Montag, September 30

Paul-Lukas Good leitet den grössten Cannabis-Versuch der Schweiz. Die These, dass Cannabis eine Einstiegsdroge sei, gehöre in die Welt der Mythen, sagt der 45-jährige Anwalt im Interview.

Seit einem halben Jahr läuft im Kanton Zürich die erste Cannabis-Studie, die auch den Schwarzmarkt mit einbezieht. Mit bis zu 7500 Teilnehmerinnen und Teilnehmern ist das Pilotprojekt des Vereins Swiss Cannabis Research zudem das schweizweit grösste Forschungsprojekt in diesem Bereich.

Landesweit laufen sieben wissenschaftliche Studien. Noch ist THC-haltiges Cannabis in der Schweiz verboten. Doch die Legalisierung der berauschenden Pflanze rückt näher. Um herauszufinden, in welchem gesetzlichen Rahmen das hierzulande geschehen soll, hat der Bund vor drei Jahren Pilotversuche für eine regulierte Abgabe erlaubt.

In den meisten Fällen sind sie von Stadtregierungen oder Universitäten organisiert, wie beispielsweise der «Züri Can»-Pilotversuch in der Stadt Zürich.

Die Ausnahme macht die zweite im Kanton Zürich laufende Studie. Es besteht zwar eine Zusammenarbeit mit der Universität Zürich und der ETH, federführend ist aber der private Verein Swiss Cannabis Research. Die NZZ hat den Studienleiter Paul-Lukas Good getroffen und mit ihm über die Eigenheiten seiner Studie gesprochen.

Herr Good, Sie sind eigentlich Anwalt und haben zusammen mit Ihrem Bruder eine Kanzlei in Zürich. Heute leiten Sie den grössten Cannabis-Versuch der Schweiz. Wie halten Sie es persönlich mit dem Kiffen?

Ich hatte schon als Jugendlicher ein unverkrampftes Verhältnis zu Cannabis und habe konsumiert, bis ich 30 war.

Warum haben Sie mit dem Cannabiskonsum aufgehört?

Ich war ein typischer Konsument und habe Cannabis mit Tabak kombiniert. Oft hängen Tabak- und Cannabiskonsum zusammen. Um tabakfreien Konsum zu ermöglichen, haben wir auch Vape-Produkte und THC-Tropfen im Angebot. Mit 30 habe ich aufgehört mit dem Tabak und in der Folge auch mit dem Cannabis. Es entsprach quasi der typischen Karriere. Die Lebensrealität in Sachen Cannabis ist, dass die Kurve der Cannabiskonsumenten mit zunehmendem Alter sinkt, daran wird eine Legalisierung nichts ändern. Und es wird auch nicht dazu führen, dass plötzlich alle Cannabis konsumieren . . .

. . . und dann auf härtere Drogen umsteigen . . .

Die These, dass Cannabis eine Einstiegsdroge ist, gehört für mich in die Welt der Mythen. Der Einstieg ist nicht das Cannabis, sondern es sind die Dealer. In der Regel verkaufen sie nicht nur Cannabis und sind daran interessiert, die Kundschaft zu Produkten mit besserer Marge zu bewegen. Von daher glaube ich auch da, dass ein regulierter Markt helfen würde.

Wie kommt man von der Juristerei zum Cannabis-Pilotprojekt?

Jeder sucht sich seine Bühne, auf der er in seinem Leben spielen will. Schon mit 19, als junger Student, empfand ich es als ungerecht, dass Cannabiskonsumenten, zu denen etwa 10 Prozent der Schweizer Erwachsenen gehören, verfolgt werden. Meine erste Seminararbeit an der Uni beschäftigte sich mit der strafrechtlichen Begründung des Verbots des Cannabiskonsums in der Schweiz. Anwälte suchen Gerechtigkeit, das ist eine tiefe Überzeugung, auch bei mir. Es ist meine ganz persönliche Motivation für das Engagement für den Pilotversuch.

Verfolgen Sie auch kommerzielle Interessen? Sobald auch das berauschende THC-Cannabis legal ist, ist das ein grosser Markt.

