Sonntag, November 24

Die Abnabelung von CDU und CSU ist vollzogen. Unter ihrem Vorsitzenden Hans-Georg Maassen soll aus dem Verein eine Partei hervorgehen. Demoskopen sehen ein Potenzial von bis zu 15 Prozent.

Die Werteunion will Deutschland retten. So zumindest lautet einer der zahlreichen Slogans, mit denen die mehrheitlich aus Mitgliedern der CDU und CSU bestehende Vereinigung für sich wirbt. Künftig soll dieser gewaltige Anspruch nicht mehr nur als eingetragener Verein, sondern auch als eigenständige Partei eingelöst werden.

An der Mitgliederversammlung im thüringischen Erfurt votierte eine «qualifizierte Mehrheit» bei nur wenigen Nein-Stimmen und Enthaltungen für den entsprechenden Antrag des Bundesvorstands. Die neue Partei soll im Februar gegründet werden und Werteunion heissen. Bereits bei den drei ostdeutschen Landtagswahlen im Herbst strebt man den Sprung über die Fünfprozenthürde an. Die Auffächerung des Parteiensystems setzt sich damit fort.

Zugleich endet so die Geschichte einer Entfremdung. Gegründet wurde die Werteunion vor rund sieben Jahren, um, wie es der heutige Vereins- und womöglich künftige Parteivorsitzende Hans-Georg Maassen formuliert, die Union wieder auf Kurs zu bringen.

Schleichende Entfremdung

Die damalige CDU-Vorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte nicht nur Maassen 2018 von seinem Posten als Chef des Inlandsgeheimdienstes entbunden, sondern auch die Christlichdemokraten nach links gerückt. Maassen sagt heute, Merkel habe «uns einen Schritt an den Abgrund geführt, und jetzt sind wir einen Schritt weiter». Deutschland befinde sich im freien Fall, in allen Lebensbereichen.

In ihren Anfangsjahren unter dem Gründungsvorsitzenden Alexander Mitsch war die Werteunion ein inoffizieller Freundes- und Unterstützerkreis für Merkels ewigen Widersacher Friedrich Merz gewesen. Neben der Jungen Union trug die Werteunion entscheidend dazu bei, dass die CDU Anfang 2022 der Kür ihres neuen Vorsitzenden eine Mitgliederbefragung vorschaltete. Aus ihr ging der Sauerländer als klarer Favorit der Basis hervor. Bei einer wie bis anhin üblichen Delegiertenwahl hätte Merz vermutlich abermals den Kürzeren gezogen. Merz dankte es der Werteunion mit warmen Worten, liess sich mit ihren Funktionären ablichten und gemeindete den Verein, der freilich nie eine offizielle Vereinigung der CDU war, faktisch ein.

Mittlerweile ist das Tischtuch zerschnitten. Für den Fall, dass die Werteunion ein Verein bleibe, stellte Merz jüngst einen Unvereinbarkeitsbeschluss in Aussicht. Die Werteunion wäre damit in denselben Rang eingestuft wie die rechte AfD und die Linkspartei. Das Parteiausschlussverfahren gegen Maassen persönlich scheiterte im vergangenen Jahr, doch der Bundesvorstand der CDU will vor die nächsthöhere Instanz ziehen, das thüringische Landesparteigericht.

Maassen, heisst es, füge der CDU durch seine fortgesetzten Äusserungen, die besser zur AfD als zur Union passten, schweren Schaden zu. In einem Beitrag für die Schweizer «Weltwoche» hatte Maassen der politischen Linken eine «Rassenlehre mit umgekehrten Vorzeichen» vorgeworfen. Die «ungesteuerte Massenzuwanderung» sei letztlich ein «Menschenzuchtprogramm».

Die Entfremdung vollzog sich schleichend, und nun explodierte sie. Für Maassen, der als Nachfolger des unglücklich agierenden Kurzzeitvorsitzenden Max Otte Anfang 2022 an die Spitze der Werteunion gewählt wurde, hat «Merz nicht geliefert». Die Geduld mit dem einstigen konservativen Hoffnungsträger ist aus Maassens Sicht erschöpft. Merz stelle sich zu wenig dem «Ökosozialismus» der Bundesregierung entgegen. Er sei ein Mann des «Ja, aber», nicht des entschlossenen «Nein».

Die CDU als «linke Partei»

Auch verübelt Maassen ihm die Brandmauer-Doktrin gegenüber der AfD. Die Werteunion will künftig mit allen politischen Wettbewerbern reden, auch mit der Alternative für Deutschland; Brandmauern hätten in einer freiheitlichen Gesellschaft nichts zu suchen. Die Werteunion nannte Anfang des Jahres die «Merz-CDU» unwählbar. Die Androhung des Unvereinbarkeitsbeschlusses kommentierte Maassen mit den trockenen Worten, die CDU verstehe sich nun mal als «linke Partei».

