Sonntag, November 24

Im Dreieck Budapest – Belgrad – Banja Luka hat sich eine Art Bruderschaft von autoritären Spitzenpolitikern gebildet. Der Balkan-Experte Adnan Cerimagic erklärt, mit welchen Risiken das verbunden ist.

Viele Jahre musste man die Warnungen vor dem Zerfall Bosnien-Herzegowinas nicht allzu ernst zu nehmen. Das könnte sich ändern. Nicht weil die Bevölkerung des Landes – Bosniaken, Serben und Kroaten – wirklich ein Problem miteinander hätten. Auch die nationalistische Rhetorik ihrer Politiker ist nicht neu. Seit Jahren droht Milorad Dodik, Präsident der hauptsächlich serbisch besiedelten «Republika Srpska» (RS), mit Sezession. Was sich geändert hat, ist das geopolitische Umfeld. Die Zukunft der Region ist offen.

Im Osten tobt der Krieg Russlands gegen die Ukraine bald im dritten Jahr. Wie er sich langfristig auf den Zusammenhalt der EU auswirkt, weiss niemand. Ebenso wenig, was eine zweite Präsidentschaft Trumps für den alten Kontinent bedeuten würde. Was wir wissen: Die Aussichten der Länder des westlichen Balkans, eines Tages der EU beizutreten, sind weiter ungewiss. Als Alternative preisen Nationalisten Konzepte wie den Srpski svet («serbische Welt») an, die Vereinigung aller Serben in einem Staat. Die Idee ist inspiriert durch den «Russki mir» (russische Welt) und scheiterte schon einmal blutig beim Zerfall Jugoslawiens vor dreissig Jahren.

Auf die neue Lage haben zwei Politiker schnell reagiert: der serbische Präsident Vucic und Präsident Milorad Dodik, die seit zwanzig Jahren dominierende Figur in der Republika Srpska. Vucic pflegt demonstrativ freundschaftliche Beziehungen zum Kreml und sieht sich als Hüter des Serbentums in der ganzen Region. Er kooperiert dabei eng mit Dodik, der die Staatlichkeit Bosniens offen infrage stellt.

Für beide ist der ungarische Regierungschef Viktor Orban Vorbild und Freund. Orban wurde denn auch am offiziellen Feiertag der RS am 9. Januar der «Orden der Republika Srpska» verliehen. An diesem Datum spaltete sich 1992 die bosnische Serbenrepublik von Bosnien-Herzegowina ab. Es war ein Auftakt zum Krieg.

Herr Cerimagic, was hat sich verändert, dass die Rufe nach einer «serbischen Welt» bedrohlicher klingen?

In Banja Luka, dem Hauptort der RS, ist eigentlich alles beim Alten. Der Feiertag wird inszeniert wie eh und je. Es geht dabei nicht um die historische Bedeutung dieses Tages. Im Zentrum steht allein Milorad Dodik, um den sich alles dreht. Was anders ist, ist der regionale, der europäische, ja der globale Kontext. Er verändert sich. Und daraus entstehen neue Risiken für Bosnien-Herzegowina und den Balkan.

Zur Person

Adnan Cerimagic – Balkan-Experte

Der Jurist und Politikwissenschafter arbeitet für die Europäische Stabilitätsinitiative mit Sitz in Berlin. Er ist Spezialist für die Beziehungen der EU mit dem Westbalkan. Zuvor arbeitete er für das Aussenministerium Bosnien-Herzegowinas.

Können Sie das ausführen?

Noch vor wenigen Jahren war klar, dass die EU, die Nato und die Nachbarn von Bosnien-Herzegowina voll und ganz hinter der territorialen Integrität des Landes stehen. Dessen Verfassungsgericht hatte vor acht Jahren die Feier vom 9. Januar für rechtswidrig erklärt. Man kann darüber streiten, ob das sinnvoll war. Aber es schien klar, dass alle diese Lesart unterstützen. Das ist nicht mehr so. Serbien schickte dieses Jahr eine grosse Delegation an die Feier, angeführt vom Verteidigungsminister und begleitet vom Generalstabschef. In ihren Ansprachen machten sie klar, dass die Unversehrtheit der RS in Belgrads Militärdoktrin erste Priorität hat. Aufmerksamkeit verdient auch, dass Viktor Orban der höchste Orden der RS verliehen wurde. Er hat ihn dankend akzeptiert und wird ihn im Februar in Banja Luka entgegennehmen. Das sind Zeichen dafür, dass der Konsens über den Fortbestand des Landes Risse bekommt. Und das beeinflusst die Stimmung und die Pläne jener Akteure in Serbien und in der RS, die Grenzen ändern und eine «serbische Welt» schaffen wollen.

Letztes Jahr hat Putin den gleichen Orden erhalten, als «Dank für seine patriotische Fürsorge und Liebe» zur RS. Man könnte sagen, das sei die grössere Irritation . . .

