In jüngster Zeit sind mehrere Umweltorganisationen entstanden, die auf die Wissenschaft setzen: Sie diskutieren offen über die Vorteile und die Nachteile von Technologien, die zur Lösung von Umweltproblemen beitragen könnten. Vier Mitglieder haben der NZZ erläutert, wie sie zu dieser Haltung gekommen sind.
Sie fürchten neue Technologien wie der Teufel das Weihwasser. Viele Umweltschützer finden etwa Gentechnik oder künstliches Fleisch aus dem Labor gefährlich und protestieren dagegen. Bei Umweltorganisationen wie Greenpeace oder WWF ist diese Antihaltung Teil des Programms. Und das, obwohl sich die kategorische Ablehnung durch wissenschaftliche Argumente oft nicht belegen lässt.
«Die Risiken, die für Mensch und Natur vom Einsatz der Gentechnik in der Landwirtschaft und der Lebensmittelproduktion ausgehen, sind nicht absehbar», heisst es zum Beispiel in einem Beitrag auf der Website von Greenpeace München. Wissenschaftliche Gründe für diese Skepsis: Fehlanzeige. Forscher beklagen die in ihren Augen ungerechtfertigte Opposition gegen die Gentechnik schon seit Jahren.
Doch es gibt auch Umweltschützer, die neuen Technologien viel aufgeschlossener gegenüberstehen. Die kleinen Umweltorganisationen, in denen sie sich engagieren, wurden erst vor wenigen Jahren gegründet. Auf wissenschaftliche Argumente legt man dort viel Wert. Vier dieser Umweltschützer haben der NZZ im Gespräch erläutert, warum sie mit den herkömmlichen Organisationen wenig anfangen können – und warum sie sich für eine neue Art von Umweltschutz engagieren.
Eine Finnin diskutiert über biologischen Anbau, und das hat Folgen
In ihrer Jugend sei sie ein «traditioneller Umweltmensch» gewesen, sagt Iida Ruishalme. Als sie an einer Uni in Schweden studierte, umgab sie sich mit Gleichgesinnten, unter denen es nur so von Hippies, Veganern und Anarchisten wimmelte. Zusammen mit ihrem Mann zog sie vor fünfzehn Jahren der Arbeit wegen nach Zürich. Von den Bergen in der Schweiz ist Ruishalme begeistert. In Finnland, wo sie herkommt, gibt es solche «richtigen Berge», wie sie es ausdrückt, nicht.
Nach dem Umzug und der Familiengründung – Ruishalme hat mit ihrem Mann zwei Töchter – begann sie sich umweltpolitisch in Zürich zu engagieren. Damals setzte sie sich stark für den biologischen Anbau von Lebensmitteln ein. Eines Tages hatte jemand in einer Diskussion einen irritierenden Einwand: Bei biologischem Anbau benötige man sehr viel mehr Platz als für herkömmlichen Anbau, darum könne man dann weniger Nahrungsmittel produzieren.
Ruishalme hatte zunächst keine Antwort parat. Sie ging der Sache nach und suchte wissenschaftliche Argumente. Dabei stellte sie fest, dass es sowohl Vorteile als auch Nachteile des biologischen Anbaus gab. Oft, so sagt sie heute, ergebe es Sinn, nicht ökologisch einzukaufen. Neben dem grösseren Flächenbedarf entstehe beim biologischen Anbau zum Beispiel ein besonders saurer oberflächlicher Abfluss von den Äckern.
«Ich merkte, dass es unmöglich ist, immer alle Dinge selbst zu analysieren, jeder hat blinde Flecken.» Sie suchte die Diskussion mit Landwirten, Journalisten und Wissenschaftern. Ruishalme begann, einen Blog zu schreiben, und erhielt viel positive Resonanz.
Dass die grossen Umweltorganisationen wie Greenpeace oder WWF beim biologischen Anbau ganz anders dachten als sie, frustrierte sie. Die wissenschaftlichen Argumente seien im öffentlichen Diskurs oft unterrepräsentiert. Sie fühlte sich als ein «orphan environmentalist», eine «verwaiste Umweltschützerin».
