine Kinder.
Die Kritik am überladenen Kalender ist nicht neu und taucht immer wieder auf. Gelegentlich werden Pläne formuliert, wie die Tour umgebaut und etwas weniger fordernd für ihre Hauptdarsteller gestaltet werden könnte. Doch solange immer noch derart viele Menschen Geld mit Tennis verdienen, gibt es nur wenig Interesse an echten Reformen.
Djokovic suchte nach der Niederlage gegen Popyrin keine Ausreden. Er sagte: «Man könnte argumentieren, dass es wegen Olympia ist. Aber ganz ehrlich: Ich weiss nicht, ob das stimmt.»
Vielleicht ist die Wahrheit auch eine einfache: Nachdem Djokovic auch Olympiagold errungen hat, drohen ihm die Ziele und die Motivation auszugehen. Von jenen auf der Tour, die zurzeit hungriger sind, wird einer in einer Woche das US Open gewinnen.