Im Umfeld der Ukraine-Konferenz gab es weniger Cyberattacken, als im Vorfeld befürchtet worden war. Die Überlastungsangriffe dauern noch an.

Die Ukraine-Konferenz auf dem Bürgenstock war nicht nur eine internationale, sondern auch eine interkantonale Angelegenheit. Das merkte man spätestens, als man als normaler Reisender den Checkpoint in Stansstad passierte. «Jusqu’où allez-vous?», fragt ein Beamter der Genfer Kantonspolizei die wenigen Passagiere, die mit dem Postauto nach Obbürgen fahren wollen, dem letzten Kontrollposten vor dem Sperrgebiet.

Die Sicherheit der 100 Delegationen und Organisationen aus aller Welt lag auf dem Bürgenstock und auf den Anreiserouten in der Hand von Polizisten und Armeeangehörigen aus praktisch allen Kantonen. Dieser Verbund hat ausgezeichnet funktioniert. Dieses Fazit konnte Stephan Grieder, der Kommandant der Kantonspolizei Nidwalden, am Montag ziehen. Dies, nachdem in der Nacht auf Montag die Sicherheits- und Sperrzonen sowie um Mitternacht die Luftraumsperre hatten aufgehoben werden können. Der Einsatzleiter kommandiert normalerweise ein kleines Polizeikorps mit 80 Angehörigen. Rund um den Bürgenstock waren rund 400 Personen mit Sicherheitsaufgaben betraut.

Massive Präsenz schreckt ab

«Unser Sicherheitsauftrag dauerte so lange, bis die letzte Delegation vom Bürgenstock abgereist war», lässt sich Grieder in einer Medienmitteilung des Kantons Nidwalden und der Schweizer Armee zitieren. «Ein Sicherheitsaufgebot und eine Konferenz in dieser Dimension hat es in der Schweiz noch nie gegeben. Dank den umfassenden Vorbereitungen und Sicherheitsmassnahmen konnten wir unseren Auftrag diskret erfüllen und so zu einem reibungslosen Ablauf beitragen», hält Grieder fest, der am Wochenende für die Sicherheit von Kamala Harris, Olaf Scholz, Emmanuel Macron und allen anderen Staatsoberhäuptern zuständig war.

Der Begriff «diskret» ist allerdings in diesem Zusammenhang relativ. Tatsächlich waren die Polizeibeamten und Armeeangehörigen vor Ort meist sehr freundlich. Man hatte auch als Anwohner nicht das Gefühl, in einem engen Sicherheitskorsett zu stecken. «Die Soldaten nehmen auf unsere Bedürfnisse Rücksicht und lassen mich problemlos passieren, wenn ich in die Sperrzone will, um meinem Bekannten bei der Arbeit auf dem Feld zu helfen», erklärte ein Bewohner von Obbürgen am Samstagmorgen im Gespräch mit der NZZ.

Doch auch Abschreckung und damit das Gegenteil von «diskret» gehörte zum Konzept. So bewegte sich während der Konferenz und bereits in den Tagen davor ein kaum nachlassender Strom von Polizeifahrzeugen durch Stansstad und die umliegenden Gemeinden. Dementsprechend schnell waren die Einsatzkräfte bei Bedarf vor Ort. So etwa, als beim Checkpoint in Stansstad ein ukrainisches Mädchen die Teilnehmer mit einer Friedensbotschaft empfangen wollte. Eine Patrouille der Luzerner Kantonspolizei schickte die Familie aus den Niederlanden weg mit der Begründung, Propaganda im Umfeld des Bürgenstocks sei nicht erlaubt.

Auch die Schweizer Armee markierte Präsenz zu Land, zu Wasser und in der Luft. Auf dem Vierwaldstättersee patrouillierten unablässig Motorboote vom Typ P16. An verschiedenen Orten waren Flugabwehrgeschütze postiert, und immer wieder waren F/A-18-Kampfjets zu hören.

Bei den Zugängen zur Sicherheitszone wurden gemäss der Mitteilung von Polizei und Armee einige wenige verdächtige Personen und Fahrzeuge weggewiesen. Ausserdem konnten Angehörige der Armee am Rand der Sicherheitszone einen Mann aufgreifen, der im Verdacht steht, im Kanton Nidwalden diverse Einbrüche verübt zu haben. In diesem Fall laufen die Ermittlungen der Polizei. Im gesperrten Luftraum wurden von den Einsatzkräften einige Kleindrohnen entdeckt. Die fehlbaren Piloten wurden angezeigt. Eine ernsthafte Gefahr hat gemäss den Einsatzkräften jedoch nie bestanden. In der Sicherheitszone selber mussten am Boden keine Zugriffe von Einsatzkräften erfolgen.

Cyberattacken dauern an

Im Vorfeld der Konferenz war viel spekuliert worden, wie Russland mit technisch ausgeklügelten Cyberangriffen zum Beispiel das Stromnetz oder die Flugsicherung der Schweiz lahmlegen könnte. Eingetreten ist keines dieser Worst-Case-Szenarien. Die Aktivitäten im Cyberraum blieben im Rahmen des zu Erwartenden, vielleicht sogar ein bisschen darunter.