Als das nicht berauschende CBD-Cannabis in der Schweiz erlaubt wurde, habe ich angefangen, Kunden in regulatorischen Fragen zu beraten. Der Staat hat ja viele verwaltungsrechtliche Regeln für verschiedene Produktgruppen. Für die CBD-Produkte musste man zuerst klären, wo sie einzuordnen sind: als Tabakersatzprodukt, Kosmetik, Gebrauchsgegenstand, Heilmittel? So habe ich von der Möglichkeit erfahren, dass es Pilotversuche geben kann. Inzwischen bin ich vollamtlich als Studienleiter tätig und gleichzeitig Head Legal des Startups Openly, das sich mit Hanf als Baustoff und CO2-neutralem Bauen auseinandersetzt.

Im Vergleich zum Cannabis-Pilotprojekt der Stadt Zürich gilt Ihre Studie als ökonomisch orientiert. Was ist die wirtschaftliche Komponente?

Jede Studie zu Cannabis braucht eine Lieferkette. Diese Studienpartner sind kommerziell. Niemand produziert und vertreibt Cannabis gratis, und es ist auch nicht vorgesehen. Die Studien an sich sind hingegen nicht gewinnorientiert.

Sondern?

Das Ziel ist, zu forschen. Klar macht es einen Unterschied, ob man wie die Stadt mit der Psychiatrischen Universitätsklinik zusammenarbeitet oder mit der Konjunkturforschungsstelle der ETH. Die Ausrichtung der Forschung ist eine andere. Beim städtischen Pilotprojekt geht es primär um die öffentliche Gesundheit. Unsere Studie fokussiert sich auf die sozialen und ökonomischen Folgen einer Cannabislegalisierung. Was sind die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, die Bildung, aber auch auf die Kriminalität? Dazu arbeiten wir mit Volkswirten der ETH und der Universität Zürich zusammen.

Der Pilotversuch ist durch Spenden finanziert. Warum ist das Projekt nicht selbsttragend?

Das ist nicht vorgesehen. Unser Budget beläuft sich auf 1,5 Millionen Franken und ist für die ganze Studiendauer gedacht. Zudem arbeiten wir an einem Gesuch, um vom Nationalfonds Gelder zu erhalten.

Woher kamen die Spenden bisher?

Von der Cannabis-Industrie, von privaten und juristischen Personen. Gelder aus der Tabak- oder Alkoholindustrie nehmen wir nicht an.

Ein Teil der Studienteilnehmer muss das Cannabis weiterhin illegal besorgen. Warum?

Ein Drittel der Teilnehmenden gehört zur Kontrollgruppe. Sie ist sehr wichtig, denn sie gibt Antwort auf die Frage, ob es einen kausalen Unterschied gibt zwischen legaler Abgabe und dem Schwarzmarkt.

Das heisst?

Wir versuchen herauszufinden, ob die Studien – und langfristig ein regulierter Cannabis-Verkauf – eine Auswirkung auf den Schwarzmarkt und die dort vertriebenen Produkte haben. Werden sie besser? Verändert sich der THC-Gehalt? Ist das Cannabis mehr oder weniger verunreinigt? Dazu bitten wir diese Studienteilnehmer von Zeit zu Zeit, dass sie uns Schwarzmarktprodukte schicken, damit wir sie analysieren können.

Ihre Studie ist auf 7500 Leute ausgelegt, momentan sind es etwa 2200. Warum so wenige? Ist es schwierig, Leute zu finden, die mitmachen?

Nein. Wir haben stabile Zahlen zum Cannabiskonsum, es gibt genug Leute, die regelmässig kiffen. Die Herausforderung ist, die Aufmerksamkeit der Leute zu bekommen. Die Idee war nie, auf einen Schlag 7500 Teilnehmende zu haben. Alle zwei Monate startet eine neue Gruppe à 600 bis 700 Personen. Es braucht Zeit, private Pilotversuche bekannt zu machen, Aufklärungs- und Informationsarbeit zu leisten.

Sie sagen, Cannabis sei in der Gesellschaft angekommen. Spiegelt sich das auch im Kreis Ihrer Studienteilnehmer wider?

Ja, wir sehen Politiker, Ärzte, KV-Leute, Lehrpersonen, Journalisten, Landwirte – es ist ein Querschnitt durch die ganze Gesellschaft. Und wir sehen natürlich mehr Konsumenten zwischen 18 und 40 Jahren als zwischen 40 und 60. Aber es gibt auch bei dieser Altersgruppe viele Konsumenten. Tendenziell sind es mehr Männer als Frauen.

