Seit einem halben Jahr hat der Zürcher Hauptbahnhof ein neues gastronomisches Prunkstück: Die «Brasserie Süd» überzeugt aus ganz unterschiedlichen Perspektiven.

Die grossen Ferien stehen vor der Tür, in manchen Kantonen beginnen sie dieses Wochenende. Und was weckt das Fernweh verlässlicher als Gleise, die sich scheinbar in der Unendlichkeit verlieren? Nebst solchen hat der Zürcher Hauptbahnhof, der so viele Menschen anzieht wie wenige in Europa, nun endlich auch ein Speiselokal mit Strahlkraft zu bieten.

In der einstigen Schalter- und Wandelhalle des 150-jährigen Südtrakts verströmt seit einem halben Jahr die «Brasserie Süd» eine für diese Stadt verblüffende Grandezza. Im hohen Saal, geprägt von klassischer Symmetrie, setzt das Zürcher Gastro-Gespann Nenad Mlinarevic und Valentin Diem ein Konzept für viele Lebenslagen um.

Inzwischen habe ich vier ganz unterschiedliche Perspektiven auf diesen Betrieb testen können – zuerst an der Theke: Da alle noch freien Tische gebucht sein sollen, wird uns nur an ihr noch Platz gewährt, als ich mich im Januar bald nach der Eröffnung spontan mit einem Freund zum Znacht treffe. Doch diese Theke mit Blick in die verglaste Küche hat auch ihren Reiz, man fühlt sich fast wie beim Zoobesuch, nur hat die Trennscheibe eine Öffnung. Wir beobachten zum Beispiel aus nächster Nähe, wie ein junger Küchenhelfer jeden einzelnen Knopf am Herd akribisch putzt und sich dazwischen an (nicht in!) die Nase fasst.

Das sollte uns nicht vom Essen ablenken, das eigentlich die volle Aufmerksamkeit verdient. Die Karte erinnert zwar nur teilweise an eine Brasserie, auch das in solchen massgebende Bier hat hier im Vergleich zur grossen Weinauswahl einen schweren Stand; aber das Angebot ist originell, der Gesamteindruck stimmig. Das Kotelett vom Iberico-Schwein (Fr. 54.–), eine Hausspezialität, könnte nicht besser sein: saftig, aromatisch, mit rosa Kern und Krönchen aus Röstzwiebeln und Schnittlauch. Dieser ist in Mlinarevics Betrieben auffällig präsent und begleitet hier auch (zu) üppig die köstlichen Jahrgangssardinen auf einem Butterbrot mit eingelegten roten Zwiebeln (Fr. 16.–).

Beim zweiten Besuch, diesmal über Mittag im April, reservieren wir einen Tisch im Hauptteil. Fast wie alte Zugabteile ist er in Nischen unterteilt, die gläsernen Trennelemente erinnern an Brasserien; die Gesprächsatmosphäre ist erstaunlich ruhig, namentlich im hinteren Teil. Schön, wird hier eine Vichyssoise (Fr. 16.–) serviert, allerdings untypischerweise warm. Der Kellner weiss offenbar um den Stilbruch und sagt auf Nachfrage, man serviere sie erst in der wärmeren Jahreszeit kalt. Ein feiner und etwas teurer Klassiker des Hauses sind die Paccheri an Hummerragout mit einem Schuss Pernod (Fr. 42.–).

Wer findet, das Angebot sei für einen Bahnhof zu hochpreisig, kann es als Fortsetzung der Tradition der Buffets der 1. Klasse sehen. Ein Speiselokal dieses Preisniveaus steht Zürich an dieser Lage gut an, solange die Qualität stimmt. Wer sich billiger verpflegen will, findet im Bahnhof mehr als genügend Alternativen. Und wer’s noch teurer wünscht, kann auch das haben: Im von denselben Betreibern gleich nebenan eröffneten Gourmetlokal «The Counter» lässt man abends mindestens 300 Franken pro Person liegen.

Der dritte Blickwinkel offenbart sich mir im Mai draussen auf der Terrasse am Bahnhofplatz, wo ich mit einem Drink in der Hand an einem der rosafarbenen Tischchen in die Abendsonne blinzle. Zur vierten Dimension schliesslich führt drinnen die enge Wendeltreppe hinauf zum Mezzanin auf Höhe der Säulenkapitelle: Die «Da Capo»-Bar, 1979 nach Plänen von Trix und Robert Haussmann gebaut, ist vor dem eigentlich schon besiegelten Abbruch gerettet und nun wiederbelebt worden.

In dieser eigentümlichen Mischung aus Galerie und Verlies mit Trompe-l’Œil-Effekten sowie Lämpchen-Baldachin fast wie einst über der Bahnhofstrasse kann man essen, trinken, nicht aber reservieren. Auf den blauen Original-Lederpolstern versammelt sich beim Besuch gegen 22 Uhr ein erfreulich gemischtes Publikum. Hier schwelgt ein älteres Paar in Nostalgie, dort halten Studentinnen einen Schwatz mit Blick hinunter aufs Treiben im Restaurant.

Im Bahnhof eine Bar zu wissen, in der man nach langer Reise spätabends noch einen anständigen Negroni in wunderschönem Glas und inspirierendem Umfeld erhält, ist Gold wert. Zumal der Service – übrigens bei allen vier Besuchen – kompetent und aufmerksam agiert. Dass die täglich von früh bis spät geöffnete «Brasserie» einer der raren Orte in Zürich würde, an denen man nach 21 Uhr 30 noch etwas Warmes bestellen kann, habe ich allerdings vergeblich gehofft. Dennoch ist auch sie eine klare Bereicherung, für Reisende wie für Daheimgebliebene.

Brasserie Süd
Bahnhofplatz 15, 8001 Zürich.
Telefon 044 244 32 15.

Für diese Kolumne wird unangemeldet und anonym getestet und am Ende die Rechnung stets beglichen. Der Fokus liegt auf Lokalen in Zürich und der Region, mit gelegentlichen Abstechern in andere Landesteile.

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