Wenn Short-Seller ein Unternehmen ins Visier nehmen, kann das ein Warnsignal sein. The Market zeigt monatlich, wo Leerverkäufer an der deutschen Börse auf Kursverluste wetten.
Eigentlich passiert bei den Aktien von MorphoSys seit Anfang Februar nicht mehr viel. Damals hatte Novartis ihr Interesse an dem deutschen Biotechnologieunternehmen zu einem Übernahmepreis von 68 € je Aktie bekundet, Anfang April folgte das offizielle Übernahmeangebot. Der Kurs hatte sich seitdem peu à peu dem offerierten Preis angenähert. Doch Anfang der Woche fiel die Aktie plötzlich um mehr als 3%.
Grund war ein kritischer Artikel des Gesundheitsportals «STAT News» zum wichtigsten Pipeline-Kandidaten von MorphoSys, dem Krebswirkstoff Pelabresib. Dieser wird als das Kernstück des 3 Mrd. $ schweren Übernahmeangebots von Novartis gesehen. Dem Bericht zufolge gibt es Befürchtungen über Nebenwirkungen des Medikaments. So habe sich bei mehreren Leukämie-Patienten das Krankheitsbild verschlimmert. Am Markt kommen nun Befürchtungen auf, dass der Deal in Gefahr geraten könnte.
Anstieg der Wetten gegen MorphoSys
In den letzten vier Wochen haben sich die Wetten gegen MorphoSys erstmals wieder deutlich erhöht. Der Anteil an leerverkauften Aktien stieg im April gemäss Zahlen des US-Datenanbieters S3 Partners von knapp 12% sprunghaft auf über 17%. Damit sind die Aktien neu in den Top Ten der am meisten leerverkaufen Aktien am deutschen Aktienmarkt, wo sie nun Rang 6 belegen. Interessant ist, dass sich der Anstieg der Leerverkaufspositionen gemäss S3 Partners bereits vor dem kritischen Artikel von «STAT News» Anfang dieser Woche erhöht hat, nämlich zwischen dem 16. und 19. April. In dieser Periode ist die Anzahl ausgeliehener Aktien von 4,8 Mio. auf 5,8 Mio. gestiegen.
Wie viel an der Nachricht über mögliche Nebenwirkungen von Pelabresib dran ist, ist von aussen schwer zu beurteilen. Der Autor des «STAT News»-Artikels, Adam Feuerstein, ist berühmt dafür, kritisch und pointiert über Biotechunternehmen zu schreiben, und geniesst in der Branche Anerkennung. MorphoSys hat am Montag, am Tag der Publikation der Finanzergebnisse, rasch reagiert und versichert, dass man weiterhin vom Nutzen-Risiko-Profil der Kombination aus Pelabresib und Ruxolitinib überzeugt sei. Zudem gehe man davon aus, dass die Übernahme durch Novartis in der ersten Hälfte des laufenden Jahres abgeschlossen werden könne.
Short-Volumen an der deutschen Börse leicht rückläufig
Leerverkäufer leihen sich Aktien, verkaufen sie am Markt und hoffen, sie später günstiger zurückkaufen zu können – um sie dann dem Eigentümer zurückzugeben. Geht die Wette auf, streichen sie die Differenz aus dem Verkaufs- und dem Rückkaufspreis als Gewinn ein. The Market beleuchtet regelmässig, gegen welche deutschen Aktien die grössten Short-Wetten laufen und stützt sich dabei auf Zahlen von S3 Partners (die grössten Short-Positionen unter den Schweizer Aktien finden Sie hier).
Nachdem das Short-Volumen am deutschen Aktienmarkt zuvor zwei Monate in Folge gestiegen ist, fiel es im April geringfügig auf 22,1 Mrd. $.
Auf Platz eins der Short-Liste für den Gesamtmarkt stehen neu die Aktien von Wirecard. Allerdings erübrigt sich hier jeder Versuch einer Interpretation; die Aktien des ehemaligen Zahlungsabwicklers und Dax-Unternehmens, bei dem 2020 massive Bilanzfälschungen ans Licht kamen – die das Ende für das Unternehmen bedeuteten –, sind weiterhin an der Börse Hamburg gelistet. Dort fristen sie jedoch ein Mauerblümchendasein und werden so gut wie nicht gehandelt. Nachdem die Aktie im Herbst vorübergehend von Zockern wiederentdeckt wurde, rief dies Leerverkäufer auf den Plan. Die Short-Quote stieg sprunghaft auf 19,7% und hat sich seitdem nicht verändert – dafür dürfte die fehlende Liquidität mitverantwortlich sein.
