Dorothee Oberlinger bespielt seit Jahren erfolgreich das Potsdamer Hoftheater Friedrichs des Grossen. Diesmal hat die Barockexpertin eine Oper über den angeblichen Friedenskaiser Hadrian ausgegraben. Sie spielt in Syrien. Bezüge zur Gegenwart drängen sich auf.

Syrien ist als souveränes Staatsgebilde heute kaum mehr existent. Das geschundene Land zerfällt, nach bald dreizehn Jahren Bürgerkrieg. Was kann in dieser Situation eine wiederentdeckte Oper aus dem achtzehnten Jahrhundert bewirken? Nichts. Jedenfalls nicht für die halbe Bevölkerung Syriens, die auf der Flucht ist, unter ihnen Millionen Binnenflüchtlinge, die ohne Unterkunft, Nahrung, Wasser und ohne Hoffnung durchs Land irren. Unsereinem, weitab vom Schuss, verhilft solch eine Aufführung aber vielleicht zu ein wenig Aufklärung: um die Ursachen besser zu verstehen.

So versucht es derzeit die Dirigentin und Blockflötistin Dorothee Oberlinger im Schlosstheater des Neuen Palais in Sanssouci. Im ehemaligen Hoftheater Friedrichs des Grossen hat sie ein internationales Spitzenensemble um sich versammelt, um eine verschollene Barockoper zurück ins Leben zu rufen. Sie spielt in Syrien. Mit zwei namhaften Sopranistinnen (Roberta Mameli und Keri Fuge), drei derzeit führenden Countertenören (Valer Sabadus, Bruno de Sá und Federico Fiorio) samt einem stilsicheren Haute-Contre (David Tricou) wurde dies, musikalisch betrachtet, die beste Produktion, die Oberlinger in den sechs Jahren als Intendantin der Potsdamer Musikfestspiele mit ihrem «Ensemble 1700» auf die Beine gestellt hat. Szenisch und stofflich indes: die problematischste.

Jedem Topf seinen Deckel

«Adriano in Siria», komponiert für Friedrich den Grossen von seinem Hofkapellmeister Carl Heinrich Graun, der wiederum ein entfernter Vorfahre Vladimir Nabokovs war, erzählt von einem guten Herrscher, der sich selbst überwindet, weise wird und Frieden stiftet. Hadrian, Statthalter von Syrien, macht die Unterwerfung Syriens, die sein Amtsvorgänger in blutigen Kriegen besiegelt hatte, rückgängig und schenkt den «Barbaren» die Freiheit. Wie später Mozart in seiner Oper «La clemenza di Tito» dem österreichischen Kaiser Leopold II., so hat Graun hiermit seinem preussischen Dienstherrn einen moralisch-politischen Spiegel vorhalten wollen.

Die Parabel hat einen handfesten historischen Hintergrund. Das antike Syrien wurde 63 vor Christus von römischen Truppen erobert und zu einem Bollwerk ausgebaut, um die östlichen Grenzen des Imperiums zu sichern. Die Provinz, deren Gebiet etwa dem heutigen Syrien entsprach, prosperierte alsbald. Einer ihrer Statthalter, besagter Publius Aelius Hadrianus, wurde 114 nach Christus zum römischen Imperator gewählt: ein sogenannter Friedenskaiser, der mit Strenge und Milde regierte und für ein goldenes Zeitalter sorgte.

Dieser Stoff war im Zeitalter der Aufklärung so en vogue, dass sich nicht weniger als siebzig Opernkomponisten darauf stürzten. Allein neunzehn Mal wurde Pietro Metastasios Libretto «Adriano in Siria» vor Graun von anderen vertont. Unter ihnen Caldara, Pergolesi und Veracini. Fünfzigmal nach ihm, etwa von Galuppi, Johann Christian Bach und Méhul. Einige Opern, etwa die von Pergolesi, sind unvergessen, es gibt sie sogar auf CD. Die meisten aber wurden seit mehr als zweihundert Jahren nicht mehr aufgeführt – dazu gehört auch die von Graun.

Syrien ist hier ein eskapistisches Märchenland und vor allem eines: far, far away. Es wird bevölkert von lauter schönen Seelen, die fast alle in eine andere schöne Seele verliebt sind und dies in Da-capo-Arien schmachtend bejubeln oder beklagen, je nachdem, ob sie wiedergeliebt werden oder nicht. Dem Titelhelden indes, 1746 bei der Uraufführung verkörpert von dem gefeierten Soprankastraten Felice Salimbeni, fällt die Aufgabe zu, Ordnung zu schaffen in den mannigfaltigen Liebeshändeln. Sein römischer Adjutant Aquilio, ebenfalls Sopranist und ein ausgemachter Intrigant, fällt ihm dabei laufend in den Rücken. Es kommt zu einem Aufstand, einem Attentatsversuch, der Kaiserpalast wird angezündet. Das Ende wirkt zu schön, um wahr zu sein: Hadrian verzeiht seinen Widersachern, er gibt dem Partherkönig sein Reich zurück und sorgt dafür, dass jeder Topf sein Deckelchen bekommt.

Die Kunst Grauns steht ganz auf der Höhe der neapolitanischen Kastratenoper. Jeder erreichte Spitzenton, jede rasant flinke Roulade, auch jedes verzwirbelte Ornament wirkt allein der Virtuosität halber atemraubend. Dabei erweitern die Koloraturen zugleich die tönende Vielfalt der Affekte: Zorn kann sehr verschieden klingen, auch die Liebe hat tausend Farben. Andererseits bringt Graun in den langsamen Passagen immer wieder eine ungewöhnlich liedhafte, schwermütige Melodieerfindung zur Geltung. Es gibt nur wenige Ensembles, im Übrigen reisst die Kette der Solo-Arien nicht ab – eine brillanter funkelnd als die andere. Man bekommt nicht genug von diesen tönenden Preziosen, in all ihrer Pracht.

Verunglückter Gegenwartsbezug

Freilich stehen die Sänger dazu in Potsdam hauptsächlich konzertant herum, eingewickelt in viel Stoff, vor einer Wand aus zwanzig Lamellen-Jalousien. Die sind mit bunten Mustern bemalt und hätten jeweils einzeln auf- und zugezogen werden sollen. Eine Technik, die laufend versagt. Anfangs noch verstohlen, dann ungeniert zupfen erst Sänger, dann Bühnenarbeiter daran herum. Doch meist hängen die Bilder schief in den Angeln. Viel mehr ist der Regisseurin und Choreografin Deda Cristina Colonna zu dem faszinierenden Sujet nicht eingefallen.

Immerhin: Als Gruss an den Alten Fritz und seine Lieblingstänzerin Barberina gestaltet Colonna drei Tanzeinlagen, zu denen Massimiliano Toni eigens die Musik komponiert hat. Sie wird auf der syrischen Nay-Rohrflöte dargeboten; auch Oberlinger selbst greift in diesen «Intermezzi» zur Blockflöte. Der offenbar beabsichtigte Bezug auf die gegenwärtige Situation der Flüchtlinge in Syrien bleibt hingegen blass. Statisten schieben ein paar Requisiten hin und her: Koffer, Rucksack, Matratze. Und das Schlussbild sollte wohl eine Fotowand zeigen: zerbombte Häuser, Schutt und Asche. Man sah das Elend aber nur teilweise, der streikenden Jalousien wegen.

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