Der Tech-Milliardär mischt mit seinen Tweets die britische Politik auf: Er rückt eine alte Affäre rund um pakistanischstämmige Kinderschänder zurück ins Scheinwerferlicht – überwirft sich aber auch mit dem Trump-Alliierten Nigel Farage.
Eigentlich hatte Keir Starmer gehofft, mit ersten Reformplänen für den staatlichen Gesundheitsdienst NHS das Heft im neuen Jahr in die Hand zu nehmen. Stattdessen aber wirkt Starmer wie ein Getriebener Elon Musks, der sich auf seinem Kurznachrichtendienst X auf den britischen Premierminister und seine Labour-Regierung eingeschossen hat. In einer Salve von Tweets beschuldigte Musk Starmer, er sei in seiner Zeit als Leiter der Staatsanwaltschaft im Skandal rund um einen Ring pakistanischstämmiger Pädophiler untätig geblieben und habe sich «der Vergewaltigung Grossbritanniens» schuldig gemacht.
Jess Philipps, der für den Frauen- und Kinderschutz zuständigen Ministerin, warf Musk vor, sie negiere einen «Vergewaltigungs-Genozid» und gehöre hinter Gitter. Zudem liess der Milliardär und Alliierte von Donald Trump seine 211 Millionen Online-Follower darüber abstimmen, ob die USA Grossbritannien von seiner «tyrannischen Regierung» befreien sollten.
Minderjährige Mädchen missbraucht
In seinen Attacken spielt Musk auf den Missbrauchsskandal rund um mehrere Pädophilen-Ringe von zumeist pakistanischstämmigen Männern an. Diese hatten in verschiedenen Städten Englands ab zirka 1990 jahrelang tausend vorwiegend weisse Mädchen aus sozial benachteiligten Verhältnissen gefügig gemacht und missbraucht. Viele der Opfer lebten in Kinderheimen, die jüngsten waren bloss elf Jahre alt. Sie wurden von Gruppen von Tätern oft mit Alkohol betäubt und teilweise auf brutalste Weise vergewaltigt.
Die Übeltäter blieben jahrelang straflos, weil die Sozialdienste und die Polizei den Mädchen nicht glaubten. Bereits im Jahr 2014 kam ein erster Untersuchungsbericht zu den Missbräuchen in Rotherham unter der Leitung der schottischen Pädagogin Alexis Jay zu dem Schluss, dass die Behörden auch aus Angst vor Rassismusvorwürfen untätig geblieben seien sowie wegen der Hemmung, die interkulturellen Beziehungen zu belasten.
Über die Neujahrstage hat Musk den seit zehn Jahren bekannten Skandal zurück ins Zentrum des medialen Interesses katapultiert. Der Auslöser: Die Kinderschutz-Ministerin Philipps lehnte eine Anfrage des Gemeinderats der nordenglischen Gemeinde Oldham zur Einsetzung einer nationalen Untersuchungskommission zum Thema ab. Die Begründung: Oldham solle wie andere Gemeinden zuerst eine lokale Untersuchung durchführen.
Ruf nach neuer Untersuchung
Im Schlepptau von Musk haben nun auch der Chef der Reform-Partei, Nigel Farage, sowie die konservative Oppositionsführerin, Kemi Badenoch, das Thema wiederentdeckt. Dass die Konservativen, die als Regierungspartei eine nationale Untersuchung noch abgelehnt hatten, plötzlich eine solche befürworten, wirkt wenig glaubwürdig.
Dabei gibt es durchaus Gründe, die Vorfälle nochmals systematisch aus nationaler Perspektive aufzurollen. So wurden zwar viele der Sexualstraftäter belangt, nicht aber das Netz jener, die sie allzu lange gewähren liessen. Zudem fiel der Abschlussbericht der Pädagogin Jay im Herbst 2022 just mit dem dramatischen Sturz von Premierministerin Liz Truss zusammen, weshalb das Thema damals kaum Beachtung fand und die Opfer keine mediale Genugtuung erfuhren.
Nach tagelangem Schweigen sah sich am Montag auch Starmer genötigt, sich zum Thema zu äussern. Er bezeichnete die damalige Vertuschung aus Gründen der politischen Korrektheit als «pervers». Doch wolle die Regierung lieber die von der Vorgängerregierung unterlassene Umsetzung der Empfehlungen von bereits abgeschlossenen Untersuchungen vorantreiben, statt immer neue Berichte in Auftrag zu geben.
Die auch von Musk kolportierten Suggestionen, Starmer persönlich habe als Leiter der Staatsanwaltschaft an den Vertuschungen mitgewirkt, wies der Premierminister entschieden zurück. Zwar verzichtete die Staatsanwaltschaft zu Beginn von Starmers Amtszeit auf die Verfolgung von pakistanischstämmigen Sexualstraftätern aus der Stadt Rochdale, weil sie bezweifelte, dass das Opfer vor Gericht glaubwürdig wirken würde. Später aber entschuldigte sich Starmers Behörde, korrigierte den Fehlentscheid und sorgte dafür, dass dieser und andere alte Fälle von Kindsmissbrauch neu untersucht und die Straftäter hart bestraft wurden.
Kritik statt Spende für Farage
Wortreich kritisierte Starmer die Verbreitung von Lügen durch rechtsextreme Agitatoren in den sozialen Netzwerken. Gleichzeitig vermied er es, Musk namentlich zu nennen, was zeigt, dass der Umgang mit dem Tech-Milliardär für die britische Regierung einem Balanceakt gleichkommt. Einerseits kann die Regierung die Angriffe Musks kaum kommentarlos hinnehmen. Andererseits bemüht sie sich um ein möglichst gutes Einvernehmen mit dem angehenden amerikanischen Präsidenten Donald Trump, zu dessen engstem Beraterkreis Musk zählt.
Allerdings stellen Musk und sein Interesse an der britischen Politik nicht nur Starmer vor Herausforderungen. Vielmehr brachte der Tech-Milliardär auch Nigel Farage, der seit langem mit Trump befreundet ist, in Erklärungsnot. So hatte Musk die Freilassung des rechtsextremen Aktivisten Tommy Robinson gefordert, den er als «politischen Gefangenen» bezeichnete. Robinson sitzt seit Ende 2024 eine Haftstrafe ab, allerdings nicht wegen missliebiger Äusserungen zum Pädophilie-Skandal, sondern weil er sich mutwillig gerichtlichen Anordnungen widersetzt hat.
Farage verteidigte die meisten Äusserungen Musks, distanzierte sich aber vom Rechtsextremisten Robinson, der in seiner rechtsnationalen Reform-Partei keinen Platz habe. Musk, der wenige Wochen zuvor noch mit einer grossen Spende für die Reform-Partei kokettiert hatte, reagierte pikiert. Auf seiner Plattform X liess er verlauten, die britische Rechtspartei solle sich einen neuen Anführer suchen: «Farage hat nicht, was es braucht.»