Mittwoch, März 26

Der frühere Finanzminister Grasser war einst ein Medienliebling und der selbsterklärte «Mister Nulldefizit». Wegen Manipulation bei der Privatisierung von staatlichen Wohnungen kommt er nun in Haft. Das Gericht nennt die persönliche Bereicherung beispiellos für Österreich.

Ein scheinbar unendliches Justizverfahren und der grösste Korruptionsprozess in der österreichischen Geschichte haben am Dienstag ein spektakuläres Ende gefunden: Die vor gut vier Jahren gegen den ehemaligen Finanzminister Karl-Heinz Grasser verhängte Haftstrafe wegen Untreue und Geschenkannahme wurde vom Obersten Gerichtshof bestätigt. Die Dauer wurde allerdings auf vier Jahre halbiert.

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Bald sechzehn Jahre nach Beginn der Ermittlungen liegt damit ein rechtskräftiges Urteil vor. Erstmals muss ein österreichischer Politiker für strafbares Handeln als Regierungsmitglied ins Gefängnis – noch dazu einer der schillerndsten und bekanntesten der jüngeren Vergangenheit.

Dubiose Überweisungen nach Zypern

Die konkreten Tathandlungen liegen mittlerweile mehr als zwanzig Jahre zurück. Grasser war damals der telegene Star der umstrittenen schwarz-blauen Koalition des konservativen Bundeskanzlers Wolfgang Schüssel mit der FPÖ. Als begnadeter Selbstvermarkter gefiel sich der jüngste Finanzminister der Republik als «Mister Nulldefizit» und propagierte das Motto «Mehr privat, weniger Staat» der damaligen Regierung.

Unter seiner Aufsicht erfolgte 2004 der Verkauf von rund 60 000 staatseigenen Wohnungen der Bundeswohnungsgesellschaften (Buwog) an ein Konsortium der Immofinanz. Dieses hatte im Bieterverfahren für 961 Millionen Euro den Zuschlag erhalten, weil es genau eine Million mehr bot als die im Bieterverfahren unterlegene Konkurrentin CA Immo. Fünf Jahre später wurden im Zusammenhang mit einem anderen Verfahren dubiose Überweisungen von insgesamt 9,6 Millionen Euro an eine Briefkastenfirma in Zypern entdeckt – offenbar eine Provisionszahlung in der Höhe von einem Prozent des Transaktionsvolumens. Das löste schliesslich Ermittlungen aus.

Die Staatsanwaltschaft vermutete eine Manipulation des Verkaufs der Buwog: Grasser habe dem siegreichen Konsortium via zwei Mittelsmänner den Tipp gegeben, wie viel für die Wohnungen geboten worden war, so dass dieses mit einer minimal höheren Summe die Konkurrenz ausbooten konnte. Dafür sei die Provision über ein Firmenkonstrukt in Zypern und Liechtenstein an Grasser und seine beiden Mitwisser geflossen.

Eine Schlüsselfigur war dabei Walter Meischberger, Lobbyist und einst Trauzeuge Grassers. Er soll der Immofinanz den Tipp weitergeleitet und die Honorarvereinbarung eingefädelt haben. Der Dritte im Bunde war der PR-Berater Peter Hochegger, an dessen zypriotische Gesellschaft die Provision gezahlt worden war. Er hatte beim erstinstanzlichen Prozess vor dem Wiener Straflandesgericht, der Ende 2017 begonnen hatte, ein Teilgeständnis abgelegt und Grasser sowie Meischberger damit schwer belastet.

Im Dezember 2020 fiel schliesslich das erste Urteil: Grasser wurde unter anderem wegen Untreue zu acht Jahren Haft verurteilt, Meischberger und Hochegger wegen Beihilfe zu sieben beziehungsweise sechs Jahren. Mit 168 Prozesstagen und 150 Zeugen handelte es sich um das grösste Korruptionsverfahren in Österreich. Die Richterin Marion Hohenecker benötigte zweieinhalb Stunden, um den Entscheid zu verkünden – schriftlich umfasste er 1300 Seiten.

