Samstag, Oktober 5

In keinem Land gibt es vor einer Wahl so viele Fernsehdebatten wie in Österreich. Auf Experimente wie Achterbahnfahrten mit den Kandidaten wird dieses Mal verzichtet. Zu Eklats kann es trotzdem kommen.

Im Osten Österreichs herrscht weiterhin aussergewöhnliche Hitze, Wien verzeichnete soeben die 50. Tropennacht dieses Sommers. Doch obwohl die Temperaturen in die «Schanigärten» locken, sollten sich Politik-Interessierte und Unentschlossene für die verbleibenden 24 Tage bis zur Parlamentswahl nicht zu viel vornehmen. Denn wie vor solchen Urnengängen mittlerweile üblich, wird praktisch jeden Abend auf irgendeinem TV-Sender diskutiert.

Während für die letzte Bundestagswahl in Deutschland vier sogenannte Trielle stattfanden und 2020 in den USA Donald Trump und Joe Biden nur zwei TV-Debatten austrugen, kennt Österreich eine Unzahl solcher Auseinandersetzungen. Wie viele es vor der Nationalratswahl 2019 waren, weiss man nicht einmal genau. «Je nach Zählart» zwei bis vier Dutzend, hiess es kürzlich im «Kurier». Die Zahl soll in den kommenden Wochen noch übertroffen werden.

Die Debatten gelten als Quoten-Hits

Der Grund dafür ist, dass der ORF für die Wahl 1994 vom Modell des Duells der beiden mutmasslichen Anwärter auf das Kanzleramt abrückte und Konfrontationen der Spitzenkandidaten aller Parlamentsparteien nach dem Prinzip «Jeder gegen jeden» veranstaltete. Das führte angesichts eines Monopolsenders und von fünf Parteien zu noch bewältigbaren zehn Debatten. Inzwischen gibt es aber zwei weitere TV-Anstalten, die das Konzept übernommen haben, einen Sender, der Einzelgespräche mit allen Spitzenkandidaten ausstrahlt, und unzählige weitere Medienportale, die zumindest eine «Elefantenrunde» planen.

Die Folge ist ein wahrer TV-Marathon, der weltweit einzigartig ist, wie der Politik-Analytiker Thomas Hofer sagt. Einzelne Medien bieten nutzerfreundliche Kalender an, und man stellt fest: Wahlkampffreie Abende gibt es im September kaum. Die Zeitung «Der Standard» zitierte schon im Juli anonyme Parteimanager, die über die Vielzahl an Terminen klagten, und schrieb, die Sender sprächen sich teilweise direkt ab, damit alle aneinander vorbeikämen. Es sei wie an einem Basar.

Wer sich nun fragt, wer das alles schauen will: Es sind trotz Politikverdrossenheit erstaunlich viele. Die Debatten gelten als Quoten-Hits, gut ein Dutzend Mal erreichte eine solche sogar ein Publikum von über einer Million, wie der Medien-Kolumnist Peter Plaikner schreibt. Diese Reichweite haben sonst nur die Hauptnachrichten, wichtige Skirennen, der Opernball und das Neujahrskonzert.

Dafür nehmen die Kandidaten einiges in Kauf. Sie müssen in dieser Phase für den klassischen Wahlkampf in erreichbarer Distanz von Wien bleiben, wo sich die TV-Studios befinden. In der Vergangenheit wurde zudem immer wieder mit grenzwertiger Originalität experimentiert. Vor der Präsidentschaftswahl 2016 mussten die Bewerber Witze erzählen, Politiker anderer Länder an ihren Frisuren erkennen, exotisches Essen stilgerecht einnehmen und Nationalhymnen erraten.

Pöbelei und abschätzige Gesten im nicht moderierten Duell

Über die Landesgrenzen hinweg Schlagzeilen machte damals auch der misslungene Versuch eines Duells ohne Moderator. Die Debatte zwischen dem heutigen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen und seinem Kontrahenten Norbert Hofer entgleiste völlig. Die beiden pöbelten sich an, redeten aneinander vorbei, und Van der Bellen liess sich sogar zur «Scheibenwischer-Geste» hinreissen. Es war zum Fremdschämen, hiess es danach einhellig.

Solche Experimente wird es in den kommenden dreieinhalb Wochen nicht geben. Eine Zeitung wollte die Parteichefs zwar für Tischfussball-Partien gewinnen, und ein Sender dachte offenbar über Achterbahnfahrten mit ihnen nach. Die Ideen werden aber nicht umgesetzt. Prüfungen wie im TV-Dschungelcamp wird es also nicht geben. Wenn die fünf immergleichen Köpfe fast täglich über den Bildschirm flimmern, fühlt man sich dennoch an Casting-Shows erinnert. Es läuft «Österreich sucht den Bundeskanzler» – und das gleich auf allen Kanälen.

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