Montag, November 25

Das St. Galler Unternehmen VAT bewegt sich weitgehend unter dem Radar. Im jetzigen Umfeld voller geopolitischer Streitigkeiten kommt ihm dies erst recht gelegen.

Der Begriff «Hidden Champion» wurde für Industrieunternehmen schon so oft benutzt, dass er etwas abgegriffen wirkt. Doch im Fall des Ostschweizer Zulieferers der Halbleiterindustrie VAT ist er zutreffend.

Die Firma aus Haag, die 2025 ihr 60-jähriges Bestehen feiern wird, hat es geschafft, in ihrem Kerngeschäft einen Marktanteil von über 70 Prozent zu erreichen. Dennoch ist das Unternehmen selbst in seiner Heimat im St. Galler Rheintal nur einem kleinen Personenkreis bekannt.

VAT ist auf die Herstellung von Vakuumventilen spezialisiert, die in Produktionsanlagen für die Herstellung von Mikroprozessoren zum Einsatz gelangen. Sie ermöglichen, dass die aus Siliziumscheiben bestehenden Wafer unter Bedingungen höchster Reinheit zu immer kleineren sowie leistungsstärkeren Chips verarbeitet werden können.

Mit ASML im Geschäft

Hauptabnehmer der Produkte von VAT sind Grössen der Halbleiterbranche wie ASML aus den Niederlanden sowie die beiden amerikanischen Konzerne Lam Research und Applied Materials. Diese rüsten mit ihren komplexen Anlagen, die gut und gerne eine halbe Million Franken kosten, Chipfabriken führender Halbleiterhersteller wie TSMC, Samsung Electronics und Intel aus.

In Haag betont man gerne, dass es kaum ein Elektronikprodukt, ob Taschenrechner, Smartphone oder Blutdruckmessgerät, gebe, dessen Chips bei der Herstellung nicht Ventile von VAT durchlaufen hätten. Zugleich könnte der Hauptsitz der Firma unscheinbarer kaum sein.

Von der Bushaltestelle an der nahe gelegenen Kantonsstrasse führt nicht einmal ein Trottoir zum Firmengelände. Besucher, die mit dem öffentlichen Verkehrsmittel anreisen, müssen sich an parkierten Autos vor der Filiale eines Baumarktes vorbeischlängeln. Der Gebäudepark von VAT, der im Zuge des starken Wachstums der Firma laufend grösser geworden ist, wirkt zusammengewürfelt und wenig ästhetisch.

Neues Innovationszentrum für den Hauptsitz

Erstmals in seiner Geschichte leistet sich das Unternehmen nun aber einen repräsentativen Bau. Im kommenden Frühling soll in Haag das neue Innovationszentrum eröffnet werden, in dem neben Büros und Labors auch eine grosse Kantine sowie Räume für Besucher untergebracht sein werden.

Rund um den dreistöckigen Glasbau wird es auch einen kleinen Park geben. Dank einer Tiefgarage können Fahrzeuge erstmals unterirdisch parkiert werden. Im Moment fehlt für die Autos der fast 1600 Beschäftigten, die ausser aus der Ostschweiz auch in grosser Zahl aus Vorarlberg sowie aus Süddeutschland zur Arbeit nach Haag pendeln, zunehmend der Platz.

Das einstige Familienunternehmen liess sich 2016 an der SIX Swiss Exchange kotieren und steigerte so seine Bekanntheit damit zumindest in Investorenkreisen. Seinerzeit erreichte der Umsatz erst eine halbe Milliarde Franken. 2023 betrug er knapp 900 Millionen, nachdem er im Jahr zuvor sogar erstmals über eine Milliarde Franken gestiegen war.

Expansion nach Asien ohne Verlagerungen

Zum Zeitpunkt des Börsengangs zählte VAT erst 1400 Beschäftige, der überwiegende Teil davon arbeitete am Hauptsitz. In der Zwischenzeit hat sich die Belegschaft auf knapp 3000 Personen verdoppelt. Das Unternehmen betreibt neben einer Produktionsstätte in Rumänien neu auch zwei Fabriken im malaysischen Penang.

Der Entscheid, nach Südostasien zu expandieren, fiel vor knapp 15 Jahren. Er war eine Reaktion auf die kontinuierliche Erstarkung des Frankens gegenüber dem Dollar. Im Halbleitersektor werden fast alle Geschäfte in der amerikanischen Währung abgewickelt. Der starken Abhängigkeit von Einnahmen in Dollar stand bei VAT der grosse Kostenblock in Franken wegen der damals noch fast ausschliesslich auf die Schweiz ausgerichteten Produktion gegenüber.

«Wir mussten an unserem natürlichen Hedge arbeiten und Kosten verstärkt in den Dollarraum verlagern», sagt Urs Gantner, der neue Konzernchef. Der Maschineningenieur übernahm die Firmenleitung Anfang dieses Jahres. Zuvor war er bereits 20 Jahre lang für VAT tätig gewesen. Gantner wird nachgesagt, nicht nur VAT, sondern die gesamte Halbleiterbranche ausgezeichnet zu kennen.

