Donnerstag, Dezember 26

Die Langlebigkeitsforschung kommt dem Traum vom langen und gesunden Leben rasant näher – beflügelt durch Milliarden aus den Taschen von Tech-Grössen wie Jeff Bezos.

Altern ist unausweichlich? Nur der Tod sei unausweichlich, sagen Langlebigkeitsforscher. Bald schon könnten wir Alterskrankheiten hinauszögern oder sogar Organe richtiggehend verjüngen, versprechen sie. Scharf sehen, glatte Haut und eine arbeitsfreudige Niere im hohen Alter – was für uns Menschen noch eine Zukunftsvision ist, funktioniert bei Mäusen bereits. «Meiner Meinung nach ist es nicht mehr die Frage, ob das auch bei Menschen klappt», sagt der Genetiker und Altersforscher Steve Horvath. «Vielmehr geht es jetzt darum, die am besten geeigneten Substanzen und die einfachste Therapieform für solch eine Verjüngung zu finden.»

Verjüngung bei Mäusen gelingt mit Yamanaka-Cocktail

Die ersehnte Verjüngung von Körperzellen ist das derzeit heisseste Eisen bei der Suche nach Langlebigkeit. Grundlage dafür ist die Stammzellforschung. 2012 bekam der Japaner Shinya Yamanaka einen Nobelpreis für eine Technik namens Reprogrammierung. Es gelang ihm, in der Zellkultur hochspezialisierte Organzellen so umzuprogrammieren, dass sie wieder zu einer ganz ursprünglichen Stammzelle ohne jede Spezialisierung werden. Bei der Reprogrammierung gelingt somit, was sich manche von uns auch sonst wünschen: ein Neubeginn ohne Ballast der vergangenen Jahrzehnte.

Um das zu erreichen, wird der spezialisierten Organzelle eine Mischung aus vier Molekülen verabreicht. So einfach, so genial. Dieser Mix wird heutzutage Yamanaka-Cocktail genannt.

Ursprünglich hofften die Forscher, damit Ersatzzellen für Krankheiten wie Herzinfarkt, Diabetes Typ 1 oder auch Parkinson zu züchten. Zwar hat das bis jetzt nicht funktioniert. Doch seit einigen Jahren erlebt der Yamanaka-Cocktail seinen zweiten Frühling in der Langlebigkeitsforschung. Denn es ist gelungen, mit dieser Molekülmischung direkt in den Organen von alten Mäusen Zellen so zu reprogrammieren, dass sie zwar verjüngt werden, aber nicht ihre Spezialisierung verlieren.

Unsere biologische Uhr gibt das wahre Alter an

Ein Mass für die Verjüngung ist die sogenannte epigenetische Uhr. Im Laufe unseres Lebens ändert sich die Verpackung unseres Erbguts (Genom). An zahlreichen Stellen kommen molekulare Anhängsel dazu, an anderen werden sie entfernt. Experten bezeichnen dies als epigenetisches Muster. Steve Horvath zeigte 2013 erstmals, dass diese Muster das wahre Alter einer Zelle angeben. Und das entspricht nicht bei jeder Person der Anzahl an Jahren, die seit der Geburt vergangen sind.

Offenbar kann die biologische Uhr auch wieder etwas zurückgedreht werden. So hat das Team von Juan Carlos Izpisua Belmonte mithilfe des Yamanaka-Cocktails vor zwei Jahren in Zellen alter Mäuse das epigenetische Muster verändert. Zumindest in einigen Organen entsprach das Muster nach der Therapie wieder jenem von jungen Zellen. Die Reprogrammierung ging aber nicht bis ins Embryonal-Alter zurück. Die Zellen hatten also nicht vergessen, dass sie beispielsweise Nierenzellen waren.

Die Verjüngung auf genetischer Ebene spiegelte sich auch auf der Organebene wider: So funktionierten die Nieren- und Hautzellen der alten Versuchstiere jetzt besser. Der Gruppe von David Sinclair an der Harvard University ist so eine Verjüngung mithilfe des Yamanaka-Cocktails auch im Auge gelungen: Ältere Mäuse sahen nach der Injektion des Molekülmixes wieder besser.

Allerdings gelang die Verjüngung nicht in allen Organen gleichermassen. Beispielsweise zeigten sich die Herzzellen der alten Mäuse weitgehend unbeeindruckt von dem Cocktail. Und das Ausmass der Reprogrammierung ist heikel: Die Zellen sollen zwar jünger und fitter werden. Aber das Gewebe insgesamt darf nicht vergessen, was seine eigentliche Aufgabe ist.

Und es gibt ein gewichtiges Problem im Hinblick auf eine Anwendung beim Menschen: Die Reprogrammierung darf nicht zu viel an der epigenetischen Uhr drehen. Denn sonst werden die behandelten Zellen in hyperaktive Babyzellen zurückversetzt und bilden Tumoren.

Möglicherweise werde gar nicht der Yamanaka-Cocktail die Verjüngungsmedizin werden, sagt der Epigenetikforscher Ferdinand von Meyenn von der ETH Zürich. Er hofft, dass die Reprogrammierungsexperimente bei den Mäusen Hinweise liefern, wie genau die Verjüngung abläuft. Und mit welchen ungefährlicheren und eventuell sogar spezifischeren Substanzen eine passgenaue Verjüngung nebenwirkungsfrei gelingen könnte. Last, but not least muss allerdings bewiesen werden, dass eine Verjüngung von Organzellen dem Mensch ein längeres gesundes Leben schenkt. Gelingt das nicht, bleibt alles Spielerei.