Ruishalme stellte aber bald fest, dass sie mit diesem Gefühl nicht alleine war, und knüpfte ein Netz aus Gleichgesinnten. 2021 gehörte sie zu den Gründern von WePlanet, einem Verbund von europäischen Umweltorganisationen mit einem starken wissenschaftlichen Fokus. «Eine Bewegung, die auf Fortschritt, Dringlichkeit und Optimismus setzt. Eine Bewegung, die die Wissenschaft liebt und umarmt, anstatt sie zu fürchten und abzulehnen», heisst es auf der Website von WePlanet.
Der von einer Statistik überraschte Informatiker
Florian Blümm, der in Süddeutschland lebt, kam viel später zum Umweltschutz als Ruishalme. Er wuchs in der Nähe des Kernkraftwerks Grafenrheinfeld auf, das in dem bekannten Anti-Atomkraft-Buch «Die Wolke» von Gudrun Pausewang eine prominente Rolle spielt. Lange Zeit, nicht zuletzt geprägt durch seine Familie, stand er der Kernenergie skeptisch gegenüber.
Blümms Aha-Moment kam, als er sich vor knapp fünfzehn Jahren mit den Risiken verschiedener Energieformen beschäftigte. Er fand heraus, dass in der Statistik der Todesfälle bei verschiedenen Energiequellen die Kohle ganz vorne stand, nicht etwa die Kernenergie. «Es hat mich genervt, dass ich so fehlinformiert war», sagt der Informatiker heute. Inzwischen ist er Mitglied von WePlanet DACH, der Unterorganisation von WePlanet in Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Gerade in Deutschland kämpfe Greenpeace stark gegen die Kernenergie, sagt Blümm. Das ergebe aber keinen Sinn. Kernenergie sei eine Klimaschutztechnologie, denn durch den Betrieb entstehe kein CO2. Hätte man die Kernkraftwerke in Deutschland erhalten, so Blümm, wären jetzt weniger Verhaltensänderungen notwendig. Nicht die in seinen Augen kleinen Risiken seien ein Problem dieser Energiequelle, sondern eher die hohen Kosten.
In einem Blog, den er in der Freizeit betreibt, beschäftigt sich der Informatiker intensiv mit technologischen Lösungen im Kampf gegen den Klimawandel. «Ich bin links-grün versifft und stolz darauf. Aber mit romantischen Ideen wie ‹Zurück zur Natur› kannst du mich jagen», schreibt er auf der Website.
Ein Biologe wundert sich über den Ruf der Genschere
«Ich wollte immer schon im Umweltschutz aktiv werden», sagt der in Berlin lebende Biologe Martin Reich. Sein Opa habe ihn geprägt, mit ihm sei er viel in der Natur gewesen. Als Kind habe er Superhelden gezeichnet, die die Natur gerettet hätten. Lange Zeit sei er aber nicht dazugekommen, sich mit dem Umweltschutz zu beschäftigen. Andere Dinge standen im Vordergrund, nicht zuletzt das Biologiestudium und die Forschung. Mit einem Thema zu den Folgen des Klimawandels ist Reich im Jahr 2015 promoviert worden.
Seit 2020 arbeitet der Biologe in der Kommunikationsarbeit, vor allem für das deutsche Bundesforschungsministerium. Im selben Jahr gründete er zusammen mit Gleichgesinnten das Öko-Progressive Netzwerk. Dieser Verein hat sich der Förderung des wissenschaftlichen Dialogs verschrieben, um die Umwelt zu schützen, und ist Mitglied im bereits erwähnten Dachverband WePlanet.
Sein Engagement habe mit Crispr/Cas angefangen – der sogenannten Genschere, sagt Reich. Viele Menschen wüchsen heute mit einer Anti-Gentechnik-Haltung auf. Studierende der Naturwissenschaften, die sich für die Umwelt einsetzen wollten, stellten schnell fest, dass die Gentechnik ausserhalb der Unis meistens abgelehnt werde. «In der Wissenschaft heisst es, die Technik sei zu 99 Prozent sicher, und in der Gesellschaft sind alle dagegen – damit fing es an», erzählt der Biologe.
