Der 37-Jährige entscheidet das erste Top-Spiel am Australian Open klar für sich. Djokovics Sieg gegen Alcaraz verdeutlicht es: Mit dem Serben ist wieder zu rechnen.
Der Viertelfinal am Australian Open wurde wahlweise als «Leckerbissen» oder als «vorweggenommener Final» angekündigt. Und die Affiche war am Dienstag tatsächlich aussergewöhnlich: Der zehnfache Turniersieger in Melbourne gegen jenen Tennisspieler, der alsbald in die Fussstapfen seines Gegners treten könnte und das zumindest teilweise schon getan hat: Novak Djokovic gegen Carlos Alcaraz, es war das Duell zwischen dem langjährigen serbischen Dominator auf der Männer-Tour und dem jungen Spanier, der vor knapp drei Jahren kometenhaft am Tennishimmel aufgetaucht war.
Im Herbst 2021 hatte Carlos Alcaraz mit seiner Viertelfinalqualifikation am US Open in New York erstmals so richtig auf sein Potenzial aufmerksam gemacht. Zwölf Monate später gewann er an gleicher Stätte seinen ersten Major-Titel. Und noch im selben Jahr löste Alcaraz den Serben erstmals vorübergehend an der Weltranglistenspitze ab.
Wenn nur Djokovic nicht wäre
Mittlerweile ist der 21-Jährige bereits vierfacher Major-Sieger. Im vergangenen Jahr triumphierte er erstmals in Roland-Garros und vier Wochen später auch in Wimbledon. In Melbourne hätte er am Sonntag mit einem Sieg als jüngster Spieler in der Geschichte den Karriere-Grand-Slam (Titel an allen vier Major-Turnieren) komplettieren können.
Hätte. Denn sein Gegner am Dienstag war Novak Djokovic. Jener 37-Jährige, der es gerade in Australien immer wieder versteht, über sich hinauszuwachsen. Hier hatte er im Januar 2008 den ersten grossen Titel errungen. Drei Jahre später startete er im Flinders Park die Phase seiner grössten Dominanz. Zwischen 2011 und 2016 gewann er 11 von 24 Major-Titel und begann damit, den langjährigen Rivalen Roger Federer und Rafael Nadal Rekord um Rekord abzujagen.
Federer und Nadel sind mittlerweile aus der Tennisszene verschwunden, Djokovic aber ist immer noch da. Doch so schnell werden ihm die Gegner nicht ausgehen: Neben Alcaraz hat sich mittlerweile auch der Weltranglistenerste Jannik Sinner als grosser Rivale etabliert. Die beiden gelten bereits seit einiger Zeit als Zukunft des Männer-Tennis.
Der Südtiroler hatte Djokovic vor einem Jahr in Melbourne entthront und damit die Frage provoziert: Kann der Serbe noch einmal zu alter Stärke zurückfinden? 2024 hat Djokovic ein einziges Turnier gewonnen. Mit jenem an den Olympischen Spielen in Paris allerdings auch das einzig wichtige, das ihm im Palmarès noch fehlte.
Djokovic ist definitiv zurück
Nach dem Match gegen Alcaraz scheint die Behauptung wenig gewagt: Novak Djokovic ist wieder da. Der Sieg gegen den 16 Jahre jüngeren Alcaraz war eine Art Meisterstück des Serben. Vor allem aber war es ein weiteres Beispiel für seinen ungebrochenen Kampfwillen. Djokovic startete fulminant in den Match, verlor den ersten Satz aber trotzdem. Probleme am linken Oberschenkel behinderten ihn; sein Anschlag war ungenügend. In der Schlussphase des Startsatzes kam der Physiotherapeut auf den Platz.
Es schien eine Frage der Zeit, ehe Djokovic sich dem Druck seines Gegners beugen und sich zurückziehen würde. Doch der langjährige Weltranglistenerste ist ein Kämpfer – er gibt nicht so einfach auf. Ab dem zweiten Satz erlangte er die Kontrolle über den Match und den Gegner zurück: Er gewann auch den zweiten und dritten 6:4 und 6:3 – und beendete den Match vor den Augen seiner Frau Jelena, dem Sohn Stefan und seinem neuen Coach Andy Murray im vierten Satz nach 3:37 Stunden mit dem ersten Matchball.
Damit trennen Djokovic noch zwei Siege vom 25. Major-Titel, mit dessen Gewinn er der alleinige Rekordsieger würde. Der nächste Gegner ist am Donnerstag der formstarke Deutsche Alexander Zverev (ATP 2). Momentan spricht vieles für Zverev: Djokovic scheint angeschlagen. Er überstand den Match gegen Alcaraz auch dank zwei Schmerztabletten, die ihm der Physiotherapeut gegen Ende des ersten Satz gegeben hatte.
Im Platz-Interview nach dem Match sagte er auf die Frage von Jim Courier, wie er diesen Match noch gedreht habe: «Ich habe zwei Beine und zwei Arme, und ich kann kämpfen. Doch dieser Match heute war ein hartes Stück Arbeit.» Die Uhr zeigte 1 Uhr in der Früh, als er den Match endlich beendet hatte. «Ich fühlte mich besser und besser. Aber ehrlich: Wenn ich den zweiten Satz verloren hätte, hätte ich wohl nicht weitergemacht.»
Am nächsten Tag werde er sehen, wie er sich fühle und ob er weitermachen könne. Djokovic kämpft nicht zum ersten Mal während eines Turniers mit körperlichen Problemen. Vor zwei Jahren hatte er sich mit einer Beinverletzung durch das Turnier gekämpft – und dieses am Ende trotzdem gewonnen. Diese Erfahrung half ihm am Dienstag , um fokussiert im Match zu bleiben.
Versöhnung mit dem Publikum
Nach dem gewonnenen Viertelfinal verabschiedete ihn das Publikum in der zu später Stunde noch immer gut gefüllten Rod-Laver-Arena mit warmem Applaus. Es war eine Art Versöhnung. Vor zwei Tagen hatte Djokovic das übliche Platz-Interview nach dem Spiel noch verweigert. Er war verärgert, weil ihn einige Zuschauer beim Aufschlag wiederholt zu stören versuchten. Später entschuldigte er sich für sein Verhalten.
Wie immer, wenn Djokovic sich zu wehren beginnt, sind seine Kritiker nicht weit. Er hatte die Zuschauer in Melbourne bereits zuvor verärgert, weil er in einem Interview mit dem GQ-Magazin suggeriert hatte, man habe in 2021 vergiften wollen. Damals hatte Djokovic versucht, als Ungeimpfter nach Australien einzureisen; die australischen Behörden hielten den Serben vorübergehend in einem Hotel fest, ehe sie ihn ausser Landes schafften.
Doch das sind alte Geschichten. Am Dienstag zeigt sich Novak Djokovic in Melbourne als Entfesslungskünstler, der Match gegen Alcaraz war sein 1354. an einem Grand-Slam-Turnier. Am Freitag folgt bereits der nächste: Djokovic› zwölfter Halbfinal am Australian Open.