Dienstag, November 26

Bundespräsident Van der Bellen vergibt den Auftrag zur Regierungsbildung erstmals nicht an den Wahlsieger und bremst damit den kompromisslosen Herbert Kickl aus. Dessen Freiheitliche Partei könnte längerfristig dennoch profitieren.

Gut drei Wochen nach der Parlamentswahl betritt Österreich Neuland. Erstmals erhält der Wahlsieger keinen Auftrag zur Regierungsbildung. Statt an Herbert Kickl von der Freiheitlichen Partei (FPÖ) vergibt der Staatspräsident diesen an den bisherigen Kanzler Karl Nehammer von der zweitplatzierten Volkspartei (ÖVP). Keine andere Partei wolle mit Kickl zusammenarbeiten, begründete Alexander Van der Bellen seinen Entscheid. «Aber Österreich braucht eine handlungsfähige Regierung.»

Der Präsident hatte die drei grössten Parteien, zu denen auch die Sozialdemokraten (SPÖ) gehören, zuvor beauftragt, Kooperations-Möglichkeiten auszuloten. Doch Kickl hielt an der Bedingung fest, die FPÖ bilde nur mit ihm als Kanzler eine Regierung. Die anderen Parteien lehnen dies ab. Sie kritisierten laut Van der Bellen Kickls russlandfreundliche Haltung, seine mangelnde Abgrenzung gegen Rechtsextreme und den fehlenden Respekt für die liberale Demokratie.

Nehammer vor schwierigen Verhandlungen

Kickl sprach in seiner Reaktion von einem «Schlag ins Gesicht», das letzte Wort sei noch nicht gesprochen. Er sieht ein «abgekarteten Spiel», um eine «Koalition der Verlierer» an die Macht zu bringen. Der Kärntner nimmt für sich in Anspruch, den Volkswillen zu verkörpern. Bei der Wahl kam die rechtspopulistische FPÖ auf knapp 29 Prozent der Stimmen. Die ÖVP lag nach grossen Verlusten knapp dahinter, sie käme zusammen mit der abgeschlagenen SPÖ noch auf 92 von 183 Mandaten im Nationalrat.

Da das nur eine einzige Stimme über der Mehrheit liegt, gilt der Einbezug einer weiteren Partei als wahrscheinlich. Die Medien nennen dafür primär die liberalen Neos, die leicht dazugewannen. Auch die Grünen, die seit 2020 mit der ÖVP die Regierung bilden, wären eine Option. Da die Stimmung zwischen den beiden Koalitionären als schlecht gilt, dürfte dies aber nur theoretisch infrage kommen.

Nehammer steht damit vor der undankbaren Aufgabe, ein heterogenes Mitte-Links-Bündnis zu schliessen. So haben die Sozialdemokraten jüngst eine starke Wende nach links vorgenommen, was die Gemeinsamkeiten bei der Wirtschaftspolitik verkleinert. Auch die Themen Asyl und Soziales bergen Konfliktpotenzial. Der Erwartungsdruck an die nächste Regierung ist aber riesig, weil das Land in einer hartnäckigen Rezession steckt und eine riesige Schuldenlast vor sich herschiebt.

Auch wenn die unübliche Entscheidung Van der Bellens verfassungsmässig abgesichert ist, hilft sie politisch am ehesten der FPÖ. Die Partei, die in der Vergangenheit zweimal krachend an der Regierung scheiterte, kann sich nun als Opfer darstellen und voraussichtlich komfortabel in der Opposition verharren. Nehammer muss hingegen rasch und anhaltend Erfolge zeigen, wenn die Freiheitlichen aus der nächsten Wahl nicht noch stärker hervorgehen sollen.

Kickl bleibt das Haupthindernis der Freiheitlichen

Das grösste Hindernis der FPÖ für eine Regierungsbeteiligung bleibt aber auch dann ihr Parteipräsident. Im Gegensatz zu Deutschland gibt es in Österreich keine «Brandmauer» gegen rechts, sondern nur eine gegen Kickl, der sich in den letzten Jahren stark radikalisiert hat. Dass es anders ginge, zeigt nicht nur Jörg Haider, der sich im Jahr 2000 nach Kärnten zurückzog, um eine Koalition mit der ÖVP zu ermöglichen. Auch Geert Wilders trat als Wahlsieger jüngst in die zweite Reihe, um seine Partei in den Niederlanden an die Macht zu bringen.

Von einer systematischen Ausgrenzung der Freiheitlichen Partei kann in Österreich auch deshalb keine Rede sein, weil sie in drei von neun Bundesländern mitregiert. Und während Kickl mit seinen Ambitionen auf Bundesebene vorläufig gescheitert ist, verhandeln ÖVP und FPÖ seit Beginn dieser Woche über eine Koalition auch in Vorarlberg.

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