Im Berufungsprozess betonte Grasser einmal mehr, er sei unschuldig und habe ein reines Gewissen. Er und die Verteidigung sehen das Verfahren als «durchwegs politisch motiviert». Zentrales Argument war die angebliche Befangenheit der Richterin Hohenecker, die den erstinstanzlichen Prozess geleitet hatte. Ihr Ehemann, ebenfalls ein Richter, habe sich in den sozialen Netzwerken einst abfällig über Grasser geäussert, und sie habe die Angeklagten und ihre Anwälte schon mit der damaligen Sitzordnung im Gerichtssaal benachteiligt. Man habe am einstigen Shootingstar und «Schwiegersohn der Nation» ein Exempel statuieren wollen. «Es war ein Kampf, den wir gar nicht gewinnen konnten», so einer der Verteidiger Grassers.

Der Vorwurf einer politischen Justiz mutet angesichts der Beweislage und eines teilweise geständigen Mitangeklagten kühn an. Nachvollziehbar ist er ohnehin nur, wenn man sich die Amtszeit Grassers in Erinnerung ruft: Der junge Finanzminister erlebte einen steilen Aufstieg und war damals medial omnipräsent: in den Klatschspalten an der Seite seiner Frau Fiona, Erbin des Kristallkonzerns Swarovski, in Talkshows, ja selbst auf Thomas Gottschalks Sofa bei «Wetten, dass . . .?».

Als Protégée des früheren FPÖ-Chefs Jörg Haider und mit Aussagen wie «Ein guter Tag beginnt mit einem sanierten Budget» spaltete Grasser das Land in Fans und erbitterte Gegner. Die einen hielten ihn für einen «Wunderwuzzi», die anderen für einen Blender – ein für Österreich typisches Phänomen. Grasser selbst gab diese Stimmung 2011 in einer ORF-Diskussionsrunde wieder, indem er aus dem Brief einer Verehrerin zitierte: Er sei eben schlicht zu jung, zu intelligent und zu schön «für diese abscheuliche Neidgesellschaft».

Das fünfköpfige Richtergremium der Berufungsinstanz konnte der Darstellung einer politisch motivierten Verfolgung wenig abgewinnen und bezeichnete das damalige Verfahren am Dienstag als «vorbildlich geführt». Die Tathandlungen hält es wie die Vorinstanz für erwiesen und äusserst schwerwiegend. Dass sich ein Finanzminister derart persönlich bereichert habe, sei in Österreich «beispiellos», erklärte die vorsitzende Richterin. Ein solches Verhalten hätte man in Österreich nicht verortet, und es könnte das Vertrauen in die Politik erschüttern.

«Die Richter wollten mich um jeden Preis verurteilen»

Dass die Haftstrafen dennoch halbiert werden, liegt vor allem an der «exorbitanten und unangemessenen Verfahrensdauer», wie der Oberste Gerichtshof festhält. Von den Ermittlungen bis zum rechtskräftigen Urteil vergingen knapp sechzehn Jahre. Für fast ein Drittel seines Lebens sei dieses Verfahren wie ein Damoklesschwert über ihm geschwebt, sagte Grasser dazu im Berufungsprozess selber.

Zwar gibt es nachvollziehbare Gründe für die Dauer: die Komplexität des Falls, rund vierzig Rechtshilfeersuchen, teilweise an Steueroasen, die zahlreichen Rechtsmittel der Verteidigung und Berichtspflichten, weil es sich um einen Fall von öffentlichem Interesse handelte. Dennoch ist sie «keine Auszeichnung für einen funktionierenden Rechtsstaat», wie der Leiter des Instituts für Wirtschaftsstrafrecht an der Wirtschaftsuniversität Wien, Robert Kert, vergangene Woche im ORF erklärte.

Mit dem Urteil des Obersten Gerichtshofs findet das epische Verfahren nun einen vorläufigen Schlusspunkt. Grasser zeigte sich nach der Verkündung erschüttert und sprach von Unrecht. Die Richter hätten ihn um jeden Preis verurteilen wollen. Er sieht darin eine «massive Verletzung» seiner Menschenrechte und kündigte den Weiterzug vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg an. Dieser Schritt hat aber keine aufschiebende Wirkung, weshalb Grasser die Haft in den kommenden Wochen wird antreten müssen.

Exit mobile version