Die Struktur der Mitgliederschaft spricht eine andere Sprache. Unter den mittlerweile knapp 6000 Mitgliedern der Werteunion sollen sich zu rund vier Fünfteln Parteimitglieder von CDU und CSU befinden. Diese müssen sich nun die Frage stellen, ob sie in die zu gründende Partei eintreten oder aber im Förderverein, in den der eingetragene Verein überging, verbleiben und abwarten, ob es wirklich zu einem Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU kommt. Von der bayrischen CSU sind solche Überlegungen bis jetzt nicht bekannt.

Die in Erfurt anwesenden Mitglieder erteilten den Beschlussvorlagen des Vorstands ihren Segen. Aus der «Werteunion e. V.» wurde der «Werteunion Förderverein e. V.» Dieser soll die politische Willensbildung nicht länger «in allen Organisationsstufen der CDU/CSU und im öffentlichen Leben» fördern, sondern unspezifisch «in den bürgerlichen Parteien und im öffentlichen Leben». Besonders soll er «über die Partei ‹Werteunion› freiheitlich-konservative Positionen» unterstützen.

Entscheidend für die Aussichten wird dreierlei sein: der Verlauf des Gründungsparteitags im Februar, der in Nordrhein-Westfalen stattfinden soll, das Personal und das Programm. Maassen selbst dürfte als Spitzenkandidat in Thüringen gesetzt sein. Dort, im Wahlkreis Suhl/Schmalkalden/Meiningen/Hildburghausen/Sonneberg, hatte er 2021 für die CDU deutlich das Rennen um das Direktmandat gegen den SPD-Mann Frank Ullrich verloren, einen ehemaligen Biathleten, der seitdem eine einzige Bundestagsrede hielt. Ob Maassen, der Jurist aus Nordrhein-Westfalen, also in Thüringen einen Standortvorteil haben wird, ist fraglich.

Was wird aus Markus Krall?

Und was wird aus Bundesschatzmeister Udo Kellmann, der zugleich Schatzmeister der Kleinpartei «Bündnis Deutschland» ist? Was geschieht mit den stellvertretenden Vorsitzenden Kay-Achim Schönbach, einem Vizeadmiral a. D., und Simone Baum, der nordrhein-westfälischen Landesvorsitzenden? Baum hatte an dem zu deutschlandweiter Bekanntheit aufgestiegenen Potsdamer Treffen von Geschäftsleuten und Politikern mit dem rechtsradikalen Aktivisten Martin Sellner teilgenommen. Der Bundesvorstand der Werteunion gab daraufhin eine Ehrenerklärung für Baum ab und kritisierte die «ganz offensichtliche Schmutz- und Lügenkampagne» in den Medien.

Vor allem aber: Wird sich der Buchautor («Die bürgerliche Revolution», «Freiheit oder Untergang») und libertäre Aktivist Markus Krall einhegen lassen? Nach einem öffentlich ausgetragenen Streit mit Maassen hatte der ehemalige Geschäftsführer des Degussa-Goldhandels zu Protokoll gegeben, er wolle bei der Werteunion «einflussreich mitwirken, aber eben nicht als Mitglied des Vorstandes». Konkret will er das Wirtschaftsprogramm federführend ausarbeiten.

Krall sähe die Regierung am liebsten auf «drei Ministerien plus Kanzleramt» reduziert, er fordert ein «Ausjäten der ganzen Bürokratie, und zwar gnadenlos». Alle direkten Steuern seien abzuschaffen, nur die Konsumsteuer solle verbleiben. Ausserdem sollten Marktwirtschaft und Goldstandard in den Verfassungsrang erhoben werden. Doch wären mit Maassen solche, wie Krall formuliert, «radikal marktwirtschaftliche Reformen» zu machen? Der einstige Geheimdienstchef will mit der Werteunion laut eigener Aussage «freiheitliche, wertegebundene, teilweise konservative Positionen» vertreten.

Keinen Streit dürfte es unter alten wie neuen Weggefährten in der Migrationspolitik geben. Die Werteunion setzt sich für eine Begrenzung des Zuzugs und eine beschleunigte Ausschaffung von Menschen ohne Bleiberecht ein. Insofern entsteht ein neuer Wettbewerber auf dem Parteienmarkt im Dreieck zwischen AfD, FDP und CDU/CSU. Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa für die Wochenzeitung «Junge Freiheit» ergab, dass sich fünf Prozent der Befragten auf jeden Fall und weitere zehn Prozent «eher» vorstellen könnten, Maassens neue Partei zu wählen.

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