Warum konsumieren die Studienteilnehmer Cannabis?

Für die meisten ist Cannabis ein Genussmittel, vergleichbar mit Alkohol. Sie reizen das Maximum, das sie beziehen und konsumieren könnten, bei weitem nicht aus. Genaue Zahlen darf ich leider nicht nennen, um die Studie nicht zu beeinflussen. Aber wir sehen, dass nur eine kleine Minderheit allenfalls einen problematischen Konsum hat. Das alles entspricht den Ergebnissen früherer Studien. Es nun in der Realität zu sehen, ist extrem spannend.

In vielen Ländern ist in Sachen Cannabis ein Liberalisierungsprozess im Gange. Wie beurteilen Sie das?

Man hat erkannt, dass Prohibition nicht funktioniert hat, Cannabis ist in der Gesellschaft angekommen, «the war on drugs» ist gescheitert. Dann ist der nächste logische Schritt ein regulierter Markt. Kein freier Markt, aber ein regulierter. Sonst überlässt man diesen Wirtschaftszweig der organisierten Kriminalität. Ich bin überzeugt, dass die Forschung der richtige Weg ist, um herauszufinden, wie dieser regulierte Markt aussehen soll.

Wie soll dieser Markt Ihrer Meinung nach aussehen?

Es ist wichtig, die richtige Balance zu finden, zwischen dem Zurückdrängen des Schwarzmarkts auf der einen und der öffentlichen Gesundheit auf der anderen Seite. Dabei sollen die Pilotversuche helfen. Ein sehr freier Markt drängt zwar den Schwarzmarkt zurück, bringt aber Probleme bei der öffentlichen Gesundheit. Ein sehr regulierter Markt hat den umgekehrten Effekt.

Welche Rolle kann der Schweizer Ansatz mit Pilotversuchen spielen?

Die Schweiz hat mit ihren Studien einen Standard gesetzt und ein Konzept für einen schrittweisen, verantwortungsvollen Prozess entwickelt, der zur Forschung ermutigt. Das ermöglicht eine Gesetzgebung, die auf soliden Forschungsergebnissen beruht und nicht nur auf einem Bauchgefühl. Ich denke, das ist ein grosses Statement für den Forschungsstandort Schweiz.

Wird der Cannabiskonsum durch die Pilotversuche verharmlost? Ganz ungefährlich ist es ja nicht.

Wir nehmen die gesundheitlichen Risiken des Cannabiskonsums sehr ernst. Im Rahmen der Studie ermöglichen wir etwa niederschwellig Zugang zu Spezialisten des Zentrums für Suchtmedizin. Zudem haben wir Produkte mit niedrigem THC-Gehalt im Angebot, sowie solche, die ohne Tabak konsumiert werden können. Aber etwas, das 10 Prozent der Erwachsenen betrifft, kann man nicht ignorieren. Es braucht bei Cannabis eine Regulierung. Und wenn man sich die Frage stellt, wem man nachts allein an der Langstrasse lieber begegnen will: fünf sehr Alkoholisierten oder fünf Bekifften – ist die Entscheidung sehr einfach.

Wie stehen Sie grundsätzlich zu Drogenlegalisierung – auch für härtere Stoffe wie Kokain?

Bei dem Thema bin ich überfragt. Ich beschäftige mich mit Cannabis, nicht mit anderen Substanzen.

Bei Cannabis gibt das Bundesamt für Gesundheit vor, dass es in der Schweiz und nach Bio-Standard angebaut werden muss – bei Kokain wäre das schon einmal schwierig. Um die Koka-Pflanze zu Pulver zu verarbeiten, werden Kerosin, Aceton und andere Chemikalien benötigt . . .

Das ist gut möglich, ich kenne mich nicht so aus mit der Kokainherstellung. Das «Schweizer Bio»-Erfordernis ist eine schweizerische Spezialität. Die Landwirte können der SVP und den Grünen ein Kränzlein binden, dass sie darauf bestanden haben. Dadurch gibt es bei den Pilotversuchen hierzulande nur Schweizer Produzenten.

Was glauben Sie, wie lange dauert es noch, bis die Schweiz Cannabis legalisiert?

Ich gehe davon aus, dass es bis 2028 soweit ist, also noch vor dem Abschluss unserer Studie.

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