Mittwoch, Januar 22

Borussia Dortmund entlässt seinen Coach nach dem 1:2 gegen Bologna in der Champions League. Allein die Trennung von Sahin wird die Probleme im kriselnden Klub allerdings nicht lösen.

Wer Nuri Sahin in den vergangenen Monaten beobachtete, der gewann den Eindruck, der Fussballtrainer sei ein Melancholiker. Sahin spricht langsam, bedächtig, selten mit Elan. Seinen Sätzen scheint stets die allerletzte Überzeugung zu fehlen, weshalb mancher sich wunderte, warum es gerade ihn, der einst ein feiner Fussballer für den BVB gewesen war, auf die Trainerbank gezogen hat.

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Auch in der Nacht zum Mittwoch klang Sahin ähnlich, als es darum ging, die Folgen der 1:2-Niederlage in der Champions League beim FC Bologna zu skizzieren. Das Resultat für sich genommen ist zwar kein Desaster, denn der BVB hat nach wie vor Chancen, direkt in die nächste Runde einzuziehen. Für Sahin aber war es nunmehr die vierte Niederlage in Serie. Und so erklärte der Trainer: «Wenn ich das Problem bin oder wenn ein Trainerwechsel all die Nebenkriegsschauplätze löst, dann ist das überhaupt kein Problem.» Es waren gewissermassen seine Abschiedsworte.

Noch in der Nacht fiel die Entscheidung

Er wolle keine Entscheidung «aus der Hüfte heraus» verkünden, hatte Lars Ricken, der Geschäftsführer Sport der Dortmunder, unmittelbar nach dem Abpfiff am Dienstagabend erklärt und dem Trainer seine Wertschätzung versichert. Man werde sich am Mittwoch zusammensetzen und über die Situation beraten. Offenbar tagten die Dortmunder dann aber noch mitten in der Nacht, unmittelbar nach der Heimkehr. Denn schon am Morgen kursierte das mittlerweile bestätigte Gerücht, dass Nuri Sahin entlassen worden sei.

Es ist ein verständlicher Schritt, wenn man die Entwicklung der Mannschaft anschaut, die unter dem Trainer nicht nur stagnierte, sondern regelrecht abbaute. Der Auftritt in Bologna nach drei Niederlagen in der Bundesliga – gegen den Tabellenletzten Kiel, den Meister Leverkusen und die gegenwärtig blendend aufgelegten Frankfurter – legte den Verdacht nahe, dass Trainer und Team nicht mehr viel miteinander anzufangen wussten. Sahin verzichtete gegen Bologna auf die Routiniers Emre Can und Julian Brandt. Aber diejenigen, denen er das Vertrauen schenkte, zeigten wenig Engagement, seine Vorstellung vom Fussball umzusetzen.

Dem Coach mangelte es an Charisma

Die Situation des BVB ist verfahren, was in dem von Sahin bemühten Bild der «Nebenkriegsschauplätze» einen passenden Ausdruck fand. Und vielleicht dämmert den Verantwortlichen, dass die alleinige Trennung von Sahin die Probleme nicht beseitigen wird. Dem jungen Trainer, der 2011 mit dem BVB eine von zwei Meisterschaften unter dem kultisch verehrten Trainer Jürgen Klopp gewonnen hat, mag es an Charisma mangeln. Auf dem Feld hatte der BVB in letzter Zeit allerdings wieder ein paar altbekannte Probleme, mit denen früher oder später jeder seiner Vorgänger konfrontiert war: Nicht immer ging es mit der nötigen Härte zur Sache, manchmal mangelte es an Geistesgegenwart.

Immer wieder ist zu erkennen, dass die Dortmunder Mannschaft durchaus gut Fussball spielen könnte. Doch es geht eben selten über den Punkt hinaus, der nötig ist, um den Ansprüchen an ein Spitzenteam zu genügen. Zudem wirkt der eine oder andere Dortmunder zu selbstgefällig: Die Nonchalance, mit der der Torschütze Guirassy gegen den FC Bologna seinen Penalty trat, war fast schon überheblich. Er hatte allerhand Glück, dass Bolognas Torhüter Lukasz Skorupski seinen Versuch nicht abwehren konnte.

