Mittwoch, Oktober 2

Der Hype um künstliche Intelligenz heizt die Nachfrage im Markt für Data Center an. Nvidias Quartalszahlen sprechen für anhaltend robustes Wachstum. Davon könnten auch einige Unternehmen profitieren, die an der Börse bislang noch weitgehend unter dem Radar sind.

Die Zahlen sind erneut eindrücklich: Wie Nvidias Abschluss zum vergangenen Quartal zeigt, sorgt der Boom im Bereich künstliche Intelligenz weiterhin für atemberaubendes Wachstum. Die Aktien des Chipdesigners haben gestern im nachbörslichen Handel entsprechend Auftrieb verspürt.

Inzwischen ist es ein Jahr her, dass Konzernchef Jensen Huang die Börsen mit einem monstermässig starken Ausblick erschüttert hatte. Auch dieses Mal enttäuscht Nvidia nicht. Der Umsatz hat sich in der Berichtsperiode per Ende April um mehr als 260% auf 26 Mrd. $ verbessert. Die Analystenprognosen von 24,7 Mrd. $ wurden damit klar übertroffen und die insgeheimen Erwartungen an den Märkten praktisch punktgenau erfüllt.

Besser als vom Konsens geschätzt fällt ebenso die Guidance zum laufenden Quartal mit 28 Mrd. $ aus. Sie impliziert selbst auf der anspruchsvolleren Vergleichsbasis noch immer fast 110% Wachstum gegenüber dem Vorjahr. Analysten hatten im Vorfeld mit 26,6 Mrd. $ gerechnet. Das Selbstvertrauen des Managements während der Ergebnispräsentation lässt wenig Zweifel daran, dass Nvidia auch die neu gesteckte Vorgabe übertreffen wird.

Wachstumstreiber ist die massive Nachfrage nach Prozessoren für Server in Rechenzentren. Die Sparte, die zum mit Abstand wichtigsten Geschäft des einst primär auf Gaming-Grafikkarten spezialisierten Konzerns avanciert ist, hat die Einnahmen im Berichtszeitraum 427% auf 22,6 Mrd. $ gesteigert.

«Unser Wachstum im Bereich Data Center wurde durch die starke und zunehmende Nachfrage nach generativer Künstlicher Intelligenz befeuert», kommentiert CEO und Unternehmensgründer Huang.

Hinzu kommt, dass Nvidia überaus profitabel arbeitet. Die Bruttomarge nahm im Berichtszeitraum auf 78,4% zu; nach 76% im vorherigen Quartal bzw. 64,6% in der Vorjahresperiode. Kein grosser Chipkonzern wirtschaftet rentabler. Der freie Cashflow belief sich auf 14,9 Mrd. $, nachdem im Quartal per Ende Januar 11,2 Mrd. $ resultiert hatten.

Positiv aufgenommen werden vor allem die Aussagen zu den Aussichten für das zweite Halbjahr. Unter dem Codenamen Blackwell hat Nvidia im März die nächste Generation von leistungsfähigeren KI-Chips vorgestellt. «Wir werden dieses Jahr eine Menge Blackwell-Einnahmen erzielen», sagte Huang. Der neue Prozessor, dessen Kosten auf 30’000 bis 40’000 $ geschätzt werden, soll bis zum vierten Quartal erstmals in Rechenzentren zum Einsatz kommen.

Die Aktien von Nvidia sind seit Anfang Jahr 92% avanciert. Nach der Veröffentlichung der Zahlen haben sie am Mittwochabend gut 6% zugelegt. Das ergibt ein Rekordhoch von mehr als 1000 $ pro Titel oder eine Marktkapitalisierung von fast 2,5 Bio. $, womit an den US-Börsen nur Microsoft und Apple höher bewertet sind. Um den Handel liquid zu halten, wird per 10. Juni ein Aktiensplit im Verhältnis 1:10 vollzogen.

Die Kernbotschaft vom Konzernsitz aus dem Silicon Valley ist klar: Ein baldiges Ende des KI-Booms ist nicht in Sicht. Ein guter Grund also für Investorinnen und Investoren, sich nach weiteren Profiteuren umzusehen, deren Potenzial bislang an der Börse möglicherweise unterschätzt wird.

