Der letzte Weltcup-Sieg liegt drei Jahre zurück, 2024 verpasste sie Olympia wegen Atemproblemen: Die 32-jährige Mountainbikerin Jolanda Neff hat aufwühlende Jahre hinter sich.
Jolanda Neff, Sie haben seit Ihrem Olympiasieg 2021 turbulente Jahre hinter sich. Was muss passieren, damit die laufende Saison ein Erfolg für Sie ist?
Für mich ist sie das jetzt schon. Das erste Ziel war, mich im neuen Team – Cannondale Factory Racing Team – gut einzuleben. Die Physiotherapeuten, die Mechaniker, Trainer, Teamkollegen sind alle neu für mich. Deswegen sind wir schon vor dem Weltcup-Start in Brasilien viele Rennen gefahren, um die Abläufe zu üben. Das Gefühl auf dem Velo ist auch gut. Das nächste Ziel ist nun, im Weltcup wieder in die Top Ten zu fahren.
Sie sagen, ohne Freude am Velofahren seien Sie nicht erfolgreich. Kam Ihnen diese in den vergangenen Jahren abhanden?
Die Freude hat mich eher durch die Schwierigkeiten getragen. Ich wusste immer: Velo fahren ist das, was ich machen will. Doch die Resultate waren unbefriedigend, und ich wusste, dass ich ein paar Dinge ändern muss im Umfeld. Ich bin sehr froh, dass ich bei Cannondale die Chance bekommen habe. Das ist nicht selbstverständlich, sie hatten ein so erfolgreiches letztes Jahr mit WM- und Olympiamedaillen, dass viele dorthin wollten.
Sie sagten kürzlich, Sie hätten nach Beseitigung einiger Hindernisse nun wieder freie Bahn. Das klingt nach Kritik an Ihrem letzten Team, Trek.
Am Ende habe ich mich nicht mehr wohlgefühlt.
Was ist passiert? Sie hatten auch erfolgreiche Zeiten erlebt in diesem Team.
Im Winter nach dem Olympiasieg 2021 trainierte ich extrem viel und war so motiviert, weil ja eigentlich die Jahre vor Olympia schwierig gewesen waren mit meiner Milzverletzung nach einem Sturz. Nach der Goldmedaille in Tokio dachte ich: Jetzt geht es vorwärts! Ich unterschrieb im Dezember 2021 den neuen Vertrag, und zwei Wochen später wurde alles umstrukturiert, das gesamte Management wechselte. Danach verliessen alle Betreuer, mit denen die Zusammenarbeit grossartig funktioniert hatte, das Team, so auch mein Mechaniker und meine Physiotherapeutin. Für mich war es danach nicht mehr das Gleiche.
War es schwierig, dass das ausgerechnet nach Ihrem grössten Erfolg passierte?
Vielleicht war der Olympiasieg auch ein Teil der Schwierigkeit. Vielleicht dachten diese Leute: Dir muss man bei nichts mehr helfen. Aber es ist genau umgekehrt bei mir. Ich brauche die Nähe zu den Menschen, ich will Leute um mich herum, die mit mir eng zusammenarbeiten wollen, ich kann es nicht alleine.
Im vergangenen Sommer mussten Sie dann wegen Atemproblemen aufgrund einer Verengung der Stimmbänder auf die Olympischen Spiele verzichten. Beeinträchtigt Sie das Problem noch?
Es geht mir gesundheitlich sehr gut. Schliesslich spielte da wohl eine grosse mentale Komponente mit. Die Situation im Team hat mich extrem gestresst. Das hat Auswirkungen. Die einen haben Kopf- oder Rückenweh, bei mir äusserte es sich halt so, dass ich nicht mehr gut atmen konnte. Es hat nichts genützt, die Symptome bekämpfen zu wollen, das Problem war die Ursache, also die Wurzel des Ganzen. Zum Glück pflanzten wir nun sozusagen einen neuen Baum.
Dennoch hatte das Auswirkungen auf Ihre Leistungen, es war nicht möglich, mit der üblichen Intensität zu trainieren. Haben Sie physisch noch einen Rückstand?
