Dienstag, Februar 4

Saalbach ist ab Dienstag Austragungsort der alpinen Ski-WM, Österreich empfängt die Schweiz und ein paar andere Nationen. Das Duell der beiden Alpenländer prägt den Skirennsport seit Jahrzehnten.

In dieser Woche beginnt die Ski-WM in Saalbach, und es stellt sich die Frage: Wer hat’s erfunden? Eigentlich ja die Norweger, die zuerst auf Holzlatten durch den Schnee glitten. Aber wenn es um die Frage geht, wer das Blochen an den Alpenhängen zur Blüte brachte, liegen sich Österreicher und Schweizer seit Jahrzehnten in den Haaren.

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Die ersten richtigen Abfahrten wurden in der Schweiz ausgetragen, allerdings organisiert von einem Engländer, Arnold Lunn. Dennoch musste es jeder Schweizer als Affront empfinden, dass zur Eröffnung der Ski-WM 2001 in St. Anton der Austragungsort vor den TV-Kameras der Welt als Wiege des alpinen Skisports gefeiert wurde.

Die Österreicher gewannen prompt elf Medaillen und natürlich Gold in der Königsdisziplin, der Abfahrt der Männer. Weltmeister wurde Hannes Trinkl, der als Kind eine Axt zu Weihnachten bekommen hatte. Es triumphierte österreichische Urgewalt. Doch Sonja Nef und Michael von Grünigen dominierten dank überragender Technik die Riesenslaloms. Jeder Österreicher, der den beiden zuschaute, hätte sehen müssen, dass die Schweizer die besseren Skifahrer sind.

Die Mutter aller Niederlagen – ausgerechnet in Österreich

Österreich und die Schweiz sind wohl die einzigen Länder, die eine Freizeitbeschäftigung zur Staatsräson erhoben haben – sie nennen sich stolz Skination. Beide haben dafür eine eigene Hymne, wobei die Schweiz auch hier zuerst den Ton angab. Vico Torriani schmetterte 1963 «Alles fährt Ski, alles fährt Ski. Ski fährt die ganze Nation», und Wolfgang Ambros zog 1976 mit «Schifoan» nach.

Vico Torriani - Alles fährt Ski  1963

Laut Statistik ist klar, wer die Skination Nummer eins ist. Österreich hat zum Beispiel an Olympischen Spielen 39-mal Gold und insgesamt 125 Medaillen gewonnen, die Schweiz (26/75) hinkt hinterher. Die Mutter aller Niederlagen erlebten die Schweizer ausgerechnet an den Winterspielen 1964 in Innsbruck, von denen sie ohne eine einzige Medaille heimkehrten. 77 Athletinnen und Athleten bildeten die Delegation. Sie wurden als Olympiatouristen verspottet.

Selbst der Bundesrat zeigte sich besorgt, und es geschah, was typisch ist für die Schweiz: Man setzte eine Expertengruppe ein. Diese schuf die Grundlagen für die Professionalisierung des Sports. Und der Skiverband engagierte Adolf Ogi als Technischen Direktor. Acht Jahre später wurde im fernen Sapporo ein Satz geprägt, der noch heute viele nostalgisch werden lässt: «Ogis Leute siegen heute.»

Das IOK hatte den Schweizern auch ein wenig geholfen: Kurz vor der Eröffnung der Spiele schloss es den Österreicher Karl Schranz aus, der im Weltcup gerade drei Abfahrten in Serie gewonnen hatte. Ganz Austria schrie: «Skandal!» 100 000 Menschen jubelten dem Skistar in Wien zu, als er mit leeren Händen heimkehrte. Schranz hatte gegen das Amateurstatut verstossen, weil er an einem Fussball-Benefizspiel ein Leibchen mit einem Werbeaufdruck getragen hatte.

Bahn frei also für Bernhard Russi! Und weil alles so gut lief, raste die erst 17-jährige Marie-Theres Nadig Österreichs Gesamtweltcup-Siegerin Annemarie Moser-Pröll gleich zweimal um die Ohren. Die Schweiz wurde im Medaillenspiegel nur von den Staatsamateuren aus der UdSSR und der DDR übertroffen. Und Adolf Ogi wurde fünfzehn Jahre später in den Bundesrat gewählt.

Auf Sapporo 1972 folgten Jahre grösster Ski-Euphorie. Das Fernsehen übertrug Rennen live, die Kinder rannten mittags von der Schule heim und durften in der Schweiz Wienerli und in Österreich Frankfurter vor der Glotze essen. Schweizer Buben hofften, dass es am Lauberhorn möglichst viele Ösis im Österreicherloch abtischt. Und lernten, dass es in Kitzbühel eine Mausefalle gibt, aber keine Schweizerfalle.

Doch dann kam der Skikaiser. Franz Klammer gewann im Winter 1974/75 sämtliche Abfahrten, insgesamt triumphierte er in der Königsdisziplin für helvetische Skifans unerträgliche 25 Mal. Klammer raste aggressiv und mit wild rudernden Armen die Berge hinunter. Den Schweizern blieb nur der Trost: Der Russi fährt eleganter.