Langlebigkeitsrausch der Tech-Millionäre

Bevor wir nun also den Gin Tonic oder das Feierabendbier durch den Yamanaka-Cocktail ersetzen, müssen noch viele Fragen und technische Probleme gelöst werden. An Geld dafür mangelt es nicht. Beflügelt von den Milliarden der Tech-Bosse und Silicon-Valley-Grössen suchen mehrere neue Unternehmen nach dem Jungbrunnen. «Altos Labs», in das unter anderem der Amazon-Gründer Jeff Bezos investiert, will vor allem die Verjüngung dank Reprogrammierung erforschen. Dafür kauft die Firma derzeit den Forschermarkt leer. Nicht nur Belmonte oder Horvath arbeiten mittlerweile in den neuen Hightech-Laboren von Altos in den USA oder Grossbritannien, sondern auch zahlreiche Experten renommierter Universitäten.

Wie wir die biologische Uhr verlangsamen

Verjüngungstherapien könnten unsere innere Uhr zurückdrehen – in der Hoffnung, dass manche Alterskrankheiten gar nicht oder zumindest viel später auftreten. Eine andere Möglichkeit wäre eine Verlangsamung der inneren Uhr. Mittlerweile sind sehr viele Faktoren und Mechanismen bekannt, die die Funktionsfähigkeit unserer Zellen im Laufe des Lebens beeinträchtigen. Einige davon gelten als vielversprechende Angriffspunkte für Therapien für ein längeres gesundes Leben.

So sammeln sich im Laufe des Lebens Defekte im Erbgut an. Es kommt zur Produktion giftiger Proteine, die nicht mehr schnell und vollständig von der zellulären Müllabfuhr entsorgt werden. Eine Zelle kann dann so zugemüllt sein, dass sie ihre Aufgabe im Organ nicht mehr wahrnehmen kann.

Bei jungen Menschen sterben solche nicht mehr funktionsfähigen Zellen ab. Doch diese Selbstreinigung funktioniert bei Älteren nicht mehr so gut. Es bilden sich kleine Entzündungsherde. In Tierversuchen werden deshalb Substanzen erprobt, die gezielt kaputte Zellen aus einem Organ entfernen sollen.

Schwelende Entzündungen in Organen sind auch eine Folge des im Alter weniger effizienten Immunsystems. Ältere Menschen haben öfter Infektionskrankheiten, weil die von aussen eindringenden Erreger weniger effizient attackiert werden. Zudem klappt auch die Unterdrückung innerer Feinde nicht mehr so wie früher.

In unserem Erbgut lagern nämlich Spuren von Erregern aus früheren, glücklich überstandenen Infektionen. In jungen Zellen wird verhindert, dass diese Elemente wieder aktiv werden. Doch in älteren Zellen ist die Überwachung nicht mehr so exakt, daher können solche Elemente aufwachen und Entzündungen auslösen. Weltweit wird nun auch intensiv daran geforscht, wie man Entzündungsherde im Körper frühzeitig erkennen und beseitigen kann. Und wie man das Immunsystem älterer Menschen stärken kann.

Ebenso in den Fokus der Langlebigkeitsforscher gerückt ist das zelluläre Netzwerk, das die Anwesenheit von Nährstoffen misst und reguliert. Eine zentrale Rolle spielt hier ein Komplex aus verschiedenen Proteinen namens mTOR. Er steuert unter anderem das Zellwachstum in Abhängigkeit von der Nährstoffverfügbarkeit.

Experimente mit diversen Tierarten haben gezeigt, dass Hungerphasen sowie eine Blockade dieses Proteinkomplexes die Lebensspanne verlängern. Ein solcher Inhibitor ist beispielsweise das Krebsmedikament Rapamycin. Eine kontinuierliche Einnahme kann manche Altersprozesse hinauszögern. Allerdings wird dadurch auch das Immunsystem stark gedämpft. Und das will man ja gerade im Alter auf keinen Fall. Daher suchen verschiedene Forscherteams nach Molekülen, die mTOR blockieren, aber weniger Nebenwirkungen auslösen.

Was wir jetzt schon tun können gegen das Altern

Das inzwischen umfangreiche Wissen über die Vorgänge in alternden Zellen hat dazu geführt, dass es in der Forschung gerade einen Paradigmenwechsel gibt: weg von der ausschliesslichen Behandlung altersbedingter Krankheiten und hin zur Verhinderung derselben durch die Beeinflussung der Alterungsprozesse.

Noch sprudelt der Jungbrunnen nur in den Forschungslabors, im Alltag sind noch keine Pillen gegen das Altern erhältlich. Trotzdem sind wir den Alterungsprozessen unserer Zellen nicht völlig hilflos ausgeliefert. Ausreichend Bewegung, nicht zu viel und gesunde Nahrung, wenig Stress, geistige Betätigung und angenehme Sozialkontakte verzögerten das Altern, versichern die Langlebigkeitsforscher. Wer das befolge, dessen epigenetische Uhr ticke auch langsamer.

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