Ich konnte mich in den vergangenen zwei Jahren im Training wie an den Rennen nicht mehr so ausbelasten wie früher, da fehlt dann ein grosser Teil. Nun kann ich wieder in allen Intensitäten trainieren und fühle mich gut dabei. Aber der Prozess dauert an, ich brauche weiterhin viel Training, um die Basis wieder aufzubauen. Um überhaupt wieder auf ein Niveau zu kommen, auf dem hohe Intensitäten möglich sind. Aber ich habe in den vergangenen Monaten gemerkt, dass ich noch schnell Velo fahren kann. Dieses Gefühl suchte ich die ganze Zeit.
Wie fühlen Sie sich im neuen Team?
Es ist eine harmonische und inspirierende Zusammenarbeit und motivierend. Ich habe ein sehr grosses Vertrauen in das Teammanagement und spüre den Willen zur Zusammenarbeit. Das Team hat mich wegen meiner Erfahrung geholt, damit ich dieses an die vier jüngeren Fahrer weitergebe. Gleichzeitig lerne ich auch viel von ihnen. Der Trainer Phil Dixon ist auch unser Teammanager, er ist schon seit 2015 beim Team, hat das Programm immer weiterentwickelt. Er ist aber vor allem auf menschlicher Ebene sehr stark, ist nie fixiert auf Zahlen, sondern versteht auch, was in meinem Leben sonst passiert. Das Training ist nur ein kleiner Teil des Gesamtpakets, das es für den Erfolg braucht.
Haben Sie irgendwann daran gezweifelt, dass Sie es wieder an die Spitze schaffen?
Ein Teil von mir glaubt immer noch nicht daran. Das ist sehr emotional für mich. Es gibt schon viele gute Signale, die mir bestätigen, dass der Weg stimmt. Aber dieser Weg ist länger, als ich gehofft hatte. Das Ziel ist nicht heute oder morgen erreicht. Und das ist okay. Ich muss das meinem Hirn wieder antrainieren: Wir sind auf gutem Weg. Also zurück zur Frage, ob ich daran zweifle. Bis ich wieder ein Weltcup-Rennen gewinne, ist der Zweifel irgendwo da.
Wie äussert sich dieser Zweifel?
Zum Beispiel so: Ich gewann in diesem Jahr schon ein paar kleinere Rennen. Drei davon bei schlammigen Bedingungen, die mir entgegenkommen. Das ändert nichts daran, dass ich die Leistung bringen musste, aber der Gedanke war dennoch da, dass ich nur gewonnen habe, weil es schlammig war. Es braucht also noch recht viel Arbeit, bis die Zweifel beseitigt sind. Und ich freue mich sehr, dass wir die WM im September in Crans-Montana haben, aber für mich ist das nächste Ziel, im Weltcup wieder in die Top 10 zu kommen.
Es kamen Ihnen gerade die Tränen, während Sie das sagten, es scheint Sie sehr aufzuwühlen – solche Zweifel hatten Sie nicht einmal nach der schweren Verletzung 2019?
Dort hatte ich null Zweifel. Ich war überzeugt und optimistisch, dass mit Zeit und Training die ganze Leistungsfähigkeit wieder kommt. Auch jetzt weiss ich, dass ich gute Leute um mich herum habe im Team, mit meiner Familie, meinem Freund. Aber es ist so viel kaputtgegangen, dass ich mir antrainieren muss zu glauben, dass alles gut kommt. Das mache ich, indem ich jedes kleine Detail wahrnehme, das mir bestätigt, dass ich auf dem richtigen Weg bin.
Ihre Teamkollegen sind zehn Jahre jünger als Sie. Was nehmen Sie von ihnen mit?
Sie sind so locker, motiviert und machen sich gar nicht so viele Gedanken. Am meisten lerne ich von ihnen, dass ich nicht über alles nachgrüble. Es ist schliesslich keine Raketenwissenschaft, wir fahren Velo!
Waren Sie vor zehn Jahren, also mit 22, auch so?
Ich glaube schon, ja. Anfang zwanzig fuhr ich im gleichen Team mit Maja Wloszczowska, die genau zehn Jahre älter ist als ich. Für mich war es damals unglaublich wertvoll, Maja als Vorbild zu haben, auch neben dem Velo in vielen Belangen des Lebens. Ich habe so viel gelernt, und es nahm mir auch Druck weg, weil gar niemand auf mich geschaut hat, ich konnte mich entfalten und entwickeln. Das Team damals hat eine Atmosphäre kreiert, in dem jede der anderen half. Ich bin überzeugt, dass ich ohne das niemals so schnell so viel gelernt und eine solche Karriere gehabt hätte. Das zeigt mir einmal mehr, wie viel das für mich ausmacht, die richtigen Leute um mich zu haben.
