Donnerstag, September 19

Am Mittwoch übernahmen Jugendliche das Rednerpult im Stadtparlament.

Normalerweise befasst sich das Zürcher Stadtparlament vor allem mit politischen Vorstössen aus den eigenen Reihen. Nicht so am Mittwochabend. Zum ersten Mal in der 131-jährigen Geschichte des Stadtzürcher Gemeinderats standen nämlich Vorstösse aus der ersten Zürcher Jugendkonferenz auf der Traktandenliste.

Konkret wurden sieben Anliegen – beispielsweise zum Umgang mit Frühstunden in der Schule, vergünstigten ÖV-Billetten und Kulturangebote oder Massnahmen gegen Diskriminierung an Schulen – diskutiert.

Am Rednerpult standen denn auch bei fast allen Vorstössen Jugendliche zwischen zwölf und fünfzehn, um ihre Postulate, die sie im November dem Stadtparlament übergeben hatten, gleich selber vorzustellen.

«Mögen Sie die Oper?», fragte beispielsweise Sophie Lutz rhetorisch. Sie selber wisse nicht, wie sie Oper finde. «Ich war noch nie in der Oper», sagte die 14-Jährige. Denn die Tickets seien teuer. Deshalb brauche es Vergünstigungen für Jugendliche im Kultur- und Freizeitbereich. Zudem fehle es an einer Übersicht über die bestehenden Angebote.

Mehr offene Turnhallen und unverbindliche Sportangebote für Jugendliche, damit sie neue Sportarten ausprobieren und Freundschaften schliessen könnten, forderte die 15-jährige Noemi Weinmann. «Wir brauchen Orte, wo wir offline, in der Realität tolle Momente erleben können.»

Joshua Van de Pol plädierte derweil für Vergünstigungen für Jugendliche im öffentlichen Verkehr. «Ich bin 14 und muss mein Trambillett selber bezahlen.» Das sei nicht ganz einfach, denn «Kinder dürfen bekanntlich nicht arbeiten».

Carlo Helbling brachte derweil den Wunsch nach einem späteren Schulbeginn und weniger Spätstunden im Stadtparlament ein. Denn frühmorgens und am späten Nachmittag falle es Jugendlichen besonders schwer, sich zu konzentrieren. «Das ist für uns mühsam, aber auch für die Lehrpersonen», sagte der 14-Jährige. Es gebe zudem viele Jugendliche, die an ADHS litten. Aus eigener Erfahrung wisse er, dass die Medikamente dagegen das Einschlafen noch erschwerten.

Iqra Khan erinnerte in ihrem Votum gegen Diskriminierung religiöser Minderheiten an den Schulen an die Zunahme diskriminierender Vorfälle – sowohl antisemitische wie auch islamfeindliche. Dagegen müsse etwas unternommen werden. «Verharmlosung führt zu Normalisierung», sagte die 15-Jährige.

Politische Teilhabe von Jugendlichen

Über die Zukunft der Schweiz entscheiden heute die Erwachsenen. Unter 18-Jährige, die statistisch gesehen noch am meisten Zeit in dieser Zukunft verbringen werden, können in der Politik nicht mitreden. Erst im April sagte der Nationalrat Nein zum Stimmrechtsalter 16, vor zwei Jahren hat die Bevölkerung des Kantons Zürich eine entsprechende Vorlage wuchtig abgelehnt.

Um diese Generationen dennoch schon jetzt in die politischen Entscheidungsprozesse mit einzubeziehen, gibt es in verschiedenen Kantonen und Gemeinden Jugendparlamente. Damit soll auch das Interesse der Jugend an den politischen Prozessen gefördert werden. Gemäss dem Politmonitor 2023 des Dachverbands Schweizer Jugendparlamente interessiert sich nur knapp die Hälfte der 15- bis 25-Jährigen für die Politik im eigenen Land.

In der Stadt Zürich ist die Förderung der Mitsprache von Jugendlichen seit 2020 in der Gemeindeordnung verankert. Eine formell durchgeführte Versammlung von mindestens 60 Jugendlichen kann per Mehrheitsentscheid im Stadtparlament Vorstösse zur Prüfung einreichen.

Vergangenen Herbst hat in Zürich erstmals eine städtische Jugendkonferenz stattgefunden, in deren Rahmen rund 100 Jugendliche zwischen zwölf und achtzehn Jahren Vorstösse diskutierten.

Die Konferenz ist Teil des 2022 gestarteten vierjährigen Pilotprojekts «Euses Züri – Kinder und Jugendliche reden mit!», welches die Stadt mit 400 000 Franken unterstützt. Durchgeführt wird das Vorhaben von der kantonalen Kinder- und Jugendförderung in Kooperation mit dem Dachverband Schweizer Jugendparlamente.

Alle Vorstösse überwiesen

Wird ein Vorstoss dem Stadtrat überwiesen, hat dieser wie bei Postulaten zwei Jahre Zeit, um das Anliegen zu prüfen.

Überwiesen wurden am Mittwochabend alle diskutierten Jugendvorstösse. Wobei es mitunter knappe Entscheide mit nur einer Handvoll Stimmen Unterschied waren, beispielsweise beim Traktandum für Vergünstigungen für kulturelle und Freizeitangebote und Verpflegung für Jugendliche. Bei den beiden Postulaten gegen Diskriminierung an Schulen waren die Verhältnisse klar.

Vor allem beim linken Parteienspektrum stiessen die Anliegen der Jugendlichen auf offene Ohren. Mit dem Wunsch nach verbilligten ÖV-Tickets würden sie bei der SP offene Türen einrennen, sagte Severin Meier und musste sich danach von den Bürgerlichen Vorwürfe anhören, die SP mache aus der Parlamentssitzung eine Werbeveranstaltung.

Rechts der Mitte zeigten sich die Mitglieder des Stadtparlaments, ungeachtet der unisono geäusserten Freude am Engagement der Jugendlichen, kritischer. Immer wieder wurde – insbesondere von der SVP – daran erinnert, dass Vergünstigungen, ob im öV oder in der Freizeit, eben nicht gratis seien. Irgendjemand, nämlich die Steuerzahler, müsse am Schluss die Rechnung bezahlen.

Karin Stepinski (die Mitte) betonte, die zuweilen kritischen Voten seien keineswegs ein Zeichen dafür, dass man die Jugendlichen nicht ernst nehme. Im Gegenteil. Eine kritische Debatte gehöre dazu. Und damit auch, dass man darauf aufmerksam mache, wenn ein Anliegen bereits abgedeckt sei: beispielsweise mit der Kulturlegi. Im Internet finde man die bestehenden Angebote zudem problemlos.

Tiba Ponnuthurai (SP) konterte, Voten wie das der Mittepolitikerin erweckten den Eindruck, «dass hier einige ein bestimmtes Bild von Jugendlichen haben, aber wenig Kontakt mit ihnen».

Die Jugendlichen waren zufrieden, dass ihre Anliegen dem Stadtrat überwiesen wurden. «Es freut mich, dass ich mithelfen kann, die Stadt, in der ich schon mein ganzes Leben wohne, mitzugestalten», sagte Joshua Van de Pol. Die lange Debatte und die teilweise merkwürdigen Ansichten hätten ihn aber überrascht. Trotzdem schliesse er nicht aus, sich dereinst für eine Partei zu engagieren.

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