Dienstag, Oktober 8

Der Bundesrat entscheidet diesen Herbst, ob er künftig «unterbesteuerte» Auslandserträge von Schweizer Unternehmen mit einer Ergänzungssteuer belasten will. Ein geharnischter Brief aus Washington zeigt, wie heikel die Situation ist.

Als eines der ersten Länder hat die Schweiz Anfang Jahr die globale OECD-Mindeststeuer für Grosskonzerne eingeführt. Sie befindet sich damit eher widerwillig in einem Boot mit den EU-Staaten und anderen Ländern, die den internationalen Steuerwettbewerb ausbremsen wollen.

Schweizer Konzerne mit einem Umsatz von mehr als 750 Millionen Euro müssen seit dem 1. Januar mindestens 15 Prozent Gewinnsteuer bezahlen. Wenn die Belastung in ihrem Standortkanton geringer ist, wird eine nationale Ergänzungssteuer fällig. Und das ist erst der Anfang.

Bereits in diesem Herbst will die Landesregierung über einen weiteren Ausbau des Mindeststeuerregimes per Anfang 2025 entscheiden. Dieses Mal geht es um die Frage, ob die Eidgenossenschaft auch «unterbesteuerte» Auslandserträge von Schweizer Unternehmen mit einer internationalen Ergänzungssteuer belasten soll. Diese käme dann zum Zug, wenn Tochtergesellschaften beziehungsweise Muttergesellschaften im Ausland weniger als 15 Prozent Gewinnsteuern bezahlen.

Politisch ist zumindest ein Teil der geplanten Verschärfungen heikel. Sie könnten nach Recherchen der NZZ zu Verstimmungen mit dem Ausland führen. Entsprechende Signale gibt es besonders aus den Vereinigten Staaten. Eine Gruppe von republikanischen Kongressabgeordneten drohte dem Schweizer Botschafter in Washington vor genau einem Jahr in einem Brief mit Vergeltungsmassnahmen für den Fall, dass die Schweiz bei US-Konzernen eine «extraterritoriale Steuer» erheben sollte. Das bisher unveröffentlichte Papier ging auch an andere Länder.

Die USA und China haben die Mindeststeuer nicht eingeführt

Das Schreiben zeigt, wie komplex die Situation für den Bundesrat ist. Ursprünglich hat er die OECD-Mindeststeuer eingeführt, um zu verhindern, dass andere Staaten die Steuern auf «unterbesteuerten» Gewinnen von Schweizer Konzernen abschöpfen und um Rechtssicherheit für hiesige Unternehmen zu schaffen.

Auch die Wirtschaftsverbände trugen das Vorgehen anfänglich mit, machten jedoch eine Kehrtwende, als sich kurz vor der Einführung Ende 2023 abzeichnete, dass bevölkerungsreiche Wirtschaftsmächte wie die Vereinigten Staaten, China oder Brasilien die OECD-Mindeststeuer – anders als angekündigt – vorderhand nicht umsetzen würden. Der Bundesrat liess sich aber nicht mehr umstimmen, zumal die Stimmbevölkerung das Vorgehen im Juni 2023 befürwortet hatte.

Jetzt sieht sich der Bundesrat also erneut unter Zugzwang. Man befürchtet wieder, dass die EU-Länder und andere Staaten Schweizer Steuersubstrat abschöpfen könnten, wenn die Eidgenossenschaft ihr eigenes Mindeststeuerregime per Anfang 2025 nicht um die beiden Elemente der internationalen Ergänzungssteuer ausbaut. Denn Brüssel und andere Länder haben die Einführung der hoch umstrittenen «Undertaxed Profits Rule» (UTPR) und der «Income Inclusion Rule» (IIR) bereits beschlossen.

Besonders kontrovers ist die UTPR-Regel: Diese erlaubt es einem Staat, Gewinne eines ausländischen Konzerns mit einer Ergänzungssteuer zu belasten, auch wenn sich in seinem Land nur eine Tochtergesellschaft des besagten Unternehmens befindet. Voraussetzung ist, dass der Konzern die von der OECD verlangten 15 Prozent nicht vollständig bezahlt.