Fahren Sie mit Anfang dreissig anders als mit Anfang zwanzig, um mithalten zu können?
Nein, das glaube ich nicht. Im Mountainbike gab es Fahrerinnen, die mit 45 Jahren noch Weltcup-Rennen gewonnen haben, Gunn-Rita Dahle etwa. Oder Sabine Spitz, Catharine Pendrel. Das ist im Ausdauersport zum Glück anders als bei anderen Sportarten wie Kunstturnen. Das sah man auch bei den Podestplätzen an den WM und bei Olympia im vergangenen Jahr.
Ungewöhnlich war dafür, dass es 2024 an den WM und den Olympischen Spielen ausnahmsweise keine Schweizer Medaillen gab. Wie hat sich das Mountainbiken verändert in den vergangenen zehn Jahren?
Auch bei uns Schweizern muss alles zusammenstimmen für den Erfolg. Unser Sport verändert sich jedes Jahr extrem, die Entwicklung verläuft in vielen Bereichen sehr schnell, seien das Ansätze bei der Ernährung, beim Höhentraining, beim Material oder bei den Rennstrecken. Aber auch, wie Teams unterwegs und strukturiert sind, wie viel sie investieren, das gilt auch für die nationalen Verbände. Da war die Schweiz früher sicher eine Vorreiterin. Vor zehn Jahren gab es noch nicht viele Nationalteams, die die gleichen Möglichkeiten wie die Schweiz hatten, um ihren Athleten Trainingslager anzubieten oder Techniktrainings. Aber die anderen Nationen holen stark auf.
Sind die Olympischen Spiele in Los Angeles 2028 für Sie ein Ziel?
Solange ich Freude habe und gesund bin, mache ich weiter. Ich hoffe, dass ich noch ein paar unbeschwerte Jahre vor mir habe.
Es gibt immer mehr Sportlerinnen, die nach einer Babypause zurückkommen. Könnten Sie sich das auch vorstellen?
Ich glaube nicht, dass ich der Typ dafür wäre. Rein von der Organisation meines Tages her. Ich habe jetzt schon das Gefühl, dass ich meine ganze Energie brauche für Events, Sponsorentermine, Reisen, Training, den Haushalt. Ich wüsste nicht, wie ich das mit einem Baby unter einen Hut bringen könnte. Aber ich bewundere die Frauen extrem, die das schaffen und danach wieder ihre Leistung bringen, das ist beeindruckend und inspirierend und eine tolle Entwicklung. Auch dass es immer normaler wird und die Teams das unterstützen.
Sie haben sich immer wieder verzettelt, weil Sie so vielseitig interessiert sind, und Dinge begonnen und wieder abgebrochen haben: ein eigenes Magazin, ein Studium und so weiter. Wie schwierig ist es für Sie zu spüren, was Sie im Moment brauchen?
Die Gefahr, dass ich mich verzettle, besteht immer noch. Momentan organisiere ich ein eigenes Velorennen, den Grand Prix Jolandaland, und der Aufwand ist so gross! Wir haben schon vor drei Jahren begonnen und dachten, das werde ganz einfach, ein kleines Herzensprojekt in der Region. Mittlerweile ist es auf eine grosse Organisation ausgewachsen, mit Sponsoren und einer Festwirtschaft. Dank meinem neuen Team lerne ich nun aber, besser zu sehen: Wann kann ich Nein sagen? Wann ist es wichtig, dass ich mir Zeit nehme für mich selber, damit der Fokus auf dem Training liegt? Für die Erholung nahm ich mir bisher zu wenig Zeit. Aber ich mache Fortschritte.
Haben Sie sich in der Vergangenheit gewisse Situationen schöngeredet?
Ich bin ein Profi darin, mir zu viel auf den Teller zu laden und danach zu merken, dass auch ein Drittel gereicht hätte. Ich gehe mit so viel Enthusiasmus in Neues hinein. Und manchmal wird es dann schwierig, zurückzuskalieren. Ich kann ja trotzdem Freude haben an Dingen, aber ich muss mich nicht immer gleich verpflichten. Sondern zuerst zwei Sekunden warten und dann entscheiden.