Der Markt für Data Center

Als Ausgangspunkt dazu eignet es sich, den Fokus auf den Markt für Data Center zu richten. Er ist im Vergleich zu anderen wichtigen Segmenten des IT-Sektors wie Endgeräte (Smartphones, Tablets, PCs etc.), Software oder Dienstleistung eher klein, wächst aber robust. Der Unternehmensberater Gartner schätzt, dass das Umsatzvolumen dieses Jahr von 236 auf 260 Mrd. $ steigt und 2025 weiter auf knapp 290 Mrd. $ zunimmt.

Ein genauerer Blick auf den Markt für Data Center zeigt, dass der grösste Teil der Einnahmen auf das Geschäft mit Grossrechnern (Server) entfällt. Weitere bedeutende Subsegmente sind Systeme zur Speicherung von Daten sowie Netzwerkequipment.

Zu den wichtigsten Akteuren zählen die Tech-Riesen Microsoft, Alphabet, Amazon, Meta Platforms und Oracle. Auch als «Hyperscaler» bezeichnet, nutzen sie Rechenzentren einerseits selber für ihre IT-Dienste. Andererseits bieten sie Cloud-Infrastruktur für Rechenoperationen an externe Kunden an.

Mit dem Boom im Bereich generativer künstlicher Intelligenz verändert sich die Dynamik im Markt für Data Center. Zur Kalibrierung und Anwendung grosser Sprachmodelle sind enorme Kapazitäten erforderlich, weshalb die Investitionen deutlich zunehmen. Im vergangenen Quartal sind die Kapitalausgaben der fünf Cloud-Riesen 26% auf 46 Mrd. $ gestiegen. Analysten gehen davon aus, dass sie dieses Jahr insgesamt um 37% auf mehr als 211 Mrd. $ wachsen.

Mit diesem gigantischen Wettrüsten wandelt sich das Profil der grossen Tech-Konzerne. Wurden sie an der Börse lange als Asset-light-Unternehmen mit geringer Basis an festen Kosten wahrgenommen, sind ihre Kapitalinvestitionen inzwischen mit denen klassischer Infrastruktur-Anbieter wie Unternehmen aus der Telecombranche vergleichbar. Relativ betrachtet sind sie derzeit sogar grösser.

Die Nachfrage nach KI-Chips

Dass keiner dieser Giganten im Wettlauf auf dem Gebiet künstlicher Intelligenz abgehängt werden will, ist für die Halbleiterindustrie eine Art Glücksfall. Während sich die meisten Endmärkte in den vergangenen Quartalen eher schleppend (PCs und Smartphones) oder rückläufig (Industrie und Automotive) entwickelt haben, ist die Nachfrage nach KI-Chips explodiert.

Hierzu ein Beispiel, um die Dimensionen zu veranschaulichen: Das KI-Modell GPT-3, auf dem der entscheidende Durchbruch des Start-ups OpenAI mit dem Text-Roboter ChatGPT im Spätherbst 2022 basierte, benötigt rund 400 Quadrillionen Rechenoperationen (eine Quadrillion hat 15 Nullen), um eine Anfrage in rund 500 Wörtern zu beantworten. Das sind gleich viele Rechenschritte, wie wenn jeder Mensch auf der Erde fünfzig Millionen Mal «KI» sagen würde. Bei den neusten Modellen sind die Kapazitätsanforderungen ein Vielfaches höher.

Entsprechend explosiv wächst die Nachfrage nach Hardware für Grossrechner in Data Center. Gemäss dem Halbleiterkonzern Marvell Technology dürften dieses Jahr auf Computerchips rund 120 Mrd. $ des 260 Mrd. $ grossen Markts für Rechenzentren entfallen. Hinzu kommen gut 80 Mrd. $ für Speicherkomponenten.

Im Zug des KI-Booms sind in erster Linie Chips gefragt, mit denen die komplizierten Modelle trainiert und genutzt werden. In der Branche wird dabei generell von «AI Accelerators» gesprochen, wozu hauptsächlich die GPU-Prozessoren (Graphics Processing Unit) von Nvidia und in geringerem Mass von AMD zählen. Ebenso dazu gehören spezifisch für bestimmte Rechenoperationen konzipierte Prozessoren (Application-specific Integrated Circuit, ASIC), wie sie Alphabet und Amazon schon seit längerem nutzen und neuerdings auch Meta sowie Microsoft verwenden.

