Die Gefahr eines mittelstarken Erdbebens in der Schweiz liegt über 50 Jahre hinweg bei 80 Prozent. Viele Hauseigentümer unterschätzen dies. Über die Lösung herrscht Uneinigkeit.
Wer viel hat, kann auch viel verlieren. Die Schweizer Bevölkerung gilt im internationalen Vergleich als sicherheitsorientiert und sehr gut versichert. Laut einer Analyse des Online-Vergleichsdiensts Moneyland aus dem Jahr 2023 gaben Schweizer Haushalte im Durchschnitt fast 600 Franken im Monat für Versicherungen aus – die obligatorische Krankenkasse nicht eingerechnet.
Unversicherte Erdbebenrisiken als «blinder Fleck»
Bei all dem Sicherheitsdenken gibt es aber einen «blinden Fleck»: Nach Angaben des Schweizerischen Versicherungsverbands (SVV) sind nur 23 Prozent der Gebäudewerte in der Schweiz gegen Erdbeben versichert. Viele Hauseigentümer dürften sich dieser Lücke gar nicht bewusst sein. «Die Gefahr von Erdbeben in der Schweiz wird deutlich unterschätzt», sagt Clemens Markstein, Chef von Baloise Schweiz. Dabei beruft er sich auf eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Sotomo im Auftrag des SVV, die an der diesjährigen Jahresmedienkonferenz des Verbands vorgestellt wurde.
Gemäss der Studie fühlt sich die Schweizer Bevölkerung kaum von Erdbeben bedroht, sondern deutlich stärker von Erdrutschen und Hochwasser. Gleichzeitig erachten aber laut der Sotomo-Umfrage rund drei Viertel der Bevölkerung es als wichtig oder sehr wichtig, dass Wohngebäude gegen Erdbebenschäden finanziell abgesichert sind – doch dies ist eben oftmals nicht der Fall.
Unterschätzte Gefahr von Erdbeben
Dabei ist die Gefahr von Erdbeben in der Schweiz alles andere als klein. Laut dem Bundesamt für Umwelt bebt die Erde hierzulande im Durchschnitt 500 bis 800 Mal pro Jahr, allerdings seien nur 10 bis 15 dieser Beben für den Menschen spürbar. Laut Schätzungen des Bafu liegt die Wahrscheinlichkeit eines lokalen Schadenbebens der Stärke 5,5 über 50 Jahre hinweg bei 80 Prozent. Bei einem solchen mittelstarken Erdbeben mit einer Stärke von 5 bis 6 auf der Richter-Skala kommt es zu leichten bis ernsten Schäden an Gebäuden.
Für ein regionales Beben der Magnitude 6 hat das Bafu über 50 Jahre hinweg eine Wahrscheinlichkeit von rund 40 Prozent errechnet, für ein zerstörerisches überregionales Erdbeben der Stärke 7 eine solche von rund 5 Prozent. Beträgt die Stärke eines Bebens zwischen 6 und 7 auf der Richter-Skala, kommt es zu Zerstörung im Umkreis von bis zu 70 Kilometern.
Historische Beispiele für Erdbeben
Laut dem Bundesamt hat es in der Schweiz seit dem 13. Jahrhundert zwölf dokumentierte Erdbeben mit grossen Schäden gegeben. Als Beispiele zählen:
- die Erdbebenserie im Kanton Obwalden im Jahr 1964 mit einer Magnitude von 5,3
- das Erdbeben von Siders im Jahr 1946 mit einer Magnitude von 5,8 sowie
- das Erdbeben von Basel im Jahr 1356 mit einer Magnitude von 6,6.
Laut Bafu besteht im Wallis, in der Region Basel, im St. Galler Rheintal, im Berner Oberland, im Engadin sowie in Teilen der Innerschweiz eine erhöhte Gefährdung für Erdbeben. Diese könnten aber überall in der Schweiz auftreten. Als repräsentatives Beispiel für ein regionales Szenario nennt das Bafu das Erdbeben im italienischen L’Aquila im Jahr 2009. Damals starben 300 Menschen und mehr als 1000 wurden verletzt. Zudem wurden 17 000 Gebäude beschädigt.
Hohe Kosten vor allem in Ballungszentren
Schon ein mittelstarkes Erdbeben würde aufgrund des hohen Wohlstands in der Schweiz teuer werden – aufgrund der dichten Besiedlung und der hohen Sachwerte besonders in den Ballungszentren. Markstein nennt zwei fiktive Beispiele: Ein Erdbeben in Aigle im Kanton Waadt mit einer Magnitude von 5,9 auf der Richter-Skala würde gemäss seiner Aussage wohl mehr als 5 Milliarden kosten und selbst in Zürich und Luzern noch leichte Gebäudeschäden verursachen. Noch deutlich teurer würde ein ähnlich starkes Erdbeben im Kanton Aargau, ein solches würde wohl Schäden in Höhe von 10 Milliarden Franken verursachen.
Der Staat ist in Sachen Erdbeben-Absicherung bereits aktiv geworden. Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom 13. Dezember vergangenen Jahres die Botschaft zum Ansatz der Eventualverpflichtung an das Parlament überwiesen. Diese würde es dem Bund ermöglichen, Gebäudeeigentümer nach einem Erdbeben zur Zahlung eines Beitrags von maximal 0,7 Prozent der Gebäudeversicherungssumme zur Deckung von Gebäudeschäden zu verpflichten.
Markstein kritisiert den Vorschlag indessen als «Schönwetterlösung». Eine solche Zusatzabgabe wäre aus seiner Sicht in einer derart angespannten Situation wohl nicht durchsetzbar und würde auch grossen administrativen Aufwand verursachen. Die Gefahr sei, dass am Ende der Staat einspringen müsste.
Als Hauptgrund für die Unterdeckung der Erdbebenrisiken in der Schweiz gilt mangelndes Risikobewusstsein. Laut Markstein wird in der Schweiz noch zu wenig für die Sensibilisierung der Bevölkerung getan. Auch eine obligatorische Koppelung von Erdbeben mit der Feuerversicherung sei zu prüfen.