Kritiker halten die UTPR für völkerrechtlich heikel und sprechen von extraterritorialen Steuern. Der Bund zeigte sich im Dezember 2023 dennoch willens, diese zu übernehmen: «Falls zumindest die EU-Staaten die UTPR per 2025 einführen werden, sollte die Schweiz ab 2025 auch sämtliche Massnahmen inklusive UTPR anwenden, um ihre volkswirtschaftlichen und fiskalischen Interessen bestmöglich zu wahren», schrieb er damals.

Warnung vor Vergeltungsmassnahmen

Je nachdem, welche Partei im November in den Vereinigten Staaten die Wahlen gewinnt, könnte dieses Vorgehen aber politisch riskant sein. In ihrem Brief an den Schweizer Botschafter in Washington im August vor einem Jahr wählten die republikanischen Kongressabgeordneten jedenfalls harsche Worte für den Fall, dass die Schweiz «unterbesteuerte» amerikanische Unternehmen mit einer UTPR-Steuer belegen würde.

Im O-Ton: «Wir sind zwar der festen Überzeugung, dass jedes Land das Recht hat, seine Steuerpolitik nach eigenem Gutdünken zu gestalten, lehnen aber die Ausbreitung ungerechter extraterritorialer Steuern entschieden ab.» Solche Steuern würden grundsätzliche Fragen der Fairness aufwerfen, da die Länder, die sie erheben würden, keine Verbindung zu der besteuerten Partei hätten und ihr gegenüber politisch nicht rechenschaftspflichtig seien, schrieben die US-Politiker weiter. «Wir fordern ihr Land auf, die UTPR abzulehnen, um Vergeltungsmassnahmen seitens der Vereinigten Staaten zu vermeiden.»

Rahul Sahgal, der neue CEO der schweizerisch-amerikanischen Handelskammer (Swiss AmCham), hält das Schreiben der Republikaner für ernst zu nehmend. Er geht davon aus, dass Vergeltungsmassnahmen von amerikanischer Seite auch Schweizer Unternehmen in den USA treffen würden. Sahgal hält es auch für fraglich, ob es sich lohnt, für die UTPR einen Konflikt zu riskieren, zumal die Zusatzeinnahmen für den Schweizer Fiskus aus diesem Instrument vergleichsweise minim sein dürften. Er plädiert daher wie auch viele Wirtschaftsverbände gegen die Einführung der UTPR. Oder dann zumindest für eine Verschiebung nach dem Vorbild Singapurs.

Auch Swissholdings, der Verband der grossen, in der Schweiz ansässigen Industrie- und Dienstleistungskonzerne, warnt vor erheblichen Reputations- und Standortrisiken bei einer Einführung der UTPR. «Insbesondere die Gefahr von Handelskriegen mit nicht einführenden, aber bedeutenden Handelspartnern wie beispielsweise den USA oder China muss bei der Entscheidfindung mitberücksichtigt werden», betont der Verband. Die Vergangenheit habe gezeigt, dass Steuerstreitigkeiten mit Grossmächten wie den USA von der Schweiz nicht gewonnen werden könnten.

Der Bundesrat selbst hat sich noch nicht festgelegt, dürfte aber separat über die beiden Elemente einer internationalen Ergänzungssteuer, IIR und UTPR, befinden.

So wie er die nationale Ergänzungssteuer Anfang 2024 isoliert eingeführt hat, könnte er sich per Anfang 2025 vorerst auch für die Einführung der in gewissen Kreisen weniger umstrittenen IIR-Regel entscheiden: Diese würde es der Schweiz erlauben, hierzulande ansässige globale Konzerne zusätzlich zu besteuern, wenn ihre Tochtergesellschaften im Ausland den OECD-Schwellenwert von 15 Prozent nicht erreichen. Das würde den Abfluss von Steuersubstrat ins Ausland reduzieren. Gleichzeitig liesse sich ein diplomatischer Flurschaden vermeiden, indem die Einführung der UTPR-Regel aufgeschoben oder sogar abgesagt würde.

Auf Anfrage der NZZ schreibt das Eidgenössische Finanzdepartement, der Bundesrat verfolge die Umsetzung der OECD-Mindeststeuer in anderen Staaten und beziehe diese neben anderen politischen und rechtlichen Fragen in den Entscheid ein. Über allfällige weitere Schritte in Sachen Mindeststeuer werde die Regierung diesen Herbst informieren.

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