Sahin hatte keine Argumente mehr

Nun sind Nuri Sahin schlicht die Argumente für die Weiterbeschäftigung ausgegangen: Der zehnte Platz in der Bundesliga nach 18 Runden und 20 Punkten Rückstand auf den FC Bayern ist ein verheerendes Ergebnis, erst recht, wenn man bedenkt, dass nur das Kader der Münchner teurer ist als dasjenige der Dortmunder, wenngleich die Differenz erheblich ist.

Allerdings wird der Abstand zum vierten Tabellenplatz, der zur direkten Teilnahme an der Champions League berechtigt, immer grösser. Angesichts des hohen finanziellen Ausfalls, der droht, sollten sich die Dortmunder nicht qualifizieren, ging es lange noch erstaunlich ruhig zu beim BVB. Die «Süddeutsche Zeitung» orakelte unlängst: «Ob sie in Dortmund schon alle richtig erkannt haben, was auf dem Spiel steht, wenn es nicht zu Platz vier reicht – das darf bezweifelt werden.»

Für die Zusammenstellung des Kaders indes konnte Nuri Sahin nichts, es ist das Werk der sportlichen Führung, und der Sportdirektor der Dortmunder heisst Sebastian Kehl. Dessen Position galt während Monaten als alles andere als sicher, sein Vertrag, der ausgelaufen wäre, ist mittlerweile aber verlängert worden.

Nur sind Kehl und Lars Ricken nicht die Einzigen, die in sportlichen Dingen mitreden. Hans-Joachim Watzke, der Geschäftsführer der Dortmunder, behält sich stets das letzte Wort vor. Beraten wird Watzke von Matthias Sammer, der nach dem Match als TV-Experte eigenartig unbeteiligt über die Misere des BVB räsonierte: als ob da gar nicht der BVB vor sich hin stolperte. Einst war Sammer als Stratege Europas Fussballer des Jahres; er war Champions-League-Sieger mit Dortmund und 2002 Meister als BVB-Trainer.

Sammer, obschon in der Hierarchie ohne feste Zuordnung, ist der kenntnisreichste Einflüsterer Watzkes, der wiederum einer sentimentalen Idee zu folgen scheint: Wichtige Posten im Klub sollen mit Ehemaligen besetzt werden – gern auch mit Rückkehrern, wie dem Chef-Scout Sven Mislintat, der sich in Dortmund einst mit Thomas Tuchel überworfen hat.

Keine Härte wie bei Bayern München

Ein solcher Wunsch ist durchaus nachvollziehbar. Denn Legenden des Klubs in verantwortlicher Position zu wissen, schafft ein Mass an Identifikation, über das wenige andere Vereine verfügen. Der FC Bayern gehört zweifellos zu ihnen, auch die Münchner besetzen Schlüsselpositionen gerne mit früheren Profis.

Nur unterscheidet die Dortmunder Führungsriege etwas Wesentliches: Der Kreis derjenigen, die bei den Bayern entscheiden, ist erheblich kleiner; eine solche Kakofonie wie in Dortmund über mehrere Wochen wäre in München schwer vorstellbar. Entschieden wird rasch, und in solchen Momenten zeigt sich: Über die bisweilen an Brutalität gemahnende Härte der Münchner verfügen die Dortmunder nicht.

Auf den ersten Blick mag dies rau erscheinen. Doch schliesslich gehört dies zum Habitus eines Spitzenklubs. Ein Trainer wie Sahin, der der Mannschaft keinen erkennbaren Impuls zu geben vermochte, hätte in München schon längst die Quittung für den Misserfolg erhalten.

Eine Vertragsverlängerung wie diejenige mit Kehl ist ebenfalls schwer vorstellbar, wenn man bedenkt, wie der FC Bayern mit seinem Vorstandschef Oliver Kahn und dem Sportdirektor Hasan Salihamidzic verfuhr, als der Klub das Mass für voll erachtete: Noch bevor 2023 die auf den letzten Drücker gewonnene Meisterschaft gefeiert werden konnte, wurde der Rauswurf des Duos bekanntgegeben, das sich einst grosse Verdienste auf dem Fussballplatz für die Bayern erworben hatte.

Dieses Schicksal hat nun auch Sahin ereilt. Doch es ist fraglich, ob damit die Wende zum Besseren eingeläutet ist: Es ist der neunte Trainerwechsel innert zehn Jahren.

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