Die beiden lieferten sich an den Winterspielen 1976 in Innsbruck das wohl grösste Duell in der Geschichte der Abfahrt. Es fing schon damit an, dass die Österreicher an der Eröffnungsfeier grosskotzig in goldenen Anzügen einmarschierten, Klammer war Fahnenträger, nur einen Tag vor der Abfahrt. Russi sass allein im olympischen Dorf vor dem Fernseher, er wollte sich seriös auf das Rennen vorbereiten. Der Schweizer fuhr mit Nummer 3 eine Zeit, die niemand erreichte. Bis Klammer kam, wild hasardierend – Sieg!

Erst in den 1980er Jahren sollten für die Schweizer wieder goldene Zeiten anbrechen. Fast jede Athletin, fast jeder Athlet konnte Rennen gewinnen, es war ein nicht enden wollender Freudentaumel. Die «Schweizer Illustrierte» kam kaum nach mit den Drucken von Titelbildern: Pirmin Zurbriggen, Peter Müller, Joël Gaspoz, Erika Hess, Maria Walliser, Michela Figini, Vreni Schneider . . .

Zurbriggen führte 1985 die Österreicher auf ihrer Streif in Kitzbühel vor, und der «Blick» ernannte ihn zum Skikönig. Am Tag danach raste er die gleiche Piste noch einmal wie entfesselt hinunter, wurde im Zielschuss brutal auf die Ski-Enden gedrückt und gewann trotzdem. Humpelnd ging er zum Mikrofon des Schweizer Fernsehens und keuchte: «Mal schauen, was der Arzt sagt.»

Die Episode ging als Wirbel um das Knie der Nation in die Geschichte ein. Zurbriggen musste operiert werden, jede Zuckung wurde medial ventiliert, und zwei Wochen später wurde der Walliser Weltmeister in der Abfahrt. 1987 an den Heim-WM in Crans-Montana kam es noch viel besser. Zurbriggen siegte in drei Disziplinen, die Schweizer gewannen acht von zehn möglichen Titeln und insgesamt fünfzehn Medaillen.

Derweil machte sich Österreichs Cheftrainer Dieter Bartsch lächerlich, als er sagte: «Meine Burschen sind alle wie Weltmeister gefahren.» Er machte sich auf die Suche nach dem Wunderwachs, über das die Schweizer angeblich verfügten, und verlor den Job. Mehr als zehn Jahre später kam Swiss Ski auf die Idee, ihn als Chef der Männer zu verpflichten. Nach desaströsen Winterspielen trat er 2002 zurück.

Ende der 1980er Jahre hatte Österreich eine Ski-Krise zu bewältigen, es schlug die Stunde des Ski-Napoleons Peter Schröcksnadel. Er wurde Präsident des nationalen Verbandes und löste eine Erfolgslawine aus. Symbolisch dafür steht der Super-G 1998 am Patscherkofel. Schröcksnadel hatte das Skigebiet gekauft und die Rechte an einem in Whistler abgesagten Rennen ergattert. Die Österreicher belegten geschlossen die Ränge 1 bis 9. Hätte man dem Hobbyrennfahrer Schröcksnadel eine Startnummer gegeben, er wäre wohl auch noch in die Top Ten gerast.

Totalschaden mit den «Töffli-Stil»

Es war die Zeit von Hermann Maier und Konsorten. Die Österreicher hatten begriffen, wie man die Carving-Ski effizient nutzt; die Schweizer hatten den Anschluss verpasst. Wie verzweifelt sie waren, unterstreicht die Tatsache, dass die Abfahrer Nachhilfestunden von einem Snowboardlehrer bekamen. Er brachte ihnen den sogenannten «Töffli-Stil» bei: einfach in die Kurve liegen. Das wurde zum Desaster.

Schröcksnadels rot-weiss-rote Armada rauschte unaufhaltsam durch den Weltcup. Zwischen 1990 und 2019 gewannen die Österreicher 30 Mal in Serie die Nationenwertung im Weltcup. Die österreichischen Journalisten sagten den Schweizern Ende Saison jeweils, sie müssten schon wieder über den Schirmständer – so nannten sie die Trophäe respektlos – schreiben. Der Herr Präsident wünschte das, und die Journaille folgte ihm genauso willig wie der ganze Skiverband.

In der Schweiz wurden derweil im Akkord Trainer und Funktionäre ausgewechselt, der Skiverband war ein Intrigantenstadel. Das setzte sich noch eine Weile fort, nachdem Urs Lehmann 2008 Präsident geworden war. Er galt als Bewunderer Schröcksnadels und verpflichtete 2013 in der grössten Krise drei Österreicher als Feuerwehrleute. Alle drei scheiterten, als Grund wurde sogar Rassismus der Schweizer angeführt.

Lehmann liess sich nicht beirren und strukturierte den Verband von Grund auf neu. 2020 wurde die Nationenwertung gewonnen, mittlerweile gilt es schon fast als Enttäuschung, wenn einmal nicht zwei Swiss-Ski-Athleten auf dem Podest stehen. Die Odi-Mania hat die Schweiz erfasst. Auf nach Saalbach, Österreich!

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