Donnerstag, Oktober 10

Muhammad Fadli / Bloomberg

Indonesien baut eine neue Hauptstadt wie im Science-Fiction-Film: energieeffizient, supergrün und smart. Es ist nicht das erste Land mit einem solchen Vorhaben.

Am Montag, fünf Tage bevor die neue Hauptstadt Indonesiens eingeweiht werden soll, trafen sich die höchsten Regierungsmitglieder für eine Sitzung im neuen Präsidentenpalast. Er hat die Form des goldenen Garuda-Adlers, jenes Fabelwesens, das auf der Flagge Indonesiens prangt. Das Gebäude ist noch eine Baustelle. Strom, Wasser und Internet hat es gerade erst bekommen.

Der neue Präsident erbt ein gigantisches Projekt

Der beliebte Präsident des Landes, Joko Widodo, den alle nur Jokowi nennen, hatte die Idee für Nusantara im Jahr 2019. Die Planstadt im Osten der Insel Borneo, die Jakarta bis 2045 allmählich ablösen soll, ist eine grüne Hightech-Utopie mit mehr Wald als bebauten Flächen, mit fliegenden Taxis, komplett CO2-neutral. Eine Stadt wie in einem Science-Fiction-Film – zumindest in der Theorie.

In der Praxis wurde es rasch kompliziert. Die Rodung der Fläche konnte erst 2022, nach Covid, starten, dann wurde Kritik laut wegen der indigenen Einwohner und Orang-Utans in der Urwaldregion. 35 Milliarden Dollar wird der Bau Nusantaras voraussichtlich kosten, bisher hat der Staat zirka 3,4 Milliarden investiert, Private um die 2,5 Milliarden. Im Juni kündigten schliesslich der hochrangige Regierungsbeamte und sein Vize, die bisher den Bau der Planstadt verantwortet hatten, ohne Angabe von Gründen.

Jokowi versuchte an der Kabinettssitzung vom Montag, Zuversicht für sein Vermächtnis zu streuen. Nicht jedes Land habe schliesslich die Möglichkeit und die Fähigkeit, von Grund auf eine neue Hauptstadt zu bauen. Ausländische Investitionen kämen mit Sicherheit noch. Und der neue Präsident werde sich weiterhin für Nusantara engagieren, davon sei er überzeugt.

Doch Prabowo Subianto, der am 10. Oktober Jokowis Nachfolge antreten wird, äusserte sich gegenüber Reuters-Journalisten zurückhaltend über das gigantische Projekt. «Ich werde wenigstens versuchen, es fortzuführen und, falls möglich, fertigzustellen», sagte er.

Auch aus der Bevölkerung gibt es Kritik. In den letzten Monaten sei Infrastruktur in grösster Eile ohne Rücksicht auf die Nachhaltigkeit gebaut worden, um zum Datum der Einweihung am 17. August, dem nationalen Tag der Unabhängigkeit, etwas herzeigen zu können – und den angekündigten Umzug von Teilen der Regierung bis zum Ende von Jokowis Amtszeit zu ermöglichen. Andere zweifeln grundsätzlich am Projekt. Sie fragen sich: Wie sinnvoll ist das Ganze?

Nusantara ist eine Demonstration

Die Ziele von Nusantara sind zweierlei. Offiziell will Jokowi die jetzige Hauptstadt Jakarta entlasten, die schmutzige, von Verkehrsstaus und Überschwemmungen geplagte Metropole. Die Küstenstadt sackt jährlich um mehr als einen Zentimeter ab und droht eines Tages im Meer zu versinken. Gleichzeitig geht es auch um Prestige. Jakarta ist kein Juwel, ganz im Gegenteil. Jokowi wollte eine brandneue, hochmoderne, symbiotische Hauptstadt schaffen, die für ein modernes, fortschrittliches Indonesien steht. Eine Demonstration: So sind wir, das können wir.

Um die Vision hinter Nusantara zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf Astana, die Hauptstadt Kasachstans. Astana hat es geschafft, zum nationalen Symbol zu werden, und ist darum nicht zufällig die Partnerstadt von Nusantara. «Wir müssen viele Dinge von Kasachstan lernen», sagte der indonesische Botschafter in Kasachstan, Mochamad Fadjroel Rachman, im Juli gegenüber einer Journalistin des kasachischen TV-Senders Silk Way.

Astana ist die neuste Hauptstadt der Welt und eine erfolgreiche Planstadt. Vor 1997 war nämlich Almaty die Hauptstadt Kasachstans. Als das Land 1991 die Unabhängigkeit von der Sowjetunion erlangte, wollte der im Jahr zuvor gewählte Präsident Nursultan Nasarbajew etwas für den Nationalstolz tun. Deswegen liess er mitten in der asiatischen Steppe eine neue, prunkvolle, futuristische Hauptstadt errichten.

Sie baute im Gegensatz zu Nusantara auf der Infrastruktur einer bestehenden Stadt auf und war deshalb in Windeseile fertig, bereits 1997 wurde sie zur neuen Hauptstadt erklärt. Damals lebten dort 300 000 Menschen, heute sind es über eine Million, vorwiegend junge Geschäftsleute. Die Stadt lebt, auch wenn sie etwas seelenlos wirkt.