Bereits am Donnerstag begonnen haben sogenannte DDoS-Angriffe auf Schweizer Websites. Hinter den Angriffen steht die prorussische Gruppe NoName057, die angeblich aus politisch motivierten Aktivisten besteht und bereits im Juni vor einem Jahr in der Schweiz mit solchen Attacken für Aufsehen gesorgt hatte.

Bei dieser Art von Überlastungsangriffen geht es in erster Linie um die Wirkung in der Öffentlichkeit. Sie sollen Aufmerksamkeit für eine politische Botschaft generieren und Verunsicherung auslösen. Technisch sind die Attacken relativ harmlos. Sie verursachen zwar üblicherweise einen kurzen Ausfall der Website. Bleibende Schäden gibt es aber nicht.

Dass NoName057 im Rahmen der Bürgenstock-Konferenz aktiv werden würde, hatten die Behörden erwartet. Die Angriffe auf Schweizer Ziele dauerten laut dem Bundesamt für Cybersicherheit (NCSC) auch am Montag noch an. Zu den Angriffszielen gehören Websites von Organisationen, die in die Konferenz involviert sind. Dazu zählen etwa die SRG oder der Flughafen Zürich.

Weil das NCSC mit Angriffen von NoName057 gerechnet hatte und es die Gruppe von früheren Aktivitäten her kennt, scheint die Warnung der betroffenen Organisationen gut funktioniert zu haben. Die Experten des Bundes publizierten im Internet die IP-Adressen der Server, von denen die Angriffe kommen. So können diese blockiert werden. Die meisten Server gehören zu VPN-Diensten, welche NoName057 zur Verschleierung ihrer Angriffe verwendet.

Zusätzlich hat das NCSC am Wochenende auch die Liste der Steuerungsserver von NoName057 auf der Entwicklerplattform Github aufgeschaltet. Da diese Informationen bei der Abwehr der DDoS-Angriffe nicht direkt helfen, könnte diese Publikation ein Signal an die Gruppe sein, dass man ihre Infrastruktur kennt.

Weil auch über mögliche Cyberangriffe auf die Energieversorgung spekuliert worden war stellte sich bei einem grossflächigen Stromausfall in der Region Bern am Sonntagvormittag die Frage nach der Ursache. Grund ist laut des Energieunternehmens BKW aber kein Cyberangriff, sondern ein technischer Defekt. Auch die Probleme bei der Live-Übertragung der Medienkonferenz auf dem Bürgenstock am Samstag sollen laut NCSC durch eine technische Panne verursacht worden sein. Die Ausfälle von Online-Sites der SRG, welche NoName057 auf ihrem Telegram-Kanal dokumentierten, hätten keine Auswirkungen auf den Betrieb gehabt.

Der Sicherheitsverbund Schweiz hat den Stresstest bestanden

Die Sicherheit am Bürgenstock war insgesamt eine Verbundleistung über alle Staatsstufen hinweg. Während der Kanton Graubünden die WEF-Jahrestagung in Davos jeweils routiniert durchführt, bewegte sich die Innerschweiz weitgehend auf Neuland – auf jeden Fall, was den Echteinsatz angeht. Im Rahmen der Führungsausbildung der höheren Armeekader hatte die Kantonspolizei Luzern die Durchführung von Konferenzen allerdings bereits mehrfach trainiert. Diese theoretischen Erfahrungen dürften den Nidwaldner Kollegen durchaus zugutegekommen sein.

Die Zusammenarbeit mit allen anderen Akteuren – vom Nachrichtendienst über die Cyberspezialisten bis zum Aussendepartement – war dagegen nie Bestandteil solcher konkreter Übungen. Der Sicherheitsverbund Schweiz (SVS) war deshalb mit dem Bürgenstock einem Stresstest im Echtgelände ausgesetzt. Bundespräsidentin Amherd, die als Chefin des Verteidigungsdepartements in der Mitverantwortung stand, zog am Sonntagnachmittag eine vorsichtig positive Bilanz, wollte aber «den Tag nicht vor dem Abend» loben.

Insgesamt scheinen sich die unterschiedlichen Polizeikorps, Verwaltungseinheiten und militärischen Verbände verstanden zu haben: sprachlich, aber auch kulturell. Denn für die Sicherheit gilt das Motto: Wenn nichts passiert ist, dann war der Einsatz erfolgreich. Der SVS hat vor den Augen der Weltöffentlichkeit funktioniert. Ein Schweizer Polizist kann beim Checkpoint zwar auf Italienisch begrüssen – «buon giorno, dove volete?» –, verfolgt aber die gleichen Einsatzregeln wie sein Kollege aus dem Thurgau. Vielleicht konnte die Schweiz so sogar etwas von ihrer «soft power» demonstrieren.

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