Sonntag, Oktober 6

Die Regierung in Wien beschliesst eine neue Sicherheitsdoktrin, in der Russland vom «Partner» zur «Bedrohung» wird. Dass es dafür nach dem Überfall auf die Ukraine zweieinhalb Jahre brauchte, zeigt, wie umstritten diese Doktrin ist.

Zehn Jahre sind seit der völkerrechtswidrigen Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim vergangen und zweieinhalb, seit Moskau den brutalen Angriffskrieg gegen das Nachbarland entfesselt hat. Dennoch bezeichnet Österreichs Strategie für nationale Sicherheit Russland nach wie vor einmal als «strategischen», einmal als «wesentlichen» Partner. Dass das so nicht mehr tragbar ist, war schon lange klar. Die konservativ-grüne Regierung beschloss deshalb eine grundlegende Überarbeitung der Doktrin aus dem Jahr 2013, die man dem Parlament eigentlich schon letztes Jahr hätte vorlegen wollen.

Erst am Mittwoch hat die Regierung nun aber die neue Strategie beschlossen. Die Verzögerung deutet darauf hin, wie umstritten sie zwischen den Koalitionspartnern war. Die Grünen pochten auf die Erwähnung des Klimawandels als Sicherheitsrisiko und verlangten auch das Bekenntnis, dass Österreich bis 2027 aus russischem Erdgas aussteige – das soll in der ÖVP auf Widerstand gestossen sein. Letztlich setzte sich der Juniorpartner in der Regierung in beiden Punkten durch, allerdings erst nach der Zustimmung dazu, den ÖVP-Finanzminister Magnus Brunner als künftigen EU-Kommissar zu nominieren. Die Grünen hätten gerne eine Frau oder zumindest einen Zweiervorschlag präsentiert.

Nach wie vor kommen 90 Prozent des Erdgases aus Russland

Die neue Doktrin, die der NZZ vorliegt, verwendet in Bezug auf Russland nun eine deutliche Sprache. Das Verhältnis habe sich seit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine fundamental geändert, heisst es. Mehrfach wird Russland als konventionelle und hybride Bedrohung für Europa bezeichnet. Das Land setze zudem Energie- und Lebensmittelexporte gezielt als Waffe ein, was sich im Zusammenhang mit Erdgaslieferungen nach Europa deutlich gezeigt habe.

Was wie eine selbstverständliche Tatsachenfeststellung klingt, ist für Österreich ein symbolisch bedeutender Schritt. Zwar haben sich Bundeskanzler Karl Nehammer und andere Regierungsmitglieder in den vergangenen zweieinhalb Jahren regelmässig so oder ähnlich geäussert. Dennoch gilt das Land innerhalb der EU eher als russlandfreundlich. Bis zu Viktor Orbans «Friedensmission» Anfang Juli war Nehammer der einzige europäische Spitzenvertreter, der den Kremlherrn Wladimir Putin seit dem Grossangriff auf die Ukraine in Moskau besucht hatte.

Nach wie vor besteht zudem der Eindruck, dass die Wirtschaft die engen Verbindungen nicht wirklich kappen mag. So ist die österreichische Raiffeisen Bank International das grösste in Russland verbliebene westliche Finanzinstitut. Vor allem aber bezieht Österreich nach wie vor das meiste Gas aus Russland, im laufenden Jahr betrug der Anteil rund 90 Prozent der Importe.

In der Sicherheitsstrategie heisst es nun, der Einsatz des Energieträgers Gas sei so rasch wie möglich zu reduzieren und der Ausstieg aus russischem Gas solle bis 2027 erfolgen. Auch das ist nicht neu, sondern erklärtes Ziel der EU, das Österreich mitträgt. Die grüne Energieministerin Leonore Gewessler betont das auch stets, ihre Pläne zur Umsetzung unterstützt die ÖVP aber nicht.

In der neuen Doktrin ist davon die Rede, dass der Ausstieg aus russischem Gas «im Rahmen einer Gesamtstrategie» und unter Berücksichtigung der «Leistbarkeit» für Private und die Wirtschaft geschehen soll. Das war für die Konservativen schon bisher der Knackpunkt. Die Strategie gibt zwar die Leitplanken vor für die Sicherheitspolitik des Landes, aber ob sie konkret etwas ändert, ist fraglich.

Die Opposition kritisiert die «Annäherung» an die Nato

An der Neutralität hält die Regierung fest. Das bedeute aber nicht, gleichgültig zu sein, wenn Völkerrecht gebrochen und die territoriale Integrität eines Landes verletzt werde, heisst es im Grundsatzpapier. Die Zusammenarbeit zwischen der EU und der Nato wird als entscheidend für die Sicherheit in Österreich bezeichnet – auch das ist eine Klarstellung, die innenpolitisch nicht unumstritten ist. Als Folge soll die sogenannte Interoperabilität mit der Nato gestärkt werden.

Die Oppositionsparteien SPÖ und FPÖ interpretieren das als eine Annäherung an die Nato, die sie ablehnen. Allerdings ist es eine Politik, die Österreich seit Jahren verfolgt – wenn auch selten so explizit deklariert. In der parlamentarischen Debatte dürfte es dennoch für Zündstoff sorgen. In einem Monat wird gewählt, und ob die neue Sicherheitsstrategie noch vorher zur Abstimmung kommt, ist ebenso offen wie der Umgang einer künftigen Regierung damit.

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