Heute wird Astana gerne als verrückteste Stadt der Welt beschrieben. Für die neunziger Jahre war sie tatsächlich visionär und wurde rasch zum Symbol für das junge, zukunftsgerichtete Kasachstan. Weltberühmte Architekten lebten sich dort aus, bauten eine Shopping-Mall und einen Strand mit Wellenbad in ein überdimensionales Zelt, einen Aussichtsturm, der wie ein riesiges Ei auf einem hohen Nest von Ästen aussieht, oder zwei vergoldete Hochhäuser, die Bewohner scherzhaft die goldenen Bierdosen nennen.

Doch Astana hat seine Tücken. Die Gebäude wurden zu schnell gebaut, so dass viele schon nach wenigen Jahren marode sind, insbesondere bei den Wohnhäusern wurde gespart. Ausserdem ist die Stadt viel zu weitläufig, man braucht ewig, um vom einen Punkt an den anderen zu gelangen. Platz hätten dreimal so viele Leute, wie jetzt dort wohnen.

Auch daraus will Indonesien lernen. Nusantara soll auf nachhaltige Weise in zwei Jahrzehnten errichtet werden. Die Planer versprechen, dass in der Stadt selber alles innert zehn Minuten zu Fuss, mit dem Fahrrad oder den öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar ist. Private Fahrzeuge sollen kaum nötig sein. Begrünte Flächen dienen als Übergang zwischen verschiedenen Wohninseln.

Auf Satellitenbildern sind Ansätze dieser innovativen Stadtplanung bereits sichtbar. Es ist also gut vorstellbar, dass Nusantara, einst vollendet, wie Astana zum Symbol wird für die aufsteigende Wirtschaftsnation Indonesien, dass es junge, Tech-affine Leute anlocken wird, ausländische Unternehmen. Bis dahin ist noch ein weiter Weg. Personen, die kürzlich vor Ort waren, berichten von Bauschutt, der alles in Grau tünche, von dreckigen Strassen, staubigen Bäumen, einer einzigen, riesigen Baustelle. Umweltschützer klagen, dass das Projekt ein einziger Ressourcenverschleiss sei und das Ökosystem des Dschungels erheblich störe.

Der Denkfehler von Planstädten

Dass Nusantara die Probleme des 1300 Kilometer entfernten Jakarta lösen wird, das aus allen Nähten platzt, bezweifeln Experten. Auch dafür lohnt sich ein Blick auf ein Land, mit dem Indonesien enge Beziehungen pflegt: China. Dort hat der Staats- und Parteichef Xi Jinping 2017 seine eigene Planstadt namens Xiong An ins Leben gerufen.

Xi Jinpings Idee hat Jokowi wohl inspiriert. Denn Xiong An wurde extra dafür gebaut, Peking zu entlasten. Peking leidet ebenso wie Jakarta unter üblen Verkehrsstaus, Smog – und ist zwar von historischer Bedeutung, doch dafür auch schwerfällig, ganz anders als etwa die weltoffene Glitzer-Metropole Schanghai. Eine Smart City, wie etwa die Stadt Wuxi nahe bei Schanghai, ist Peking auch nicht. 15 Prozent sind über 65 Jahre alt. Die Wanderarbeiter, die über Jahrzehnte nach Peking strömten, bringen die Ressourcen der Stadt an ihre Grenzen.

Ein Grossteil von Xiong An steht nun, aber fertig ist die Stadt noch längst nicht; es soll erst in zehn Jahren so weit sein. Das Problem: Es will offenbar einfach niemand dorthin. Weder die Verwaltung noch die Privatwirtschaft noch die namhaften Universitäten oder Spitäler Pekings. Tech-Talente haben zwar das Recht, dort Wohnungen zu kaufen, aber die bleiben lieber im geschäftstüchtigen Süden des Landes oder in Peking.

Und so steht nun eine leblose Geisterstadt im Norden Pekings, in der nur ein paar Bauern in Hochhäusern wohnen, die ihr Land aufgeben mussten für den Bau von Xiong An. Ob die Stadt je ein Erfolg wird, ist zweifelhaft. Obwohl sie nur 100 Kilometer nördlich von Peking liegt, wird die Anziehungskraft Pekings nicht nachlassen – und die Probleme der Hauptstadt bleiben bestehen.

Planstädten liegt derselbe Denkfehler zugrunde wie der Planwirtschaft: Der Staat ist zwar allmächtig, aber nicht allwissend. Baut die Stadtentwicklung nicht auf organisches, privatwirtschaftlich getriebenes Wachstum, ist das Risiko hoch, dass die ganzen staatlichen Investitionen in ihrer Realitätsferne verpuffen wie heisse Luft.

Nusantara hat das Potenzial, zur Trendstadt für junge Leute mit guter Ausbildung zu werden und zum nationalen Symbol, so wie Astana. Aber dafür braucht es jemanden an der Spitze, der das Projekt stützt und die Ressourcen des Landes darauf konzentriert – ob das der neue Präsident Prabowo Subianto tun wird, der selber Zweifel hegt am Vermächtnis von Jokowi und vielleicht andere politische Prioritäten hat, ist fraglich. Nusantara droht dasselbe Schicksal wie Xiong An. Schon jetzt lassen sich Regierungsbeamte einmal pro Woche einfliegen, um sich im Garuda-Adler sehen zu lassen, um sie herum eine einzige, grosse Baustelle. Dann fliegen sie wieder zurück nach Jakarta.

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