Beim ehemaligen «Spitzenreiter» Nagarro haben wiederum einige Leerverkäufer ihre Positionen glattgestellt – die Short-Quote fiel hier merklich von 20,7 auf 18,3%. Der IT-Dienstleister stand vor allem im letzten Jahr wegen Governance-Problemen an der Börse unter Druck. Die Aktie hat sich bis heute nicht erholt.
Thyssenkrupp Nucera
Einen grösseren Anstieg an Short-Wetten verzeichneten die Titel von Thyssenkrupp Nucera. Im April hat sich der Leerverkaufsanteil von 17 auf 18,5% erhöht, womit die Aktien neu auf Platz drei rangieren. Obwohl das Unternehmen bei Analysten beliebt ist – von den dreizehn auf Bloomberg erfassten Analysten geben zehn ein Buy-Rating heraus –, befinden sich die Titel seit dem Börsengang im letzten Sommer im Abwärtstrend.
Zwar ist das Unternehmen nicht wirklich mit negativen Nachrichten aufgefallen, doch Wasserstoffaktien haben seit längerem einen schweren Stand an der Börse, auch bei anderen Clean-Energy-Aktien ist die Stimmung weiterhin trüb. Thyssenkrupp Nucera produziert Elektrolyseure, die für die Herstellung von Wasserstoff gebraucht werden. Andere Branchenwerte wie Plug Power oder Nel Asa haben in derselben Periode gar bis zu 80% verloren. Dank seiner soliden Bilanz wird das Unternehmen von Analysten jedoch als Top Pick unter den Wasserstoffwerten gesehen.
Varta
Mit Varta feiert ein alter Bekannter sein Comeback in den Top Ten der am meisten leerverkauften Aktien in Deutschland. Einst hatte das Traditionsunternehmen, das in der Batterieherstellung tätig ist, monatelang die Spitzenposition belegt. Jetzt ist Varta auf Rang 9 zurück in der Rangliste, die Short-Quote beträgt 13,2%. Im letzten Jahr schien der vorläufige Tiefpunkt erreicht, nachdem das Unternehmen ein Sanierungskonzept vorlegte. Varta war zuvor mit nicht eingehaltenen Versprechungen, einer desaströsen operativen Entwicklung und immer weiter steigenden Schulden aufgefallen.
Doch Mitte April folgte eine weitere Hiobsbotschaft. Das Unternehmen teilte mit, dass der vor rund einem Jahr mit den Banken und dem Mehrheitsaktionär Michael Tojner vereinbarte Restrukturierungsplan zu kurz greife, um wie geplant 2026 «auf einen profitablen Wachstumskurs zurückzukehren». Die Aktie, die bereits auf tiefem Niveau notierte, hat sich seitdem noch einmal um mehr als 30% ermässigt. Nun soll ein neues Sanierungsgutachten geschrieben werden. Die Aussichten sind unsicherer denn je.
Sartorius bleibt Spitze im Dax
Im Dax bleibt Sartorius auf dem Spitzenplatz, wenngleich der Leerverkaufsanteil von 14 auf 11,4% zurückging. Die schwachen Quartalszahlen, die der Pharma- und Laborzulieferer vor rund zwei Wochen publiziert hat, bestätigen die Skepsis der Short-Seller. Sowohl Umsatz als auch Gewinn blieben unter den Prognosen der Analysten. Die Aktie büsste daraufhin gut 15% ein, womit die Kurserholung seit Ende Januar wieder verpufft ist. Die Trendwende lässt damit weiter auf sich warten.
Auch bei Siemens Energy fällt die Short-Quote weiter, nachdem Leerverkäufer Anfang Jahr erstmals im grösserem Stil ihre Positionen glattgestellt haben. Der Energiekonzern war 2023 mit hausgemachten Problemen bei der Windsparte Gamesa in starke Turbulenzen geraten, hat an der Börse zuletzt jedoch wieder zulegen können. Im Herbst erhielt Siemens Energy Garantien vom Staat, was die Situation merklich entschärft hat.