Freitag, Februar 28

Annäherung statt bewaffneter Konflikt: Der Aufruf des PKK-Gründers Öcalan zur Auflösung der Guerillagruppe lässt auf friedlichere Zeiten in der Türkei hoffen. Doch der Zeitpunkt gibt Anlass zur Skepsis.

Für viele Menschen in der Türkei war es eine Überraschung, als der Nationalistenführer Devlet Bahceli im Oktober vorschlug, den seit mehr als 25 Jahren inhaftierten Chef der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Abdullah Öcalan, freizulassen – unter der Voraussetzung, dass dessen Organisation der Gewalt abschwört und sich auflöst. Ausgerechnet Bahceli, der sich als Koalitionspartner von Präsident Recep Tayyip Erdogan stets gegen Friedensverhandlungen mit den PKK-Rebellen gewehrt hatte, forderte nun eine Annäherung an die Guerilla, die nicht nur in der Türkei, sondern auch in der EU als Terrororganisation eingestuft ist.

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Die Kehrtwende war der Auftakt einer Entwicklung, die am Donnerstag in Öcalans historischer Ankündigung mündete, die Waffen niederzulegen und die PKK aufzulösen. 40 Jahre bewaffneter Konflikt mit mehr als 40 000 Toten könnten damit zu Ende gehen; in der Türkei und ihrer Nachbarschaft könnten friedlichere Zeiten anbrechen. Aber noch ist nicht klar, was die Regierung in Ankara den Kurden für die Niederlegung der Waffen versprochen hat – oder was die Türkei für die in Aussicht gestellte Freilassung von Öcalan von ihnen verlangt.

Hoffnung auf Demokratisierung

Seit Jahrzehnten verlangen die Kurden in der Türkei – etwa ein Fünftel der Gesamtbevölkerung – mehr politische Rechte und kulturelle Gleichstellung. Diese Forderung kommt nicht allein von der PKK mit ihren mehreren zehntausend Kämpfern und Unterstützern. Etwa 15 Millionen Menschen in der Türkei haben kurdische Wurzeln, durften aber lange Zeit nicht ihre Sprache sprechen und wurden diskriminiert. Sie hoffen wie auch andere Minderheiten in der Türkei auf eine Demokratisierung und die Etablierung eines Rechtsstaats, kurz: darauf, dass die Ankündigungen, mit denen Erdogan vor 25 Jahren in den Wahlkampf gezogen war, Wirklichkeit werden.

Die sich abzeichnende Entspannung in der Kurdenfrage wirkt wie ein Schritt in diese Richtung. Doch Hoffnung auf eine Demokratisierung in der Türkei ist verfrüht. Der Zeitpunkt der Annäherung an die Kurden ist kein Zufall. 2023 wurde Erdogan zum dritten Mal in Folge zum Präsidenten gewählt. Um ein viertes Mal antreten zu dürfen, müsste die Verfassung geändert werden. Doch dafür fehlt Erdogans Koalition die Mehrheit. Vieles spricht dafür, dass die Annäherung an die Kurden keine strategische Neuausrichtung ist, sondern taktisches Kalkül.

Grenzen der Gleichberechtigung

An einer echten Gleichberechtigung der Kurden scheint Erdogan nur begrenztes Interesse zu haben. In den vergangenen Monaten hat die Regierung im Südosten der Türkei, dem Kernland der kurdischen Minderheit, mehrere Bürgermeister der prokurdischen DEM-Partei abgesetzt und durch Statthalter ersetzt. Ihnen wurden Verbindungen zu Terrororganisationen vorgeworfen. Wenig deutet darauf hin, dass diese Praxis bald der Vergangenheit angehört.

Die türkische Regierung hat ihre Hand in einem Moment ausgestreckt, in dem die Kurden als geschwächt gelten, auch im Nachbarland Syrien. Dort unterstützt Erdogan den islamistischen Übergangspräsidenten Ahmed al-Sharaa, früher bekannt als Abu Mohammed al-Julani. Dieser fordert von den Milizen der syrischen Kurden, die Waffen abzugeben und sich in die syrische Armee einzugliedern – ein Szenario, das die Kurden bis jetzt ablehnen.

Kein Wunder also, dass Öcalan und seine Anhänger die ausgestreckte Hand der Regierung ergreifen – vermutlich in der Hoffnung, dass diese den Kurden künftig mehr Rechte gewährt. Das Problem dabei ist, dass genau diese Entwicklung zu einer Zementierung von Erdogans repressiver Herrschaft führen könnte: wenn die kurdischen Abgeordneten aus Dankbarkeit für die Beilegung des Konflikts einer Änderung der Verfassung zustimmen – und Erdogan so den Weg zu einer weiteren Amtszeit ebnen. Vielleicht ist das der Preis, den das Land für eine friedlichere Zukunft bezahlen muss.

Exit mobile version