Die damalige Ankündigung der Expansion nach Malaysia erzeugte unter der Belegschaft in der Schweiz zunächst Unruhe. Würde VAT Stellen nach Asien auslagern?, fragten sich manche Beschäftigte. Doch wie sich bald herausstellte, wurde der Stammsitz nicht verkleinert – im Gegenteil.

24-Stunden-Betrieb in der Schweiz nicht möglich

Gantner, der selbst aus dem näheren Einzugsgebiet der Firma stammt und nach wie vor im Sarganserland wohnt, sagt, Haag spiele besonders als Zentrum für die Forschung und Entwicklung, aber auch als Produktionsstandort weiterhin eine führende Rolle. Er weist zugleich darauf hin, dass man ohne die zusätzlichen Fertigungskapazitäten in Malaysia die stark gestiegene Nachfrage nach Vakuumventilen gar nicht bewältigen könnte.

Mit Penang hat VAT zudem geschickt einen Standort ausgesucht, an dem mittlerweile nicht nur die meisten Branchenschwergewichte wie Lam Research, sondern auch zahlreiche andere Zulieferer tätig sind. So erfüllt es das Management mit Genugtuung, dass ihm mit Comet jüngst ein weiterer Schweizer Anbieter nach Malaysia gefolgt ist.

Auch Michael Inauen, Analyst bei der Zürcher Kantonalbank (ZKB), findet, dass VAT international am richtigen Ort expandiert habe. «Es gibt in Malaysia ausreichend qualifizierte Mitarbeiter für die Herstellung von Halbleiterprodukten», sagt er. Auch sind dort viele Temporärkräfte verfügbar. Solche spielen in der Branche traditionell eine wichtige Rolle. Sie helfen, die starken Zyklen bei der Nachfrage nach Chips zu bewältigen.

Auch VAT kommt ohne Zeitarbeiter nicht aus. Im Moment erreicht ihr Anteil in Haag rund 10 Prozent, was der Firmenchef als gutes Zeichen wertet. «Vor einem Jahr, als wir die Kurzarbeit in gewissen Bereichen der Produktion beendeten, waren wir noch bei null», sagt Gantner. In Spitzenzeiten weist VAT in der Fertigung in der Schweiz einen Anteil von bis zu 25 Prozent an Temporärkräften auf.

Aufschwung auf breiter Front verzögert sich

2023 entpuppte sich für die Halbleiterbranche als schwieriges Jahr. Der schon damals erhoffte Aufschwung stellte sich nicht ein.

Das laufende Jahr entwickelte sich zwar besser, doch hat sich die Nachfrage nach Chips gleichwohl noch nicht auf breiter Front erholt. Hersteller von Mikroprozessoren, die für Anwendungen im Bereich der künstlichen Intelligenz benötigt werden, haben zurzeit alle Hände voll zu tun. Damit die Geschäfte aber branchenweit boomen, muss nach Einschätzung von Inauen die Nachfrage nach Speicherchips, insbesondere für PC und Smartphones, spürbar zurückkehren.

Diese leide, sagt der Branchenbeobachter von der ZKB, noch immer darunter, dass während der Pandemie viele Verbraucher einen neuen Rechner oder ein neues Handy gekauft hätten. Sie seien damit vorläufig gut bedient. «Hinzu kommt», ergänzt Inauen, «die allgemein schwache Konsumnachfrage.»

Belastet Trump auch Schweizer Exporteure mit Zöllen?

Bei VAT ist man guten Mutes, innerhalb der nächsten fünf Jahre den Umsatz zu verdoppeln. «Wir werden auf die zwei Milliarden Franken kommen», versichert Gantner. Seine Zuversicht beruht darauf, dass es Chiphersteller laut Marktprognosen bis 2030 schaffen sollen, ebenfalls zweimal so viel Umsatz wie bisher auszuweisen.

Mit zwei grossen Fragezeichen bleibt die Entwicklung gleichwohl behaftet. Werden die amerikanischen Restriktionen bei der Ausfuhr von Halbleitern der neusten Generation nach China, einschliesslich des Geschäfts mit Maschinen für deren Herstellung, unter Trump noch härter? Und bürdet Trump Industriefirmen, die wie VAT ihre Produkte ausserhalb der USA produzieren, hohe Zölle auf?

Die erste Gefahr erachtet man auch bei VAT als real, doch sieht das Unternehmen vermehrt Chancen im Geschäft mit aufstrebenden chinesischen Herstellern von Maschinen für die Chipproduktion. Und beim Thema Zölle vertraut das Management auf die Lobbyarbeit der amerikanischen Kundschaft in Washington. Weder Lam Research noch Applied Materials dürfte ein Interesse daran haben, wegen Importzöllen mehr für die geschätzten Ventile aus Haag zu bezahlen.

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