Als führender Hersteller von GPU-Chips profitiert Nvidia bekanntermassen am meisten von diesem Trend. Gemäss Schätzungen von Bank of America dürfte der Anteil des Umsatzes, den der Konzern im Bereich Data Center/KI verdient, dieses Jahr rund 85% betragen.

Dahinter folgen Marvell und die Halbleitersparte von Broadcom, die im Geschäft mit AISC-Komponenten gut positioniert ist und 63% der Einnahmen im Bereich Rechenzentren erwirtschaftet. Im Fall von AMD und Intel sind es 46% und 26%, zumal sie ebenfalls ein bedeutendes Geschäft mit PC-Prozessoren betreiben.

Bei speziellen Speicherkomponenten für KI-Modelle sind die koreanischen Hersteller SK Hynix und Samsung Electronics führend. Der amerikanische Memory-Spezialist Micron Technology hat diesen Februar damit begonnen, die Massenproduktion solcher Chips hochzufahren.

Heimliche Profiteure

Angesichts der massiven Investitionen in Rechenzentren zieht die Begeisterung für das Thema künstliche Intelligenz an der Börse immer grössere Kreise. Hatte die Welle zunächst auch IT-Zulieferer wie Arista Networks, Super Micro Computer oder Industrieunternehmen wie Vertiv (Kühlsysteme für Data Center) erfasst, beginnt sie nun, in Sektoren wie Energie und Versorger überzuschwappen.

Wie folgende Grafik der Research-Firma CB Insights illustriert, nehmen Erwähnungen der Stichworte «Data Center» und «Energie» in der Kombination während der Besprechung von Quartalsergebnissen sprunghaft zu:

Gemäss einer Analyse von Goldman Sachs haben annähernd 70% der Unternehmen aus dem US-Energiesektor bei der Präsentation des Abschlusses zum ersten Quartal «künstliche Intelligenz» angesprochen. In der Berichtssaison zum vierten Quartal 2023 waren es noch weniger als 20%. Besonders Erdgasförderer wie Coterra Energy, EQT und Chesapeake Energy erhoffen sich Chancen aus der erheblichen Stromnachfrage von Rechenzentren.

Besonders auffällig ist, was sich seit einigen Wochen bei Aktien von Versorgerunternehmen abspielt. Der Aufwärtstrend des Sektors hat sich seit Mitte April deutlich akzentuiert, womit er gemessen an der Gesamtperformance inklusive Dividenden (Total Return) für 2024 mit einem Plus von knapp 15% an der Spitze rangiert.

Für Auftrieb sorgen unter anderem wohl schwächere Konjunkturdaten und die Aussicht auf Zinssenkungen, da defensive Aktien mit ansehnlichen Dividenden in einem schwierigen Konjunkturumfeld vermehrt gefragt sind. Auch das Thema künstliche Intelligenz dürfte die Fantasie von Investoren anregen.

Wie das Research-Team von Morgan Stanley in einer Studie vorrechnet, könnte der Anteil von Elektrizität am Gesamtkonsum in den USA dadurch von aktuell 3% bis Ende dieses Jahrzehnts auf rund 10% steigen. «Sowohl traditionelle als auch alternative Energieversorger haben angesichts des steigenden Bedarfs an Strom für KI-Rechenzentren Potenzial für positive Revisionen bei den Gewinnschätzungen», hält Aktienstratege Mike Wilson dazu fest.

Besonders stark schneiden denn auch Konzerne wie Vistra (+146% seit Anfang Jahr), Constellation Energy (+89%) und NRG Energy (+59%) ab, die sich hauptsächlich auf die Stromerzeugung fokussieren.

Ob sich künstliche Intelligenz tatsächlich zu einem echten «Game Changer» für Versorger- und Energiekonzerne entwickelt, wird sich weisen. Wie in jedem Boom wird es auch bei Investitionen in Rechenzentren zu Übertreibungen kommen, wenn das nicht bereits der Fall ist. Im Gegensatz zu typischen KI-Aktien wie Nvidia und zur IT-Branche generell sind Unternehmen aus diesen Sektoren zumeist aber wesentlich attraktiver bewertet – und müssen nicht bloss auf künstliche Intelligenz als Kurstreiber zählen.


