Mittwoch, März 12

80 Prozent der abgelehnten Asylbewerber, die ausreisen müssten, verbleiben in Europa. Die EU will sie nun zur Mitwirkung an der Rückführung verpflichten. Politischer Widerstand ist programmiert.

Es ist noch nicht lange her, da schien Europa vor allem ein Thema umzutreiben: die Migrationspolitik. Der Zustrom von Personen aus ärmeren Weltgegenden, schockierende Gewalttaten durch abgewiesene Asylbewerber und die Schwierigkeiten, diese in ihre Heimatstaaten zurückzuführen, gehören zu den Hauptgründen für die jüngsten Verschiebungen bei europäischen wie nationalen Wahlen.

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Mit den verschiedenen Wendungen der amerikanischen Aussen- und Handelspolitik unter dem neuen Präsidenten dominieren in Brüssel – wo auch die Nato ihren Hauptsitz hat – gegenwärtig die Sorgen rund um die europäische Sicherheitsarchitektur. Die Migrationsfragen, notabene im Asylbereich, sind deswegen aber nicht einfach in einer Schublade verschwunden. Beim EU-Gipfel von Dezember hatten die europäischen Staats- und Regierungschefs «innovative Lösungen» gefordert – und zwar rasch.

Just hundert Tage nach Amtsantritt will die EU-Kommission nun beweisen, dass sie den Auftrag verstanden hat. Sie hat dem Parlament am Dienstag ein Massnahmenpaket präsentiert, das sich in erster Linie um die Ausschaffung von Personen, denen kein Aufenthaltsrecht erteilt worden ist, dreht. Es ist dies das fehlende Puzzleteil des Asyl- und Migrationspakts, der letzten Frühling beschlossen und bis spätestens 2026 in allen Mitgliedstaaten umgesetzt sein soll.

Rückkehrentscheide gegenseitig anerkennen

Dass Handlungsbedarf besteht, zeigt die Statistik: Vier von fünf Personen, die einen rechtsgültigen Rückkehrbescheid erhalten haben, bleiben gemäss Angaben der Kommission im Schengen-Raum. Dazu gehört auch die Schweiz, die bei den Rückführungen freilich einen «Spitzenplatz» einnimmt.

Abhilfe schaffen soll nun unter anderem die gegenseitige Anerkennung der Rückführungsentscheide. Sprich: Wenn eine Person in Staat X einen negativen Bescheid erhalten hat und sich dann nach Staat Y durchschlägt, kann auch dieser sie ausschaffen. Die Mitgliedsländer sind vorderhand nicht verpflichtet, die Beschlüsse anderer Staaten zu übernehmen – dies könnte sich ab Sommer 2027 jedoch ändern.

Die nationalen Behörden sollen weitergehende Möglichkeiten erhalten als bis anhin, um Abgewiesene auch tatsächlich des Landes verweisen zu können. Viel wurde in der europäischen Migrationspolitik jüngst von sogenannten «return hubs» gesprochen, also Rückführungszentren, die sich in Drittstaaten befinden. Besondere Aufmerksamkeit haben dabei das Albanien- und das Rwanda-Modell erhalten, die aufgrund von juristischen Hürden bislang aber nicht umgesetzt wurden.

Die EU betreibt keine Zentren

Die Kommission will nun die rechtliche Grundlage für Abschiebezentren ausserhalb der EU schaffen. Der zuständige Kommissar Magnus Brunner bemühte sich anlässlich der Pressekonferenz allerdings mit Händen und Füssen, diese nicht mit den von Italien und Grossbritannien angestrebten Modellen zu vergleichen – denn in den nun von der Kommission vorgeschlagenen Rückkehrzentren werden keine Asylverfahren durchgeführt. Sie richten sich ausschliesslich an Personen, deren Gesuch bereits von einem Schengen-Staat abgelehnt worden ist, die aber nicht in ihr Herkunftsland abgeschoben werden können.

Es wird nicht die EU sein, die solche Zentren betreibt, sondern ein spezifisches Mitgliedsland – oder allenfalls mehrere, die gemeinsam vorgehen wollen. Die Kommission will die Abkommen mit den Drittstaaten jedoch in Bezug auf deren Vereinbarkeit mit der EU-Grundrechtecharta prüfen. Zudem dürfen keine unbegleiteten Minderjährigen oder Familien mit Kindern untergebracht werden.

Bis zu 24 Monate Haft

Unabhängig davon, ob die abgewiesenen Asylbewerber aussereuropäisch untergebracht werden oder nicht, soll ihnen das Leben ungemütlicher gemacht werden. So will die Kommission sie verpflichten, aktiv an ihrer Rückführung mitzuwirken – etwa indem sie ihre Identität offenlegen, sich durchsuchen lassen oder sich nur an definierten Orten aufhalten.

Wer nicht spurt, muss mit der Kürzung von Leistungen rechnen. Zudem dürfen die Behörden Reisedokumente einziehen oder ein Einreiseverbot verlängern. Auch die Haftgründe sollen ausgeweitet werden. Droht Fluchtgefahr, darf eine abgewiesene Person bis zu 24 Monate eingesperrt werden. Gefährdet jemand die öffentliche Sicherheit, gelten besonders strenge Bedingungen. Auf Anordnung eines Richters können Gefährder auch länger als zwei Jahre inhaftiert werden.

Ziel: Abschreckung

Doch ein grosses Problem bleibt: Zahlreiche Herkunftsstaaten zeigen sich bei der forcierten Rücknahme ihrer Landsleute wenig kooperativ. Daran wird auch das nun vorgelegte Massnahmenpaket nichts ändern. Kommissar Brunner sagte dazu, dass Verhandlungen mit Drittstaaten – auch zur Frage, ob als Druckmittel Entwicklungshilfe gekürzt werden müsste – zur Diskussion ständen, man aber zuerst das «europäische Haus in Ordnung bringen» wolle.

Mit der Regelverschärfung und den Abschiebezentren fernab der westeuropäischen Sehnsuchtsländer geht es der EU also letztlich darum, eine abschreckende Wirkung zu erzielen. Abgewiesene Asylbewerber sollen eher aus eigenen Stücken in ihre Heimat zurückkehren. Im Gegenzug dürfen sie auf eine grosszügigere finanzielle Unterstützung hoffen.

Noch sind all diese Massnahmen nicht umgesetzt. Der Ball liegt nun bei den Mitgliedsstaaten sowie beim Parlament – und dort haben linke Parteien insbesondere zur Frage der Abschiebezentren bereits Widerstand angekündigt.

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