Gefragt nach einem Beispiel für einen sinnvollen Einsatz der Gentechnik, erzählt Reich von Auberginen in Bangladesh. Insekten hätten dort oft die Ernte zerstört. Eine genmodifizierte Variante, die seit 2020 eingesetzt wird, widersteht ihnen besser. Nun kommen die Landwirte mit geringeren Mengen an Insektiziden aus. Auf diesen Erfolg will man dort nicht verzichten. «Wir können in Europa auf Nullrisiko gehen, aber in anderen Ländern sind die Folgen krass», sagt der Biologe.
In den grossen Umweltorganisationen sei vieles zum Selbstzweck geworden, sagt Reich. Die Politik sei wichtiger geworden als die Wissenschaft. Die Organisationen seien immer weniger fähig, sich zu verändern und neue Standpunkte zu entwickeln. «Hinter den Kulissen sagen die Mitglieder, dass sie das auch wissen.» Die Ziele einer Umweltorganisation seien zwar immer weltanschaulich geprägt, aber was die Mittel angehe, solle man Evidenz verwenden. Genau das ist das Credo des Öko-Progressiven Netzwerks.
Viele Mitglieder hätten anderswo keine Heimat gefunden, sagt Reich. «Natürlich haben wir nicht annähernd die Relevanz wie die grossen Umweltorganisationen. Aber es gab bei uns keine Altlasten, keine Ideologien.»
Ein Ökonom begeistert sich für wissenschaftliche Evidenz
Der evidenzbasierte Ansatz sei unterstützenswert und wichtig, sagt der Verhaltensökonom Moritz Fritschle. An der Universität Osnabrück erforscht er, wie man Landwirte zu mehr Nachhaltigkeit bewegen kann. Er stiess 2022 zu dem Öko-Progressiven Netzwerk hinzu, weil ihn der Austausch über Fachgrenzen hinweg reizte.
In den grossen Umweltorganisationen stecke zwar auch Wissenschaft, sagt Fritschle, aber eben nicht nur. Dort gehe man anders an die Sache heran. Man spezialisiere sich auf kontroverse Themen, die bei den Zielgruppen Ängste oder andere Emotionen auslösten. Kernenergie und Gentechnik sind die klassischen Beispiele dafür.
Die Gentechnik sei für ihn am Anfang «schwierig» gewesen, sagt Fritschle. Weil er sie nicht verstanden habe. Nachdem er sich mit der Materie auseinandergesetzt und mit Forschern gesprochen hatte, kam er zu dem Schluss, dass sie grundsätzlich für einige Probleme eine gute Lösung sein kann. «Sich dann gegen eine Lösung zu entscheiden, die auf der Hand liegt, ergibt keinen Sinn.»
Viele Umweltschützer romantisieren die Natur
Alle vier Gesprächspartner bestätigen im Gespräch: Die Angst vor Technologie in den grossen Umweltorganisationen gründet auch in einer historisch gewachsenen Befindlichkeit – einer starken Naturromantik. «Die ist in Deutschland sehr verbreitet», sagt Blümm, «gerade bei WWF und dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland.» Da komme er als Informatiker nicht so ganz mit.
Oft geht die Naturromantik mit einer nostalgischen Betrachtung der Vergangenheit einher. Nach dieser Vorstellung soll das Verhältnis zwischen Natur und Mensch früher noch in Ordnung gewesen sein. «Für die Natur war diese Zeit gut, weil es weniger Menschen gab», sagt Ruishalme. Aber auch für die Menschen? «Das war ja kein Leben, von dem wir denken, dass unsere Kinder das führen sollten.» Sie zitiert Hans Rosling, einen schwedischen Arzt und Bestsellerautor: «Die Menschen haben früher nicht im Gleichgewicht mit der Natur gelebt, sie sind im Gleichgewicht mit der Natur gestorben.»
Eine offene Diskussionskultur soll Lösungen fördern
Das Netzwerk WePlanet, zu dessen Gründerinnen Ruishalme zählt, neigt nicht zur Naturromantik, sondern verfolgt einen sehr pragmatischen Ansatz. Dabei haben auch technologische Lösungen ihren Platz.
