Freitag, Dezember 27

In den vergangenen Tagen hatte sich der Vormarsch der Aufständischen aus Nordwestsyrien verlangsamt, weil sie erstmals auf Widerstand durch die syrische Armee gestossen waren. Nun müssen sich die Asad-Truppen jedoch erneut zurückziehen.

Die Einnahme der Millionenstadt Hama zeichnete sich ab: Bereits seit dem Wochenende waren die islamistische Miliz Hayat Tahrir al-Sham (HTS) und ihre Verbündeten aus der Provinz Idlib immer weiter Richtung Süden vorgerückt. Am Samstag sah es kurzzeitig so aus, als könnte die Rebellenallianz die Stadt innert weniger Stunden erobern. Es dauerte allerdings fünf weitere Tage, bis HTS-Anführer Mohammed al-Julani die Einnahme der Stadt verkünden konnte.

In einer Videobotschaft, die in sozialen Netzwerken verbreitet wurde, bestätigte Julani am Donnerstag, dass die Aufständischen in Hama eingedrungen seien. Vorher war es den Rebellen bereits gelungen, unter anderem den Militärflughafen und das grösste Gefängnis in Hama unter ihre Kontrolle zu bringen. Der arabische Nachrichtensender Al-Jazeera zeigte Videos von Aufständischen, die in Militärfahrzeugen und auf Mopeds durch die Stadt fuhren.

Anders als in der nördlichen Metropole Aleppo, die die Rebellenallianz in der Nacht auf Sonntag ohne grosse Gegenwehr einnehmen konnte, hatten die Rebellen in der Umgebung von Hama aber erstmals mit Widerstand zu kämpfen: Anhänger der syrischen Regierung drängten die Aufständischen nach einem ersten Vorrücken wieder zurück; Kampfflugzeuge begannen damit, die Islamisten aus der Luft anzugreifen. Mit russischer Unterstützung startete Bashar al-Asad eine Gegenoffensive. Doch viel erreichen konnte er damit bislang nicht.

Rückzug der syrischen Armee

Nach dem Eindringen der Rebellen in Hama teilte die syrische Armee mit, ihre Einheiten hätten sich aus Hama zurückgezogen. Sie wolle «das Leben von Zivilisten schützen und Strassenkämpfe verhindern», hiess es. Zuvor waren offenbar zahlreiche Soldaten getötet worden. Damit wird die Stadt Hama zum ersten Mal seit Beginn des syrischen Bürgerkrieges im Jahr 2011 von Gegnern des syrischen Machthabers Bashar al-Asad kontrolliert.

Für die Islamisten ist die Einnahme von Hama ein entscheidender Schritt, um die von der Regierung beherrschten Gebiete im Zentrum Syriens von den Küstenstädten Tartus und Latakia zu trennen. Latakia ist die einzige grosse syrische Hafenstadt am Mittelmeer. Sie gilt als Hauptstadt der syrischen Alawiten – jener konfessionellen Minderheit, zu der auch Asad und seine Familie gehören, und die im syrischen Machtapparat stark vertreten ist. In Tartus unterhält die russische Kriegsmarine ihren einzigen Stützpunkt im Mittelmeer.

Damaskus will dieses Szenario unbedingt vermeiden. Der schnelle Vormarsch der Islamisten deutet jedoch darauf hin, dass die syrische Armee und ihre Unterstützer mit dieser Möglichkeit nicht gerechnet haben. Dabei dürfte vor allem die technische Ausrüstung der Aufständischen eine Rolle spielen. Sie haben zwar keine Kampfflugzeuge. Aber anders als früher greifen sie ihre Gegner mit Drohnen aus der Luft an, die sie laut Medienberichten zum Teil selbst in Idlib herstellen. Unklar ist, in welchem Umfang die Rebellen dabei aus dem Ausland unterstützt werden.

Sorge vor einem Vormarsch nach Homs

Die Soldaten der syrischen Armee können dieser Art der Kriegsführung bislang nicht viel entgegensetzen. Darüber hinaus ist es HTS und den mit ihnen verbündeten Kämpfern offenbar gelungen, Waffenlager, Kampfflugzeuge und Flugabwehr der Regierungstruppen sowie ihrer russischer und iranischer Verbündeter zu erbeuten. Anhänger der syrischen Regierung fürchten, dass den Rebellen deshalb auch ein weiterer Vormarsch Richtung Süden gelingen könnte: in die etwa 50 Kilometer entfernte Stadt Homs. Damit hätte das Asad-Regime keinen Mittelmeer-Zugang mehr und geriete noch stärker unter Druck.

Hinzu kommt, dass sich weiter nördlich bereits ein weiterer Konflikt anbahnt: Dort kämpft die von der Türkei unterstützte Syrische Nationalarmee (SNA) nicht nur an der Seite von HTS gegen das Asad-Regime, sondern rückt auch in Eigenregie gegen kurdische Einheiten vor, die weite Gebiete im Nordosten Syriens kontrollieren. Das deutet darauf hin, dass die Rebellenallianz nicht geeint gegen Asad vorstösst, sondern einzelne Gruppen auch individuelle Interessen verfolgen.

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