Mittwoch, Oktober 9

Losone mag nicht der touristische Hotspot des Tessins sein und das Wetter nicht immer mitspielen. Aber die «Osteria dell’Enoteca», ein Gastlokal für das ganze Jahr, lohnt den Besuch auf jeden Fall.

Wer so simpel gestrickt ist, Schönwetter als Hauptmotiv für einen Abstecher ins Tessin zu sehen, hat heuer noch nicht viele Gründe für einen solchen gefunden. Just an den Ostertagen wurde der Süden gar mit Regengüssen geflutet – dafür nicht mit Sonnensüchtigen aus dem Norden, was seine Vorteile hat.

So finden wir am Ostersonntag sogar kurzfristig noch einen Platz in der «Osteria dell’ Enoteca». Losone, der ehemalige Kasernenstandort, gilt nicht gerade als touristischer Hotspot, aber das leicht versteckt im alten Dorfkern San Giorgio gelegene Restaurant lohnt seit Jahrzehnten einen Besuch. Seit genau zehn Jahren führen es Heike und Giuseppe Greco, Eltern von vier Kindern, sie mit süddeutschen, er mit süditalienischen Wurzeln.

Durchs schmiedeiserne Tor betritt man ihr Refugium, zunächst den pittoresken Innenhof, wo man sommers auf Kies unter Pergola und Bäumen speist. Drinnen im Speisesaal mit türkisfarbenen Wänden stehen fünf Tische, an einem tafeln gerade drei Generationen einer Tessiner Familie. Hier kann man sich, auch dank schalldämpfenden Deckenelementen, bestens unterhalten, und nicht nur das Cheminéefeuer sorgt für warme Atmosphäre.

Noch um ein paar Grad wärmer wird der Raum, wenn der Wirt an den Tisch tritt. Er quittiert Extrawünsche nicht mit abweisenden Gesten, sondern brennt offenkundig dafür, Wünsche zu erfüllen und Alternativen anzubieten. Von Fine-Dining-Dünkel wird man an diesem neuerdings mit einem Michelin-Stern ausgezeichneten Ort verschont, auch dank der temperamentvollen Wirtin. Der Fussboden mag an ein Schachbrett erinnern, aber der Gast fühlt sich hier keine Sekunde wie eine Spielfigur des Service.

Der toskanische Küchenchef Jacopo Rovetini und sein Team kochen ambitioniert, beschränken sich dabei aber erfreulicherweise auf drei, vier Aromen pro Teller und überladen diesen nicht mit Ansprüchen; die Präsentation ist leicht verspielt, ohne in Blendwerk abzudriften. Mittags wird ein zweigängiger Business-Lunch (Fr. 49.–) serviert, abends ein fünfgängiges Menu degustazione (Fr. 118.–, vier Gänge Fr. 98.–). Ins Ostermenu (Fr. 129.–) steigen wir zu formidabler Focaccia mit einem Gläschen Franciacorta (Fr. 13.–) ein, der hier gleich in fünf Versionen angebotenen Königin der Spumantes. Die Küche schickt als Grüsschen eine leicht pikante Mini-Madeleine mit Chorizo und Mayonnaise-Häubchen sowie eine Komposition aus mariniertem Lachs, Joghurt und Randen.

Die erstklassige Fleischqualität des Rindstatars unter Eigelb-Glasur verfälschen weder Gewürze noch andere Beigaben; mit Sardellenröllchen, Sprossen und Blüten fügt sich das Ganze zur Augenweide, fast wie ein Jugendstil-Medaillon. Als Alternative für diese Vorspeise erhält die Verächterin von rohem Fleisch himmlische Ravioli alla Cacciatora, gefüllt mit lange gegartem Poulet und ergänzt um Parmesan-Crème, Estragon-Emulsion und Oliven-Crumble.

Die Fregola-Sarda-Pasta fügt sich mit Tartufi di mare (einer Venusmuschel-Art) und rezenter Bottarga zum Meeresfest. Als Involtini präsentieren sich auf den Punkt gegarte Filets vom Kabeljau, der unter seinem italienischen Namen «Merluzzo» so tänzerisch wirkt, umgarnt von Tomaten-Coulis und gelandet auf den Spitzen grüner Spargeln mit wunderbar viel Biss. Das obligate Ostergitzi kommt dann in drei Zubereitungsarten mit gebratener Artischocke, Kartoffelstock und Merlot-Jus; das als Alternative gebotene Kalbsfilet begleiten ein Oliven-Kapern-Tatar und eine cremige Sauce mit Büsciòn, dem Tessiner Ziegenfrischkäse.

Die Weinkarte hält über siebzig Tessiner Tropfen bereit. Um einen Tipp für einen offen angebotenen roten Merlot mit Muskeln und Tiefgang gebeten, mahnt Giuseppe Greco zu Realismus: Die Reben hätten hier keine Bedingungen wie in Süditalien. Er bringt einen schön komplexen Cuvée aus dem Mendrisiotto (Fr. 12.–/dl.), den MCCX, dessen Lettern für die verwendeten Traubensorten stehen, begonnen beim Merlot.

Nach kalter Zabaione mit Vanilleeis als Prèsdessert katapultiert uns der hinreissende Schlussakkord in den Sommer: Neben einem eiförmigen Rhabarber-Sorbet thront auf einem Mini-Meringue ein Basilikumeis. Dieses schmeckt köstlich nach dem, was der Name verspricht – und braucht dafür nicht grasgrün zu sein. Das weiss, wer gerne selbst mit Glacemaschinen und Grünzeug wie Lorbeer experimentiert.

Wer’s an Ostern nicht ins Tessin schaffte, hat noch Auffahrt, Pfingsten, einen ganzen Sommer vor sich – oder den nächsten Winter: Diese Osteria empfängt Gäste zu jeder Jahreszeit und selbst bei übelstem Wetter.

Osteria dell’Enoteca
Contrada Maggiore 24, 6616 Losone (TI)
Sonntags und montags geschlossen.
Telefon 091 791 78 17

Für diese Kolumne wird unangemeldet und anonym getestet und am Ende die Rechnung stets beglichen. Der Fokus liegt auf Lokalen in Zürich und der Region, mit gelegentlichen Abstechern in andere Landesteile.

Die Sammlung der NZZ-Restaurantkritiken der letzten fünf Jahre finden Sie hier.

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