Das Ziel ist aber keineswegs, alle Umweltprobleme mit Hightech zu beantworten, wie dies manche Techno-Optimisten propagieren. Es geht den Mitgliedern von WePlanet vielmehr darum, dass keine Lösungsmöglichkeit, keine Technologie schon von Anfang an aus der Diskussion ausgeschlossen wird.
Die Ziele einer Umweltorganisation seien immer weltanschaulich geprägt, sagt Martin Reich. «Aber wenn es um die Mittel geht, mit denen man diese Ziele erreichen will, muss man Evidenz verwenden. Wir versuchen, das komplett offen zu machen.»
Reich erwähnt das Beispiel Laborfleisch – beziehungsweise, wie er es lieber nennt: Fleisch aus Zellkulturen. Ernährung sei ein emotionales Thema, und Fleisch aus Zellkulturen werde zum Teil mit irrationalen Argumenten diskriminiert, sagt er. Dabei vergrössere sich dank der neuen Technologie einfach nur die Auswahl für die Konsumenten. «Wir lobbyieren nicht für das Fleisch aus Zellkulturen, aber man sollte es nicht verbieten», sagt er. «Wenn die Diskussion abgewürgt werden soll, versuchen wir unseren Einfluss geltend zu machen.»
Eine Kosten-Nutzung-Abwägung habe man eigentlich immer, sagt Fritschle. «Ich glaube, wenn man das nicht so präsent hat, neigt man dazu, das zu vergessen, und fokussiert auf Argumente, die man gerade kennengelernt und zur Hand hat. Argumente, die in der eigenen Bubble präsent sind. Dann neigt man dazu, die Pros oder Cons zu verdrängen.»
Um Technologien angemessen zu bewerten, muss man aber zwangsläufig das Für und Wider bedenken. Es kommt nicht von ungefähr, dass viele Mitglieder von WePlanet einen wissenschaftlichen Hintergrund haben. Das habe allerdings auch einen Nachteil, sagt Ruishalme. Mit Wissenschaftern eine öffentlichkeitswirksame Kampagne zu führen, sei nicht einfach. Blümm sieht das ähnlich: «Wir sprechen rational denkende Menschen an – das sind nicht die, die sagen, sie gingen zu einer Demo.»
Auch mit der Finanzierung sei es schwierig, sagt Blümm. Die grossen Umweltorganisationen seien ihnen völlig überlegen. Die seien schon lange dabei, gut vernetzt, durch die Institutionen marschiert. «Davon sind wir noch ganz weit weg.»
Wachstum und Nachhaltigkeit schliessen sich nicht aus
Die Hauptbotschaft von WePlanet, dem Dachverband der wissenschaftsnahen Umweltschützer, ist eine positive: Wohlstand erhalten, aber trotzdem nachhaltiger werden. Reich findet das ganz richtig so: «Ich glaube nicht, dass Degrowth die Lösung bringen kann. Damit lügen wir uns in die eigene Tasche.» Stattdessen müsse es das Ziel sein, Wohlstand und Wirtschaftswachstum von Ressourcenverbrauch und Emissionen zu entkoppeln, um innerhalb der planetaren Grenzen zu agieren. Diese Botschaft fange die ein, die sich von den grossen Umweltorganisationen abgewendet hätten.
Eines wollen die pragmatischen Umweltschützer in diesen Zeiten wachsender Polarisierung gerne vermeiden: sich einer bestimmten politischen Richtung zuordnen zu lassen. «Wir wollen inklusiv sein», sagt Ruishalme. Also weder links noch rechts. Das Verbindende soll die sachliche Auseinandersetzung mit der besten Lösung sein.
Nach dieser Denkweise können gentechnisch veränderte Pflanzen, die Kernenergie oder künstliches Fleisch aus dem Labor praktikable Lösungen im Hinblick auf den Umweltschutz sein – mit der Betonung auf «können». Sie müssen nicht unbedingt zum Einsatz kommen, aber sie sollen offen zur Debatte stehen. Für viele Umweltschützer ist das ein ketzerischer Gedanke – aber nicht für alle.
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