Nicht unbedingt. Denn bei Orban handelt es sich, anders als bei Putin, um den Regierungschef eines EU- und Nato-Landes, der sich auf Dodik und dessen Narrativ einlässt. Das verschafft Dodik Glaubwürdigkeit und politisches Kapital. In diesem Sinne ist Orbans Rolle für Bosnien destruktiver als jene Putins, denn sie untergräbt den Konsens der Alliierten.

Als Gegenspieler im eigenen Lager?

Gewissermassen, ja. Etwas Weiteres kommt hinzu. Vucic schrieb in seiner Glückwunschadresse zwar die übliche – und wichtige – Zusicherung, er anerkenne Bosnien-Herzegowina in den heutigen Grenzen. Aber er fügte düster an, dass bald schwere Zeiten auf Serbien und die RS zukämen. Und ohne Widerspruch konnte Aleksandar Vulin, der ehemalige Belgrader Verteidigungsminister und Geheimdienstchef, an der Feier sagen, es sei Aufgabe der heutigen Politikergeneration, die Grenzen zwischen den Serben in der Region zum Verschwinden zu bringen. Verstehen Sie mich recht: Gegen enge Beziehungen über die Drina hinweg ist nichts einzuwenden. Im Gegenteil. Aber diese Beziehung muss im Rahmen der bestehenden internationalen Ordnung gepflegt werden – zwischen europäischen Nachbarn

Es gibt aber doch den Hohen Repräsentanten der internationalen Gemeinschaft (OHR), der die Umsetzung des Daytoner Friedensabkommens überwacht. Welche Rolle hat er?

Ich fürchte, dass man in den europäischen Hauptstädten die Illusion hat, der OHR und seine Vollmachten seien ein Sicherheitswall, der Bosnien notfalls vor dem Absturz schütze. Doch wenn es ernst wird, hat der OHR nur seine Website, auf der er Warnungen posten kann. Er hat weder eine Polizei noch Gerichte.

Wie sollen denn die EU und die Amerikaner auf die steigenden Risiken reagieren?

Die Hebel die Brüssel hat, sind Serbien und Ungarn. Dodik kann die Institutionen in der RS nur dann für eine mögliche Sezession gewinnen, wenn er gut sichtbare Unterstützung von aussen hat. Deshalb müssen EU und Nato jetzt Budapest und Belgrad die roten Linien aufzeigen. Ungarn ist in diesem Dispositiv umso wichtiger, weil es mit seinem Veto Serbien vor Sanktionen und Interventionen der EU schützen kann.

Wie würden Sie die Beziehung zwischen Orban, Vucic und Dodik beschreiben?

Es ist eine Art Bruderschaft, deren Mitglieder das gleiche Weltbild, ähnliche Regierungserfahrung und einen vergleichbaren Politikstil haben. Das bezieht sich auf die Haltung gegenüber Russland, dem Migrationsthema und demografischen Fragen. Aber auch wirtschaftlich ist die Beziehung bedeutsam. Für die beiden Serben zählt es, mit Orban eine Stimme in der EU und der Nato zu haben. Es stärkt aber auch ihre Stellung zu Hause, dass sie aus diesen Gremien von Orban unterstützt werden. Umgekehrt lassen die engen Beziehungen des Ungarn auf den Balkan ihn als regionale Führungsfigur und europäischen Akteur erscheinen: Er ist in der Lage, sein Herrschaftsmodell in die Region zu exportieren.

Wie Bosnien-Herzegowina sind jetzt auch die Ukraine und die Moldau Kandidaten für den EU-Beitritt. Wie beurteilen Sie das?

Es gibt viele Zyniker, die sagen, «nun schön, wir gratulieren!». Diesen Ländern geht es im besten Fall wie Montenegro, das seit zwölf Jahren erfolglos verhandelt. Oder schlimmer: wie Albanien und Nordmazedonien, die vier Jahre nach Gesprächsbeginn noch kein einziges Verhandlungskapitel geöffnet haben. Auch wenn man kein Zyniker ist, muss man sagen, die Vorstellung in Brüssel, dass die Einladung an die Ukraine und die Moldau hier Enthusiasmus und einen Energieschub auslösen würde, ist naiv. Denn solange der Beitrittsprozess nicht reformiert und in Etappen aufgeteilt wird, bleibt die Annäherung illusorisch – für Kiew und Chisinau genauso wie für uns. Aber es gibt auch eine andere Seite. Die letztlich starke und einheitliche Reaktion der EU auf den russischen Angriff hat eine positive Wirkung auf den Balkan. Sie hat Figuren wie Vucic und Dodik gezeigt, dass die EU handlungsfähig sein kann. Das ist eine gute Nachricht für Bosnien-Herzegowina.

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