Deep Diving

An dieser Stelle präsentieren wir wie immer einige Links, die einen vertieften Einblick in ein aktuelles Thema geben:

  • Das Mysterium gibt immer wieder zu reden: An den amerikanischen Aktienmärkten sind weniger und weniger Unternehmen kotiert. Waren um die Mitte der Neunzigerjahre über 8000 Gesellschaften börsengelistet, sind es heute noch rund 4600. Das Online-Magazin «Sherwood News» geht den Ursachen des rückläufigen Trends auf den Grund und zeigt auf, was Venture-Capital-Finanzierungen und Tech-Riesen wie Alphabet, Microsoft und Apple damit zu tun haben.
  • Die Nachricht lässt aufhorchen – im wahrsten Sinn des Wortes: In Grossbritannien hat ein Kleinkind, das von Geburt an taub war, sein Hörvermögen dank einer Gentherapie gewonnen. Der bahnbrechende Eingriff dauerte bloss sechzehn Minuten und ist Teil einer Studie, die in den USA, in Grossbritannien und in Spanien vom US-Biotechkonzern Regeneron Pharmaceuticals durchgeführt wird. «The Guardian» berichtet über die Hintergründe des medizinischen «Wunders».
  • Streaming-Dienste wie Netflix, Hulu und Amazon Prime Video haben die TV-Industrie revolutioniert. Wachsende Konkurrenz, Veränderungen im Zuschauerverhalten und nicht zuletzt schwierigere Finanzierungsbedingungen stellen Streaming-Plattformen heute jedoch vor zunehmende Herausforderungen. Die Fachzeitschrift «Variety» befasst sich in dieser Reportage mit den Bemühungen der Branche, sich neu zu erfinden. Dies, indem sie auf bewährte Rezepte des klassischen Fernsehens zurückgreift.

Und zum Schluss noch dies: P-122

Es ist eine Begegnung der anderen Art: Als Vladimir Polumiskov seinen Wagen nach einem Sushi-Dinner mit seiner Familie auf dem Parkplatz vor seinem Apartment in den Hollywood Hills abstellt, funkeln ihm zwei Augen einer Katze entgegen.

Wie sich im Scheinwerferlicht zeigt, gehören sie jedoch nicht einem gewöhnlichen Vierbeiner aus der Nachbarschaft, sondern einem ausgewachsenen Berglöwen.

In der Umgebung des Griffith Park, der grossen Grünanlage am östlichen Ende der Santa Monica Mountains, werden Wildtiere wie Kojoten, Luchse, Rehe oder Füchse zwar nicht unbedingt selten gesichtet. Zeigt sich aber ein Berglöwe, ist das sofort Stadtgespräch.

Die Aufnahmen, die Polumiskov vor wenigen Tagen mit dem Smartphone gemacht hat, wecken Erinnerungen an P-22. Der Berglöwe, der in den letzten zehn Jahren sporadisch in der gleichen Gegend auftauchte, genoss in L.A. Kultstatus. Dem Wildtierfotografen Steve Winter gelang es sogar einmal, ihn auf der Pirsch vor dem Hollywood Sign für «National Geographic» abzulichten.

Leider endet die Story der «Hollywood Cat» nicht mit einem Happy End. Im Dezember 2022 musste P-22 von den Wildhütern eingeschläfert werden, weil er nach einem Autounfall aufgrund innerer Verletzungen und Infektionen nicht mehr überlebensfähig war. Rund 6000 Personen wohnten damals der Gedenkfeier für Kaliforniens prominenteste Raubkatze bei.

Dass nun plötzlich ein potenzieller Nachfolger auftaucht, sorgt für umso mehr Aufregung. Die Tierschutzbehörden beobachten die Population der Berglöwen in den Santa Monica Mountains schon seit 2002. Damals wurde das erste Exemplar mit einem Sender versehen und mit dem Namen P-1 bezeichnet, wobei das «P» für Puma steht.

Seitdem sind in der Region insgesamt 121 Berglöwen gesichtet und markiert worden. Die Raubkatze von letzter Woche konnte bislang weder lokalisiert werden, noch liess sich ihr Alter bestimmen. Doch wenn es gelingt, sie ebenfalls mit einem Halsband zu versehen, würde sie unter P-122 in der Statistik erfasst – eine passende Hommage an den berühmten Vorgänger P-22.

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